Die Stille als Widerstand
In einer Zeit, die von Informationsfluten überschwemmt wird, von algorithmisch verstärkten Halbwahrheiten und der ständigen Erwartung, alles müsse sich sofort erklären lassen, wirken diese Skulpturen wie ein stiller Aufstand. Sie verweigern sich der Deutungshoheit. Sie lügen nicht. Sie schweigen – und gerade darin werden sie unkorrumpierbar.
Es ist kein Zufall, daß abstrakte Kunst oft als schwierig gilt. Sie verlangt kein Einverständnis, kein Abhaken als gemocht, kein schnelles Urteil. Sie existiert einfach. In einer Welt, die uns täglich mit absichtsvollen Täuschungen und inszenierter Bedeutung überhäuft, ist das Schweigen der Formen vielleicht die radikalste Ehrlichkeit, die Kunst bieten kann.
Diese Ausstellung ist kein Fluchtort. Sie ist ein Gegenentwurf: eine Einübung in das, was wir verlernt haben – das reine Sehen, das geduldige Wahrnehmen, das Vertrauen in das Unerklärliche. Die Skulpturen geben dir nichts vor. Aber sie nehmen dir auch nichts weg.
Vielleicht ist das ihr Geschenk: ein Moment, in dem du nicht glauben mußt. Nur sein.
Die Skulpturen dieser Ausstellung vereinen scheinbare Gegensätze: ihre massive Präsenz wirkt wie ein Bollwerk gegen die Flüchtigkeit des Digitalen, während Löcher, Spiegelungen und transparente Flächen sie zugleich durchlässig machen. Diese Dialektik von Dichte und Öffnung wird zur Metapher für das Individuum im digitalen Zeitalter – ein Wesen, das gleichzeitig fest und fragil ist.
Die Wucht der Formen steht im Kontrast zur Immaterialität virtueller Räume. Wo Algorithmen uns in formlose Datenströme auflösen, behaupten diese Skulpturen physische Präsenz. Sie erinnern daran, daß Körperlichkeit nicht verhandelbar ist. Doch ihre Monumentalität ist keine Festung:
Sie brechen die Geschlossenheit auf, lassen Licht und Blicke hindurch – wie soziale Medien unsere Privatsphäre perforieren.
Sie machen den Betrachter zum Teil des Werks, eine Analogie zur ständigen Selbstinszenierung im Netz.
Die Auswahl des Materials (Glas oder glasähnliche Kunststoffe) zeigt: Auch das scheinbar Solide ist durchlässig.
Die Werke balancieren zwischen zwei Extremen: Sie bieten Halt gegen die Informationsflut, verweigern aber auch die Illusion von Undurchdringlichkeit. Eine Skulptur aus buntem Glas mag massiv wirken – doch ihr Farbenspiel ändert sich mit jeder Perspektive. So wie Identität heute weder fest noch fluid ist, sondern beides zugleich.
In einer Welt, die uns zwischen Filterblasen und Wellen nichtiger Aufregungen hin- und herwirft, werden diese Skulpturen zu stummen Zeugen einer Frage: Wie bleibt man ganz, ohne sich abzuschließen?
Die doppelte Fiktion
Diese Skulpturen existieren nicht materiell.
Sie sind nicht aus Glas gegossen, nicht in Schneelandschaften versunken, nicht unter menschlicher Hand geformt worden. Ihre Masse ist eine Illusion, ihre Transparenz ein Algorithmus, ihre Umgebungen reine Berechnung. Und doch – oder gerade deshalb – fordern sie uns heraus.
Die Paradoxie des Digital-Materiellen:
Indem die lernfähigen Programme imaginäre Objekte mit hyperrealer Präsenz erschafft, stellt sie unsere Kategorien infrage:
Scheinbare Materialität: Jede Spiegelung, jeder Schatten wirkt glaubhaft – doch greifbar ist nichts. Ein Kommentar zur heutigen Erfahrungswelt, wo Echtheit oft nur noch eine Frage der Auflösung ist.
Digitale Körperlichkeit: Die massiven Formen parodieren das Metaversum, das uns Freiheit verspricht, während es unsere Gesten in Daten zerlegt.
Löcher als Metaphern: Selbst die Durchbrüche in den Skulpturen sind simulierte Leere.
Eine präzise Allegorie auf Plattformen, die Verbindung vortäuschen, während sie uns isolieren.
Warum es nicht darauf ankommt:
Daß diese Werke reine Fiktion sind, macht sie nicht weniger real in ihrer Wirkung. Kunst war immer schon Täuschung – von Höhlenmalereien über Trompe-l’œil bis zu virtuellen Welten.
