Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2015-07-15/08-03
Der Morgen gestaltete sich bis zum Frühstück ähnlich wie am Tag zuvor. Gundula hatte damit gerechnet, daß sie nun die Reisevorbereitungen entschieden vorantreiben würden. Paul erklärte allerdings, er müsse sich wegen der Regenfälle in den letzten Tagen um die Bewässerungsanlage kümmern, da erst einmal wohl eher mit Trockenheit zu rechnen sei, komme es nun darauf an, das aus den Bergen oder Hügeln kommende Wasser richtig zu verteilen und überschüssige Mengen auf verschiedene Speicher zu verteilen, sonst könnte es für die Ländereien in den kommenden Wochen recht trocken werden. Zudem, so führte er weiter aus, wolle er noch zu einem Treffen, sozusagen einem inoffiziellen Gremium, wo er zu erfahren hoffe, wie die aktuelle Lage an der Grenze aussehe und ob oder wann sie es wohl gut riskieren könnten, die Reise anzutreten.
Gundula war sichtlich enttäuscht, sie wollte endlich los. Paul merkte das wohl und dachte sich, Langeweile fördere ihre Ungeduld nur und schlug vor, sie könne doch derweil im Garten nach dem Rechten sehen und ordnen, was sie für richtig halte, sie habe ja gestern schon an einigen Stellen entsprechende Anmerkungen fallenlassen. Aber sie solle es schon ruhig angehen lassen, denn dem Garten gehe es ja schließlich so schlecht nicht und die anstehende Reise würde ihnen ja schon einiges abverlangen, da wäre es albern, sich schon vorher an dem Garten zu erschöpfen.
Gundula bedachte sich, einerseits war sie Prinzessin und Gartenarbeit eigentlich nicht ihre Angelegenheit, andererseits hatte sie eine Unterkunft und zu essen. So nickte sie. Sie verabredeten sich noch ähnlich wie am Vortag zum Essen, welches Gundula wieder zubereiten sollte.
Nach dem Abräumen und Säubern des Frühstücksgeschirrs zog Paul los. Gundula begab sich in den Garten, aber sie war noch immer enttäuscht. Ein paar Sachen erledigte sie, doch das vermochte sie nicht wirklich zu beruhigen. Sie wollte los und dieser Drang war nicht zu bändigen. Den Weg zu dem Flecken mit einem Laden kannte sie ja nun, hatte die Häuser gar gestern von weitem bereits gesehen. Sie ging zurück ins Haus und überlegte. Sie hatte kein Geld, wenigstens etwas wäre für die Reise aber sicher sehr nützlich gewesen. Als Prinzessin war sie mit richtigem Geld nicht so vertraut. In ihrer Welt war Geld eher eine abstrakte Zahlenaufstellung in irgendwelchen Bilanzen, die es auf Manipulationen zu prüfen galt. In diesem Falle mußte sie wohl nach Münzen oder Scheinen mit Zahlen und Köpfen bekannter Herrscher drauf suchen.
Als sie aber so die Schubladen durchsuchte, gar etwas von diesem Bargeld fand, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie war immerhin Gast, da konnte sie nicht einfach mitnehmen, was man ihr nicht gegeben hatte. Also schloß sie die Schublade wieder ohne etwas einzustecken. Bei den Karten war die Entscheidung schon schwerer. Das waren auch eindeutig nicht ihre, aber sie brauchte wenigstens die von der Region Wrec hier, um voranzukommen. Aufgrund ihres gemeinsamen Studiums gestern waren die Karten für die Reise gedacht, aber nicht unbedingt, daß sie sie einsteckte und damit alleine loszog. So nahm sie doch lieber ein paar leere Blätter und einen Stift und pauste die wichtigsten Teile der Karte ab. Sie schaute sich dann den Stift, der sehr gut in der Hand lag, etwas genauer an, das war wirklich ein sehr gutes Exemplar. Er hatte gar eine goldene oder vergoldete Spitze für die Tinte, sonst aber wenig Verzierungen, robust, lag aber hervorragend in der Hand, das Gewicht genau austariert. Daß Paul solch ein gutes Schreibwerkzeug hatte, schien ihr etwas über ihn und seinen Stand zu verraten, ähnlich wie die weichen, grazilen Hände, die sie mochte. Da verbarg sich mehr als er erzählt hatte. Woher hatte er das Geld, um dieses Gut zu kaufen, selbst wenn es wegen der Krise günstig zu bekommen war? Was hatte er eigentlich vorher gemacht? Er war offenbar gebildet und kannte sich mit technischen Angelegenheiten aus, hatte aber ähnlich wie sie auch ein angelesenes(?) Wissen über viele Dinge, auch über die Pflanzen auf dem Gut.
