Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2001-02/03
Maria Michaela kam mit Laura ganz gut klar. Natürlich hatte Laura
eigentlich gar keine Lust, den Sommer mit lernen zu verbringen, doch war
Maria Michaela ja auch einmal in ihrem Alter und in ähnlicher
Situation, also konnte sie das ganz gut nachvollziehen und gut auf sie
eingehen. So gelang es ihr wirklich, Zugang zu Laura zu finden, und sie
nahm sich vor, Laura nicht nur mit den an sich reichlich nutzlosen
Umgangsformen der besseren Kreise vertraut zu machen, sondern sie auch
auf den Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu bringen.
Man verabredete also einen Vertrag über den Sommer mit Unterbringung
und Verpflegung und einem Lohn, der je nach Erfolg erhöht werden
sollte.
Maria Michaela plädierte auch für gelegentliche Spaziergänge zur Auflockerung der Situation und zur Motivation, vor allem aber auch, weil solche kleinen Ausflüge mit leichter Konversation eine typische Beschäftigung der anvisierten Gesellschaft waren. So erreichte sie auch, daß Jonas sie dabei begleiten sollte, als zuverlässiger Begleiter und angemessener Diskussionspartner in diesem gesellschaftlichen Spiel, sollte er denn wirklich im Ort bleiben, sonst sei eine andere Lösung anzustreben.
So trafen sich Jonas und Maria Michaela wieder wie verabredet im Wirtshaus.
Sie erzählte über ihre Abmachung mit der Kaufmannsfamilie.
Jonas berichtete über die Entwicklung im Pfarrhaus. Petra hatte mit
dem Gloeckner und dem Pfarrer gesprochen. Jonas hatte Glück, er wurde
aufgenommen. Er besichtigte mit Petra und dem Pfarrer den Glockenturm.
Auffällig war sogleich, daß Teile der Mechanik für das
halbautomatische Glockenspiel renovierungsbedürftig waren.
Man kam überein, daß Jonas die Interessen des Pfarrhauses
gegenüber den Handwerkern vertreten sollte, denn Petra hatte ja
gewisse Probleme, gegenüber den Mitbürgern sicher aufzutreten
und sich durchzusetzen.
Für Jonas sprach auch, daß er die Mechanik offenbar ganz gut
durchschaute, obwohl er ja kein Handwerker war, war er im Begreifen
solcher Dinge doch recht geschickt und traute sich die Aufgabe zu.
Tatsächlich konnte der Pfarrer ihm aber nicht mehr bieten als
Verpflegung und Unterkunft in einem kleinen Zimmer im Pfarrhaus. Doch
Jonas war damit zufrieden, denn auf Geld war er ja nicht angewiesen.
Er freute sich auf die neue Aufgabe, die zumindest anfangs eine
Herausforderung wäre, doch er war sich sicher, damit gut fertig zu
werden.
Petra würde ihm nicht nur zeigen, wie die Routinearbeit im Glockenturm aussah, sie wollte ihm auch darin unterrichten, wie man das Glockenspiel manuell bediente. Dazu wollte sie an einem oder zwei Abenden in der in der Woche das normale Glockenspiel durch eigene Kreationen ersetzen. Auch das versprach interessant zu werden, und Petra schien sich sehr zu freuen, jemanden gefunden zu haben, der an ihrer Arbeit Interesse hatte und sie zudem noch bei der dringend notwendigen Renovierung um die Handwerker kümmern wollte, was sie überfordert hätte.
Jonas schilderte dies alles Maria Michaela so, daß es zu seiner ursprünglichen Geschichte passte. Sie war überrascht, konnte kaum glauben, was er ihr da erzählte. Sie war immer noch fest davon überzeugt, daß Jonas einfach dummes Zeug erzählt hatte, doch nun sah es so aus, als hätte er es irgendwie geschafft, daß seine Flunkereien noch nicht aufflogen - sie war sehr gespannt, wie lange das noch gut gehen konnte.
Sie mußte an den folgenden Tagen jedoch bereits feststellen, daß er sich wirklich um seine Aufgaben kümmerte und sie Ernst nahm. Sie lauschte auch jedes mal den besonderen Glockenspielen, die Petra und Jonas veranstalteten.
Petra schwieg natürlich darüber, daß Jonas nichts von der Gloecknerei verstand, allerdings stellte sie mit Freude fest, daß er interessiert ihren kurzen Ausführungen und längeren Demonstrationen zuhörte und zusah und auch ernsthaft lernte, so daß sie ihn wirklich schon bald in ihre kleinen Kompositionen als Hilfe einbauen konnte. Auch dabei enttäuschte er sie nicht.
Auch Maria Michaelas Bemühungen waren recht schnell erfolgreich. Sie nahm sich ihrer neuen Aufgabe mit Begeisterung an und setzte ihre Kreativität ein, Laura auf originelle Weise sinnvolle, aber auch einfach nur interessante Dinge näherzubringen. Die kleinen Bibliotheken des Kaufmannes und des Pfarrers halfen ihr dabei. Manchmal waren sogar die Freundinnen der Kaufmannstochter da und hörten interessiert zu.
Die Ausflüge aufs Land waren auch ein toller Erfolg. Sie entwickelten sich regelmäßig zu einem angeregten Disput zwischen Maria Michaela und Jonas. Laura bekam so wirklich auf spannende Weise Wissen und Verhaltensregeln in Gesellschaft vermittelt. Durch gelegentliche Einwürfe beteiligte sie sich erst vorsichtig, dann häufiger am Gespräch. Sie stellte auch immer mehr Fragen und brachte damit die Diskussionen auch immer wieder geschickt auf Themen, die sie interessierten.