Die eigentliche Frage ist nicht: „Gibt es diese Skulpturen?“, sondern: „Was tun sie mit uns?“
Vielleicht ist das die letzte Konsequenz des ostentativen Schweigens: Es enthüllt, daß wir längst in einer Welt leben, in der die Unterscheidung zwischen Lüge, Täuschung, Irrung oder Fakt weniger zählt als die Frage, ob oder wie wir uns mit den Realitäten auseinandersetzen wollen.
Die Realität der Fiktion
Diese Skulpturen existieren – aber nicht so, wie ein Stein oder ein Baum existiert. Sie sind weder in Marmor gemeißelt noch aus Glas geblasen, sondern entstanden aus den Berechnungen einer Maschine. Doch ihre Wirkung ist real: Sie fordern unseren Blick heraus, verändern unsere Wahrnehmung, hinterlassen Spuren im Denken. Das allein macht sie zu einem Faktum.
Die zwei Ebenen der Realität:
Die physikalische Welt
Hier gelten die Gesetze der Schwerkraft und des Zufalls.
Wenn du stolperst, schlägst du auf – egal, was du glaubst.
Diese Realität ist unbestechlich.
Die digitale Sphäre
Hier werden Objekte durch Nullen und Einsen erschaffen.
Sie haben kein Gewicht, aber Macht. Propaganda, digitale Fälschungen manipulieren Wahlen, durch künstliche Intelligenz erzeugte Bilder erschaffen neu anmutende Ästhetiken – und doch bleibt alles nur Elektronenrauschen.
Die Skulpturen dieser Ausstellung spielen mit genau dieser Kluft. Ihre massiven Formen simulieren Materialität, während ihre Löcher und Spiegelungen verraten: Sie sind durchlässig für Projektionen. Wie wir selbst.
Warum es darauf ankommt:
In einer Zeit, die uns mit absichtsvollen Fälschungen überflutet, wird die Frage nicht mehr sein: „Was ist echt?“, sondern: „Was tun wir mit dem Schein?“.
Die profane Realität bleibt unbeeindruckt von unseren Illusionen.
Doch die Kunst zeigt: Auch Fiktionen haben Konsequenzen.
Vielleicht ist das die letzte Pointe dieser Ausstellung: Sie demonstriert, daß wir längst in hybriden Welten leben – und zwingt uns, Verantwortung für unsere eigenen Projektionen zu übernehmen.
Die harte Lehre der Pixel
Diese gläsernen Skulpturen existieren nur als Berechnungen oder Digitalisate – und doch tun sie, was alle echte Kunst tut: Sie zwingen uns in die Knie. Vor dem Unerklärlichen. Vor der Erkenntnis, daß wir längst in einer Welt leben, die sich nicht mehr um unsere Unterscheidungen schert zwischen echt und gefälscht, zwischen Körper und Idee.
Die eine Realität und ihre vielen Gespenster:
Die Schwerkraft läßt sich nicht überlisten.
Wenn der Algorithmus uns eine Treppe vorspiegelt und wir versuchen, sie zu besteigen, fallen wir auf die Nase.
Die Welt der Atome bleibt unerbittlich.
Doch gleichzeitig:
Die Bilder dieser Ausstellung sind real als Daten, als Energiestrom, als visuelle Erfahrung.
Die dargestellten Objekte sind es nicht – und doch prägen sie unser Denken, wie alle großen Lügen der Geschichte.
Warum wir solche Fiktionen brauchen:
Gerade in Zeiten, in denen digital erzeugte sowie verbreitete Fälschungen, Täuschungen, Lügen Demokratien untergraben und Filterblasen uns einsperren, wird Kunst zum Testgelände.
Diese Skulpturen sind ehrlich in ihrer Unehrlichkeit:
Sie behaupten nicht, echt zu sein – nur wirksam.
Ihre Löcher und Spiegelungen verraten ständig ihren wahren Charakter als Projektionsflächen.
Ihre Massivität ist eine Farce, die uns unsere eigene Sehnsucht nach Halt vorführt.
Die letzte Lektion:
Am Ende bleibt nur dies: Die Welt wird weiter drehen, ob wir nun auf die digitalen Bilder generierter Kristalle starren oder auf echte Felsen.
Aber vielleicht – nur vielleicht – lernen wir hier, genauer hinzusehen.
Bevor uns die nächste freche Fälschung die Treppe unter den Füßen wegzieht.