Nun, allerdings hatte sie ein anderes Ziel, sie mußte los. Pauls Geheimnisse oder wenigstens seine Vergangenheit waren nicht ihre Angelegenheit und ihn schien die Lage in seiner alten Heimat nicht sehr zu drücken. Er fühlte sich hier wohl, womit sie unter anderen Umständen unbedingt einverstanden gewesen wäre, das war ein wunderbares Gut, eine schöne Landschaft. Hier konnte man es eigentlich gut aushalten, kein Wunder, daß Paul keine Lust auf die Reise hatte. Sie drängte es aber unbedingt Heim!
Mit nicht viel mehr als der geschenkten(?) Kleidung auf dem Leib und etwas Wasser eilte sie davon, den Weg entlang und mit klopfendem Herzen. Sehr wohl war ihr nicht dabei, aber sie konnte sich wehren, war nicht so hilflos, so schutzbedürftig, unselbständig, wie Paul wohl immer noch annahm. Sie würde sich schon irgendwie durchschlagen. Erst einmal zu dem Laden. Dort würde sie schon etwas für die Reise organisieren können. Wie eigentlich? Man kannte sie ja nicht und sie hatte auch nichts von diesem Bargeld! Sie war ja auch nicht besonders diplomatisch und unter den gegenwärtigen Umständen war es wohl auch mit einem Kredit kompliziert. Sie konnte immerhin versuchen, Paul als Bürgen zu erwähnen, das stimmte zwar nicht genau, aber wenn sie wieder daheim war, würde sie für ihre Schulden schon komplett aufkommen, sie wollte niemandem etwas schuldig bleiben. Und dann dachte sie auch an die Kandidaten und Verehrer. Irgendwie waren die immer recht schnell bereit, irgendeine Dummheit für sie zu machen, wenn sie sie nur anlächelte und ermunterte. Daß sie sich dann im Endergebnis selbst lächerlich machten, war das dann wirklich ihre Schuld? Wenn die nicht schlau und geschickt genug waren, die Prüfung überhaupt zu erkennen oder dann zu bestehen? Vielleicht, so dachte sie, könnte sie mit einem Lächeln und ein paar guten Worten auch auf ihrer Reise genug erreichen, um durchzukommen. Darauf wollte sie setzen.
So eilte sie entschlossen den staubigen Weg entlang und bald schon sah sie in der Ferne die paar Häuser, die den Flecken bildeten, also los, das war ihr nächstes Ziel!
Paul kam indessen ganz gut voran mit der Umleitung des Regenwassers aus den Bergen. Damit fertig, ging er übers Land und dachte nach, wie er die Prinzessin nun am sichersten nach Hause bringen konnte. Ganz wohl war ihm nicht dabei. Zwar konnte er sich auch verteidigen, war aber nicht der große Kämpfer. Und zwei Fußgänger, Mann und Frau auf einem langen Weg wirkten nicht allzu abschreckend auf potentielle Angreifer. Hätte sie wenigstens Pferde, würden sie zügig vorankommen. Die Bauern hatten welche, aber die brauchen sie selbst und die Prinzessin auf solch ein breites Bauernpferd zu setzen, war auch nicht richtig, da konnte er sie auch gleich auf einem Ochsen durch die Gegend treiben, wobei selbst der nicht einfach zu bekommen wäre. Derzeit hielten die Leute ihre Tiere und ihren Besitz hier gut zusammen.
