Der Prinz und der Gloeckner
Theorie

Die Literatur am Ende?

2001-03-22

Blicken wir heute an der Jahrhundertwende zurück auf die Literatur der vergangenen hundert Jahre, so gewinnen wir den Eindruck, daß es im Laufe dieses Zeitraumes mit der Literatur stetig bergab gegangen ist.
Fallen einem zur ersten Hälfte des Jahrhunderts noch spontan einige originelle und professionelle Autoren ein, so meint man am Ende des Jahrhunderts wirklich gute zeitgenössische Literatur, die neue Ideen liefert, nicht nur alte Geschichten in neuem Gewand zeigt, gleichsam wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchen zu müssen.

Wie konnte es nun dazu kommen?
Bei genauerem Hinsehen wird uns auffallen, daß Literatur erst durch den Massenkonsum in den letzten Jahrzehnten stark kommerzialisiert wurde. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts scheuten sich normale Bürger einfach noch mehr, selbst zum Stift zu greifen - vielleicht mal ein Gedicht für die Geliebte oder eines für den fünfzigsten Geburtstag des Vaters vielleicht - nichts Ernstes jedenfalls.
Die praktische Auseinandersetzung mit Literatur in Form und Inhalt blieb wenigen professionellen Autoren überlassen, die diese Auseinandersetzung auch ihrer selbst Willen suchten, deren Literatur nicht nur ihre eigene Ideenwelt bereicherte sondern auch die der Leser.

Der typische Autor von heute bereichert sich hingegen eher selbst auf Kosten seiner Leser statt diese auch zu bereichern. Diese wiederum konsumieren Literatur, statt sich mit ihr formal und inhaltlich auseinanderzusetzen, womit sie zu dieser Kommerzialisierung nicht minder beigetragen haben. Im Falle der Autoren ist bereichern dann tatsächlich auch mehr pekuniär statt ideell gemeint. Das ist einem nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeitenden Autor ja auch nicht vorzuwerfen.

So trifft man heute auf eine wahre Flut zum Beispiel von pseudohistorischen Romanen, eng verwandt mit nicht minder vielen fantasy-Romanen. Auch der Groschenroman ist längst salonfähig geworden, kostet aber inzwischen wegen der Kommerzialisierung natürlich deutlich mehr als Groschen und taucht in seriöserem Gewande auf, ist aber trotzdem sicher inhaltlich nicht mehr wert als diese Groschen. Diese fast industriell anmutende Produktion führt natürlich zu der Literaturschwemme von Schundromanen, wie wir sie heute vorfinden.

Gerade dieser gewaltige Haufen von Konsumliteratur kommerzieller Sonntagsautoren ohne inhaltlichen Anspruch ist es, der es so schwer macht, originäre Literaten mit neuen, frischen Ideen aufzufinden und zu benennen.

Am Anfang der fantasy-Literatur und der pseudohistorischen Romane, auch der science fiction standen originäre Autoren. Deren literarischer Erfolg aber war es gerade, der vielen naiven Sonntagsautoren Anreize lieferte, kommerzielle Konsumprodukte in nachgeahmten Stil auf den Buchmarkt zu bringen.
Der Höhepunkt der fantasy war etwa an ihrem Anfang mit J. R. R. Tolkien. Einen weiteren Höhepunkt in diesem Meer von Geschreibsel hat es eigentlich erst wieder mit dem ironisch-satirischen Blick von Terry Pratchett auf dieses Genre gegeben.

Letztlich kann gar nicht die Rede davon sein, daß die Literatur gegen Ende des letzten Jahrhunderts wirklich so hoffnungslos dasteht, wie es scheinen mag. Allerdings wird originäre Literatur - sollte sie es denn einmal in diesem Meer an die Oberfläche schaffen - sofort kommerziell absorbiert und als konsumgerechte Massenware nachgeahmt, ohne zuvor wirklich formal und inhaltlich verstanden worden zu sein.

