Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2001-02/03
Petra war ihr ganzes Leben eher Einzelgängerin gewesen und hatte es nie leicht gehabt. Ihren leiblichen Vater hatte sie nie kennengelernt. Sie wußte nur, daß er bereits vor ihrer Geburt verschwunden war. Der Gloeckner kümmerte sich damals um ihre völlig verzweifelte Mutter. So wurde er ihr Vater.
Natürlich wurde sie dann gehänselt wegen ihres häßlichen Vaters. Auch ihre Mutter wurde nicht glücklich, weil bekannt war, daß der Gloeckner nicht Petras Vater war. Das vergaß man in einer so kleinen Stadt nicht so schnell. So ging es ihr eigentlich nie besonders gut.
Die Kinder riefen Petra in der Schule nach, daß der Gloeckner gar nicht ihr Vater sein könne. Doch der war als einziger außer ihrer Mutter wirklich nett zu ihr, der beste Vater, den sie sich hätte wünschen können.
Je älter und hübscher sie wurde, desto deutlicher wurde jedem klar, daß der Gloeckner nicht wirklich ihr Vater sein konnte. Irgendwann erzählte die Mutter ihr dann auch gezwungenermaßen die Wahrheit. Das regte sie aber wieder sehr auf. Die Erinnerung an ihren leiblichen Vater raubte ihr bald darauf auch noch das Leben. Fortan erzog der Gloeckner Petra. Da der Pfarrer auch seine schützende Hand über sie hielt, verbesserte sich ihre Lage etwas. Vielleicht lag es aber auch daran, daß sie ausgesprochen attraktiv geworden war und die Jungs nun lieber mit ihr geflirtet hätten statt sie zu ärgern.
Petra vergaß allerdings nichts, trotzdem gab es dann doch zwei Enttäuschungen. Irgendwie meinten die Jungen Männer ohnehin, bei ihr leicht auf ihre Kosten kommen zu können und erhofften sich mehr Spaß und Vergnügen als Zuneigung. Einen mochte sie wirklich gern, der vermochte sich aber nicht gegen seine Eltern und seine Freunde durchzusetzen. Er wurde dann von seinen Eltern zu einer Verbindung mit einer anderen jungen Frau gedrängt, die ihnen vom Ruf her angemessener erschien. Petra war sehr traurig.
Beim nächsten war sie dann mißtrauischer, insbesondere als er sie immer mehr bedrängte. Sie wollte seinem Drängen schon nachgeben, doch gerade noch rechtzeitig entdeckte sie, daß dieser nur auf ein schnelles Vergnügen aus war und sie ausnutzen wollte. Neben ihr hatte er noch eine andere erobert. Petra war nur empört, doch die andere war alsbald schwanger und es mußte geheiratet werden. Der Familienvater wider Willen behandelte seine Frau dann auch nicht gut, so daß Petra Glück hatte, denn vermutlich hätte er sie einfach sitzen gelassen und geleugnet, der Vater des Kindes zu sein.
In jedem Falle war sie von ihren Verehrern sehr enttäuscht und
vermochte sich auf keinen weiteren mehr einzulassen, was wiederum ihre
Akzeptanz in der Jugend wieder verschlechterte, weil sie sich mehr und
mehr absonderte.
Sie konzentrierte sich auf ihre Aufgaben in der Pfarrei. In der Freizeit
widmete sie sich den Gärten und Büchern in der Bibliothek des
Pfarrers.
Wegen des fortgeschrittenen Alters des Gloeckners übernahm sie mehr und mehr von seinen Aufgaben, die er nicht mehr schaffen konnte. Dank der Unterstützung des Pfarrers wurde das auch akzeptiert. Ob das auch noch so sein würde, wenn der Gloeckner sterben sollte, war sehr zweifelhaft. So war ihre Zukunft unsicher - da sich allerdings sonst niemand mit den Aufgaben des Gloeckners auskannte, war ihre Position nicht so schlecht. Sollte sie sich jetzt Sorgen wegen dem Mann machen, der sich als Jonas vorgestellt hatte? Offenbar hatte er keine Ahnung und bat sie wirklich nur um einen Gefallen. Alleine die so nett vorgetragene Bitte beeindruckte sie mehr als ihre schlechten Erfahrungen, denn eigentlich war sie recht optimistisch und gutmütig, was sie auch gern gezeigt hätte, wenn sie nicht immer wieder schlecht und herablassend von den Leuten behandelt worden wäre. Nun, Jonas war nicht von hier, wollte sie sicher nicht auch noch quälen.
Sie fand ihn sogar recht komisch mit seiner Geschichte. Er behandelte sie ganz anders, als die Leute, die sie kannte. Er gab vor, ihre Hilfe zu brauchen und war sehr höflich und nett, akzeptierte sie offenbar nach kurzem Zögern, als er hörte, daß sie die Aufgaben des Gloeckners wahrnehme. Das bekam ihr sehr gut, er machte keine Bemerkungen dazu, zweifelte ihre Fähigkeiten nicht an.
Jonas Geschichte amüsierte sie, faszinierte sie. Er wollte also diese junge Frau beeindrucken, die offenbar aus den wohlhabenden Familien der Hauptstadt stammte und total gelangweilt und verwöhnt sein mußte, sonst wäre sie nicht ausgerissen, um den Sommer über das einfache Leben hier kennenzulernen. Er wollte sie beeindrucken und ihm war nichts besseres eingefallen als sich als wandernder Gloeckner auszugeben. Ihr wollte nicht einleuchten, wie das das Interesse der Frau wecken sollte. Wenn sie nur etwas intelligent war, sollte sie seine Flunkerei natürlich durchschaut haben und trieb nun ihre Spielchen mit ihm und auf seine Kosten.
Petra war plötzlich völlig klar, daß Jonas tun konnte, was er wollte, wegen solcher Geschichten würde ihn die Frau niemals ernst nehmen. Die hatte ihn hierher geschickt, um sich einen Spaß mit ihm zu machen. Es gefiel Petra aus naheliegenden Gründen nicht, wenn sich jemand auf Kosten eines anderen einen Spaß erlaubte.
Sie dachte sich, zu überzeugen wäre Jonas ohnehin nicht so schnell, die Finger von der Frau zu lassen. Sie fand ihn aber nett, würde ihm schon deshalb eine Bitte nicht abschlagen wollen. Wenn sie mitspielte, würde er schon allein herausfinden, daß diese Frau ihr Spiel mit ihm trieb, sie konnte ja auch gegebenenfalls mal vorsichtig ein Wort in der Richtung fallen lassen. Sie schätzte Jonas durchaus als intelligent ein - nur seine Schwärmerei ließ ihn offenbar Torheiten begehen - das fand sie sogar recht sympathisch.
Es könnte ja auch ein ganz interessanter Sommer werden, sie wollte Jonas schon in das Handwerk eines Gloeckners einführen, auch das sicher eine vergnügliche Unterhaltung und eine nette Gesellschaft. Viel spannender zumindest als die Tuscheleien und Gemeinheiten der anderen Leute zu ertragen.
So sagte sie ihm, sie würde mit ihrem Vater, dem Gloeckner, und dem Pfarrer reden und die schon überzeugen, daß sie etwas Hilfe gut gebrauchen könne. Das werde schon gelingen, wenn er außer Kost und Logis nicht auch noch Lohn wolle.
Jonas war erfreut, Lohn wollte und brauchte er natürlich nicht. Er sagte ihr zu, ernsthaft bei der Sache sein zu wollen und sie zu unterstützen, soweit er das könne und solange er da sei.