Paul zögerte und hielt an. In der Ferne sah er eine Gestalt den Weg entlangeilen. Sie kam vom Haus. Das mußte Gundula sein! Was wollte sie hier? Sie eilte offenbar zum Flecken, wollte also weg! Offenbar wollte sie entgegen den gut gemeinten Absprachen eigenmächtig losziehen. So ohne Vorbereitung konnte das nur schiefgehen. Sie hatte sich hoffentlich genug Proviant eingesteckt. Viel Geld konnte sie nicht gefunden haben, er hatte nur wenig in Schubladen herumliegen, damit mögliche Diebe es gleich fanden und nicht allzu intensiv nach mehr suchten. So jedenfalls würde sie es nicht schaffen. Paul beschloß, ihr zu folgen. Sie war dickköpfig, erwachsen und selbständig, aber ein wenig verantwortlich fühlte er sich schon. Sie kannte sich besser mit Büchern, Räten und Gremien aus, nicht mit den Leuten vom Land und schon gar nicht mit Spitzbuben und Räubern, wobei er einräumen mußte - mit den üblichen Spitzbuben und Räubern kannte er sich auch nicht gut aus.
Gundula hatte dann irgendwann die Ansammlung von Häusern erreicht. Es war nun später Vormittag und bemerkenswert ruhig hier. Aber sie hatte keine Mühe, den Laden zu finden, um zu suchen, war der Ort definitiv zu klein. Es war ein Laden mit eher kleinem Schaufenster. Da schien man jedenfalls alles zu bekommen, was man auf dem Land so brauchte und nicht selber herstellte.
Sie stand vor der Tür und überlegte einen Moment. Spontan nahm sie die Klammern aus dem Haar, daß ihre Zöpfe lang herabfielen. Sie spiegelte sich im Glas der Tür. Kurzentschlossen löste sie auch die Zöpfe und schüttelte ihr langes, lockiges, prächtiges Haar auf. Vielleicht konnte sie damit ja Eindruck machen. Sie straffte ihre Gestalt wie zu einem offiziellen Auftritt, damit hatte sie sich noch immer Respekt verschafft. Als sie durch die Tür eintrat, klingelte oben ein kleines Ensemble von Glöckchen. Sie schaute sich um, hatte sich im Kopf schon grob zurechtgelegt, was sie brauchen würde. Und ein paar Sachen sah sie auch schon. Pauls Sachen waren ganz in Ordnung, um sich damit zu bewegen, aber sie brauchte auch Ersatz, einen Rucksack, etwas Proviant, Wasserbehälter, ein praktisches, einfaches Sommerkleid, ein großes Jagdmesser doch wohl, vielleicht eine Pistole und Munition, wenn man das hier bekommen konnte. Eine Flinte wäre zu schwer und zu sperrig gewesen.
Durch die Türklingel benachrichtigt, nahte nun ein junger Mann aus einem Hinterzimmer. Sichtlich erstaunt starrte er mit offenem Mund auf die Erscheinung in seinem Laden. Es war der Sohn des Krämers - und so etwas, solch eine Frau, ein Engel? hatte er hier in der Gegend noch nicht gesehen. Ihm stockte der Atem und der stotterte etwas Unverständliches. Und als dieses zauberhafte Wesen ihn auch noch freundlich anlächelte, rutschte, wie er meinte, sein Herz endgültig in die Hose, tatsächlich rauschte aber eine ordentliche Menge Blut in den Unterleib und bekundete da nur allzu deutlich, wie anziehend er dieses Wesen fand. Unterdessen, der Blutstau unten führte zu einem Mangel im Kopf und so hatte er etwas Mühe, den Ausführungen der jungen Dame zu folgen, die irgendwas erzählte, wozu er nur nickte, weil allein schon ihre Stimme ihn vollkommen in einen Bann schlug, daß es ihm vorkam, als sei er in einem Traum, einem sehr feuchten Traum. Seinen Blick konnte er nicht von ihren Lippen abwenden, wie köstlich sie sich bewegten, bei jedem Wort. Was für ein Himmelsgeschöpf, oder profaner: Was für ein Weib! Zum Gesamteindruck trug auf jeden Fall auch bei, daß ihr dünnes Hemd bei jedem tiefen Atemzug spannte und sich so die Wölbung ihrer Brüste gut abzeichnete. Der junge Mann mußte schlucken, als habe er eine Kröte im Hals.