Was kann man heute also tun als ernsthafter Autor?
Ist schweigen die Antwort?
Ist bereits alles gesagt und geschrieben und gar wiedergekäut worden, was interessant zu schreiben war?
Ich denke, nein.

Die Literatur, auch zusammen mit den neuen Medien, bietet genug Möglichkeiten, originär und kreativ tätig zu sein, eigenständige Ideen weit ab vom allgemeinen Konsumstrom zu entwickeln und umzusetzen.

Technische Entwicklungen wie die allgemeine Verfügbarkeit des internet, neue Drucktechniken, auch elektronische Literatur, bieten nicht nur neue Möglichkeiten im strukturellen, inhaltlichen und formalen Bereich. Auch bei der Erschließung von Lesern ergeben sich neue Chancen, die nicht mehr durch verlegerische und kommerzielle Erwägungen eingeschränkt sind.

Was aber könnte die künstlerische Perspektive sein, die es einem ermöglicht, sich von der breiten Masse der naiven Sonntagsautoren abzusetzen?
Kommerzielle Erfolglosigkeit ist da sicher nicht das Mittel, welches allein inhaltliche Originalität verspricht.

Fragen wir uns umgekehrt, was bewirkt es, daß die Produkte der Handwerker, die durchaus viel von ihrem Handwerk verstehen und es gekonnt für ihre Zwecke ausnutzen, so glatt und konturlos, ja so ideenleer wirken?
Nun, ich denke, es ist die Tatsache, daß diese Mitmenschen mit erschreckender Naivität fröhlich vor sich hin ihre Geschichten erzählen, gerade so, als könne man heute noch ernsthaft Literatur einfach nur so schreiben, wie vor hunderten von Jahren noch, gerade so, als hätte es die originären Ideen zur Literatur in der Zwischenzeit überhaupt nicht gegeben.
Diese Naivität spiegelt sich natürlich auch im Verhältnis zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen wieder. Meist sind diese kommerziellen Autoren auch dem gegenüber völlig ignorant. Auch das ist ein großes Problem, hat doch gerade die Naturwissenschaft, insbesondere die Physik im letzten Jahrhundert unser Weltbild komplett verändert und der Philosophie vollkommen neue Impulse geliefert.
Wer all das ignoriert, kann heute nicht mehr ernsthaft Literatur betreiben ohne sich unfreiwillig der Lächerlichkeit preiszugeben.

Bedeutet das nun, daß man gezwungen ist, all diesen literarischen Konsumbrei durchzuarbeiten?
Ich denke nein, mehr denn je gilt:
Eine schädliche Folge des allzu vielen Lesens ist, daß sich die Bedeutung der Wörter abnutzt.
Georg Christoph Lichtenberg
Man scheint also in einer Zwickmühle zu stecken - entweder man ersäuft sich in einem Meer von Konsumschund oder man ignoriert den ganzen Haufen Literatur komplett und sucht seine Wurzeln in einer Zeit mit anteilmäßig originärerer Literatur oder in einer Zeit, wo sich über den gröbsten Schund bereits der Mantel des Vergessens gebreitet hat. Damit tut man natürlich den wenigen zeitgenössischen originären Werken unrecht.

Leider kann ich hier kein allgemeingültiges Rezept angeben, wie man aus dieser Misere heraus käme.
Für Autoren scheint mir die Erkenntnis jedoch wichtig zu sein, daß natürlich auch Autoren in der Vergangenheit kaum einen kompletten Überblick über hervorragende Literatur ihrer Epoche haben konnten.
Trotzdem - vielleicht gerade deswegen? sind immer wieder ganz wunderbare neue Ideen entwickelt und umgesetzt worden.

Statt also frustriert in einem Sumpf von kommerzieller Literatur zu versinken, gilt es nach wie vor, frisch ans Werk zu gehen und einen eigenen Weg zu finden, ohne allerdings der naiven Ignoranz der kommerziellen Sonntagsautoren zu verfallen.

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