Gundula bemerkte mit Genugtuung, daß sie bei dem jungen Mann eine gewisse Wirkung erzielte, die sie ähnlich bereits von diversen Kandidaten kannte. Das würde es ihr enorm erleichtern, hier etwas zu erreichen. Sie erzählte nur knapp von ihrem Reiseansinnen und von der etwas problematischen Lage, um die Beschützerinstinkte in dem jungen Kerl zu wecken, das schien zu klappen, denn er nickte verständnisvoll. Das ermutigte sie und sie begann, ihre Einkaufsliste mit ihm durchzugehen, was sich etwas schwieriger als gedacht gestaltete, weil sie irgendwie mehr Eindruck auf den Knaben machte, als für diesen Zweck förderlich war, aber egal, da sie bereits selbst einige Dinge gesichtet hatte, ging es ganz gut, also hin, auswählen, wobei die Auswahl meist ohnehin nicht besonders groß war, gestotterte Erläuterungen von dem jungen Mann abwarten, nicken, lächeln. Nicht zu vergessen: Ab und an eine zufällige Berührung, mit der Seite oder gar mit den Fingerspitzen auf seiner Hand, wenn er ihr etwas reichte. Sie beobachtete genau, das hatte gute Wirkung, den Burschen würde sie gut um dem Finger wickeln können. Sie hatte darin keine Erfahrung, eher im Gegenteil, zunächst war sie etwas unsicher, dann machte es aber auch Spaß, aus dem jungen Mann einen brabbelnden Idioten zu machen. Sie hätte nicht gedacht, daß das so extrem wirken würde, aber nun gut, sie mußte zusehen, wie sie zurechtkommen konnte. Und dabei war ihr die Aufführung eigentlich durchaus peinlich. Der arme Kerl machte sich zum Idioten, nur weil sie da war und sich mit ihm unterhielt. Das war ein wenig unheimlich, aber in ihrer jetzigen Lage auch sehr nützlich.
Der Rucksack und die wichtigsten Sachen waren schnell zusammengestellt, sie waren beinahe fertig, kamen aus den Tiefen des Ladens ein letztes Mal zurück an den Verkaufstresen, wo sich alles versammelt hatte, wonach Gundula derzeit begehrte, ein recht bescheidener Haufen, aber es mußte ja auch alles in den Rucksack passen und sie mußte es über eine lange Distanz tragen können, also bescheiden, minimalistisch, praktisch auswählen. Gundula war ganz damit beschäftigt, den Burschen irgendwie um den Finger zu wickeln, was nun wirklich nicht ihre Spezialität war, sie pflegte ja eigentlich lieber Verehrer abzuwehren und zu erschrecken oder zu blamieren. Dieser hier war von Minute zu Minute mehr für sie entflammt, was sie schon etwas sorgte. Vielleicht hatte sie doch übertrieben? Sie hatte da keine Erfahrung, aber sie mußte mit dem Rucksack voller Sachen auch irgendwie auf Kredit raus aus dem Laden, weswegen jetzt der heikle Aspekt der Angelegenheit begann.
Sie war ganz darauf konzentriert, ihren Plan, ihre Worte zurechtzulegen, um den Burschen zu überzeugen, daß sie gar nicht richtig mitbekam, was der Bursche stotterte und brabbelte. Aber irgendwie war der vor Liebe oder Leidenschaft entbrannte Bursche plötzlich auf sie zugeeilt, noch bevor sie etwas unternehmen konnte, hatte er sie zitternd umarmt und an sich gezogen! Das war doch völlig absurd. Sie war erstarrt, der Bursche war aber ohnehin nicht zu bremsen, sondern drückte gleich recht frech seine blassen Lippen auf ihren köstlichen, süßen Mund ...
'Plopp!' und dann 'Platsch!' und da war die Umarmung des jungen Burschen auch schon gelöst, ja der ganze Bursche war weg, beziehungsweise seine Kleidung wirbelte zu Boden und als Gundula verwundert und erschrocken hinuntersah, saß da eine äußerst verwirrte Kröte auf dem leeren Kleiderhaufen und quäkte stotternd und kläglich!
Praktisch im Moment der üblen Kußattacke wurde die Tür des Ladens aufgerissen. Paul war kurz zuvor angekommen und hatte durch das Fenster kurz beobachtet, was vor sich ging. Als aber der offenbar gänzlich betörte Krämersohn ansetzte, um Gundula mit einer Umarmung zu beglücken, stürmte er herein, und was dem Krämersohn bei der Aktion als himmlisches Geläut erschien, waren doch nur die Türglöckchen, die ob der aufgerissenen Tür heftig tönten!
Paul war schon sehr überrascht über die Verwandlung des Krämersohns, aber geistesgegenwärtig nahm er von der Seite eine guten Zinkeimer und stülpte ihn erst einmal umgedreht über die Krämersohnkröte auf dem Kleiderhaufen, die immer noch äußerst verwirrt war und noch gar nicht registriert, geschweige denn verstanden hatte, was eigentlich vorging.
Paul schaute Gundula nur an. Die senkte sehr verlegen den Kopf, ihre Wangen hatten sich gerötet, nicht etwa bedingt durch die Kußattacke, sondern weil Paul dicht vor ihr stand und sie ansah. Sie fühlte sich ertappt, wie ein kleines Kind, was ganz offenbar großen Blödsinn angestellt hatte. Paul aber schalt sie gar nicht aus, schaute nur eine Weile, erst auf sie, dann auf die Sachen auf dem Tresen und die Rechnung, welche der Krämersohn schon ausgestellt hatte.
'Endlich, Endlich!' dachte Gundula 'ich habe es verdient, ausgeschimpft zu werden!', als Paul die Stille brach: "Und nun?"
Gundula zuckte nur hilflos die Schultern, damit hatte sie nicht gerechnet, also weder,
daß der Bursche es einfach wagen würde, sie zu küssen, noch daß er sich in eine Kröte verwandeln wurde.
Aber genau das war geschehen.
Paul schaute sie schräg von der Seite an: "Du hast ihn heiß gemacht, um die Sachen auf Kredit oder geschenkt zu bekommen, oder? Und jetzt bist du betroffen, geschockt, daß er nicht nur auf die Anmache angesprungen ist, sondern auch gleich auf dich? Du bist hier nicht in deinem Palast oder Elfenbeinturm. Das hier ist die freie Wildbahn sozusagen."
Gundula verstand nicht genau, was er mit den Worten meinte, mit heißmachen oder anmachen, ahnte aber, daß bei ihrem Plan etwas gänzlich schiefgegangen war und daß das vorrangig ihre Schuld war. Nun kam sie sich wirklich wie eine dumme, einfältige Prinzessinenzicke vor, die gar nichts allein auf die Reihe bekam. Sie ließ die Schultern hängen und all ihr Stolz, ihr Selbstvertrauen, ihre Zuversicht waren dahin. Oh! Das war mehr als peinlich, sie hatte sich mehr als blamiert. Es war ganz und gar nicht angemessen gewesen, was sie hier veranstalten wollte. Es gab keine Entschuldigung, es war alles falsch, so sehr sie auch nach Hause wollte. Der Zweck heiligte doch nicht die Mittel! Sie stotterte ähnlich wie kurz zuvor noch der Krämersohn etwas unverständlich vor sich hin, riß sich dann aber irgendwie zusammen: "Ich bin eine blöde Zicke. Aber den können wir doch nicht so lassen!" dabei wies sie auf den Zinkeimer hinunter, der noch immer die Kröte unter sich verbarg.
Paul nickte nicht einmal, lehnte sich grübelnd an den Tresen, schien ratlos. Gundula wollte das alles ungeschehen machen und langsam arbeitete ihr Verstand wieder, obgleich er sich lieber verschämt in eine Ecke verkrochen hätte. Indes, die Situation erforderte seine Anwesenheit. Dann brach die Idee mit einem Male aus ihr hervor, noch bevor sie sie einer kritischen Prüfung unterzogen hätte oder dafür eine angemessene Formulierung gefunden hatte: "Du hast mich geküßt und ich bekam wieder meine menschliche Gestalt. Er hat mich geküßt und wurde zur Kröte. Du mußt ihn küssen, damit auch er sich zurückverwandelt!"
Paul schaute sie nur zweifelnd an: "Ich soll den von dir in eine Kröte verwandelten Krämersohn küssen?"
Gundula mußte gedanklich einräumen, daß sie das auch widerlich gefunden hätte, aber gab es einen anderen Ausweg?
Ihr Kuß hatte ja offenbar bereits Unheil bewirkt, wobei sie annahm, daß es in diesem Falle wohl letztlich gleich war,
daß der Bursche sie geküßt hatte, die Wirkung wäre wohl nicht reversibel, wenn sie nun diesen küßte - wobei eine Kröte
zum Burschen küssen - ihr lief es eiskalt den Rücken runter. Das war eindeutig eine Herausforderung, mit welcher der
gutmütige, ruhige, bedachte Paul viel besser fertig werden würde als sie.
Sie würde die arme Krämersohnkröte eher gegen die Wand klatschen, bevor sie sie küßte - und damit hätte sie ihren fatalen Fehler
nun wirklich nicht wieder gutgemacht. So also flüsterte sie kaum hörbar und was sie sagte fiel ihr wirklich schwer: "Bitte!"
Sie schaute ihn dabei nicht einmal an, sondern zu Boden, wo noch immer die Kleider von dem Burschen lagen.
Wie peinlich auch, wenn der wirklich plötzlich nackt vor ihr stehen würde, das mochte sie sich gar nicht vorstellen.
Bei Paul schon eher, mit dem war sie wenigstens schon etwas vertraut, aber das wäre eindeutig zu viel.
Erschrocken schob sie den Gedanken an einen nackten Paul beiseite und fuhr fort: "Bei mir wird es doch sicher nicht funktionieren,
bei dir vielleicht schon, du bist der richtige Mann, ich nur eine blöde, einfältige Prinzessin!"
Paul überlegte, konnte das klappen? Hatte sein Kuß etwa auch bei dem Krämersohn solch eine Wirkung? Konnte das möglich sein? Ein Krötenkuß war ihm im Grunde schon zu viel. Das Ergebnis war dann ja im Grunde so schlecht nicht, obgleich es ihm jetzt eine Menge Ärger bescherte, 'man wird eben immer für seine Taten bestraft' dachte er sich. Aber wenn es funktionierte, das Ergebnis eines verliebten, nackten, vielleicht noch erregten, mindestens aber sehr verwirrten Krämersohns schien nun gar nicht verlockend zu sein. Aber so lassen konnten sie das auch nicht, der arme Junge. Strafe hatte er vielleicht verdient, selbst wenn Gundula Blödsinn angestellt hatte und ihn becirct hatte, so war es doch keinesfalls in Ordnung, daß er diese gleich anfiel, denn es war wohl ausgeschlossen, daß Gundula ihn aufgefordert hatte, sich ihr zu nähern oder gar zu küssen. Selbst als Kröte war ihr das schon sehr schwergefallen und hier gab es einen solchen hinreichenden Zwang nicht. Schließlich sprach er, während er die Sachen in den Rucksack packte: "Also gut, du verziehst dich schleunigst, nicht nur aus dem Laden, sondern ganz auf den Weg zurück zum Haus. Wenn das mit dem Burschen hier klappt, tische ich ihm eine Geschichte auf, die zu seiner Verwirrung passen wird. Dann regele ich das noch mit den Sachen im Rucksack und komme nach."
Gundula nickte kaum und stürmte schon erleichtert durch die Tür nach draußen, daß die Glöckchen an der Tür nur so bimmelten. Sie rannte, als sei eine Horde Raubtiere hinter ihr her, schaute sich nicht um, rannte nur durch die heiße Mittagssonne, weiter, immer weiter zurück den Weg zum Haus.
Indessen zögerte Paul noch, raffte sich dann aber entschlossen auf. Mit arg verzogenem Gesicht näherte er sich dem Zinkeimer. 'Also los!' dachte er 'nun gilt es! (erneut)!' Und das war nun beinahe eine Bewegung, Eimer schwungvoll zur Seite, Griff nach der Kröte, Augen zu und durch, beziehungsweise: Kuß!
Schwuppdiwupp! und Wutsch! erneut wurde seine Hand vom Gewicht nach unten geschlagen, er wich zurück, öffnete die Augen. Gut der Anblick war sicher nicht schön in dem Sinne, jedenfalls nicht für ihn, aber es war immerhin wieder der Krämersohn, der da nackt auf seinem Kleiderhaufen stand, komplett verwirrt und verdattert. Das mußte Paul ausnutzen und so kritisierte er spontan: "Also wirklich, Karl!" (so hieß der junge Bursche) "Was fällt dir ein? Ziehst dich aus, stürmst auf mich los, küßt mich? Geht es dir noch gut? Schäm dich, das ist völlig inakzeptabel. Ich muß dir leider sagen, daß ich dein Interesse nicht erwidern mag, das ist sicher nicht meine Neigung! An sich ist das natürlich völlig in Ordnung, nur nicht gerade mit mir!"
Karl aber stotterte nur, war völlig verwirrt, barg nicht einmal das tatsächlich noch immer stehende Geschlechtsorgan mit den Händen und starrte recht blöd. Auch das wußte Paul zu nutzen: "Also, siehe, ich habe die Rechnung unterschrieben, bringe das Gelde bald abends vorbei, wenn dein Vater im Geschäft ist. So können wir diese Peinlichkeit sofort beenden. Ich verrate auch niemandem etwas."
Tatsächlich hatte er die Rechnung mit einem Vermerk und Unterschrift zum Schuldschein umfunktioniert, hob noch grüßend die Hand und
verschwand mit dem gepackten Rucksack durch die bimmelnde Tür nach draußen.
Da mußte er dann doch sowohl sehr erleichtert als auch herzhaft lachen. Der Bursche hatte aber auch zu blöd dreingeschaut. So ging er dann doch recht gut gelaunt, trotz des dramatischen Zwischenfalls und des erneut aufgezwungenen Kusses einer Kröte, auf dem Weg zurück zu seinem Gut. Noch eine ganze Weile schüttelte er unterwegs den Kopf und lachte. Gut, der Bursche tat ihm auch etwas leid, denn im Grunde war er recht harmlos, gutmütig und zurückhaltend, so wie er ihn bislang kennengelernt hatte. Aber gut, hier hatte er sich eindeutig mehr als schlecht benommen. Die Folgen hatte er sich auch ein gutes Stück selbst zuzuschreiben. Hätte er sich nicht verwandelt, hätte er von Gundula vermutlich umgehend eine Ohrfeige kassiert - und wer weiß, ob ihr Zorn damit schon besänftigt gewesen wäre. Auch diese tat ihm dabei ein wenig leid. War sie sich ihrer Wirkung nicht bewußt? Oder war sie es und nutzte es? Er konnte sich eigentlich nicht vorstellen, daß das ihrem normalen Verhalten entsprach. Hatte sie hier in der Krise eine Dummheit begangen und den armen Karl provoziert? Sie hatte immerhin die Zöpfe gelöst, das war sicher nicht zufällig passiert, aber gewiß hatte sie die Wirkung ihrer Erscheinung unterschätzt und es sprach im Grunde alles dafür, daß sie dann der Angelegenheit nicht gewachsen gewesen war. Sozusagen wurde sie die Geister nicht mehr los, die sie gerufen hatte. Es war also sicher für Karl und Gundula gut, daß er ihr nachgegangen war.
Aber was war da eigentlich vorgegangen? Warum hatte sich der Bursche bei dem geraubten Kuß in eine Kröte verwandelt? Der Fluch konnte doch unmöglich auf den Krämersohn wirken! Also mußte er noch immer bei Gundula wirken. Trotz der Verwandlung war er offenbar noch nicht gänzlich gebrochen. Sie blieb gefährlich - und das vermutlich selbst ohne Fluch.