Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2003-07-21/08-06
Am Grenzwald angekommen, wußte Liese gar nicht genau, wie es weitergehen sollte. Auf der westlichen Seite des gewaltigen Waldes hätte die Gefahr bestanden, ihren Brüdern zu begegnen oder ihrem Vater in die Hände zu fallen, so hatte sie sich gleich etwas Richtung Osten gehalten. Im Nordosten jedoch hätte sie irgendwann wieder der rote Ritter aufgegriffen. So entschloß sie sich, erst einmal südöstlich am Waldrand entlang zu reiten, bis vielleicht einmal ein Weg in südlicher Richtung in den Wald hineinführe. Denn obwohl dieser recht unheimlich wirkte, erschien es ihr besser, dorthin zu entschwinden, als doch noch eingeholt zu werden. Sie hatte auf ihrer Flucht weder geschlafen noch länger als für die Pferde notwendig gerastet und war nun todmüde und erschöpft, wie auch die Rösser. Sie ritt dennoch in mäßigem Tempo weiter bis zur Dämmerung. Dann folgte sie einem Bach ein Stück in den Wald hinein, kümmerte sich um die Pferde und schlief an einen Baum gelehnt wenig später ein. Am Morgen sammelte sie Beeren soviel sie konnte und frühstückte. Das mitgenommene Essen war fast aufgezehrt, doch kannte sie die eßbaren Beeren und Gräser und sorgte sich nicht allzu sehr. Sie zog weiter den Waldrand entlang, übernachte wieder im Walde und so ging es ein paar Tage lang.
Eines mittags sah sie in der Ferne zwei Pferde grasen. Bis jetzt hatte sie sich von jeder Siedlung fern gehalten und war auch hier vorsichtig, nahm jedoch allen Mut zusammen und ritt weiter. Etwas näher heran hörte sie fröhliches Lachen zweier Frauen, die wohl im Grase lagen. Sie stieg ab und führte die Pferde weiter, doch durch das Schnauben eines ihrer Rösser wurden die beiden Frauen aufmerksam, richteten sich auf - und als sie nur eine Frau sahen, erhoben sie sich ganz aus dem Gras. Sie mußten sich miteinander vergnügt haben, denn zügig zupften sie ihre Kleider zurecht und standen, sich an den Händen haltend nebeneinander. Sie grüßten Liese freundlich, die das erwiderte. Sie wurde nach ihrem Weg gefragt und sie antwortete erst ausweichend, aber die beiden waren sehr nett, daß sich Liese gleich gern mit ihnen unterhielt. Die beiden luden Liese ein, von ihrem reichlichen Picknick zu kosten - und so aß sie sich erst einmal satt, während sie die beiden mit einigen Waldbeeren erfreuen konnte, die einen sehr intensiven Geschmack hatten.
Die beiden Frauen gaben an, daß sie in einer Burg ganz in der Nähe lebten, ein Stück weit im Grenzwald auf einer Insel gelegen, welche man nur über eine schmale Passage erreichen konnte. Die Burg sei sehr groß und ihr Herr sehr gastfreundlich. Er lasse sich aber kaum einmal sehen, habe seine Diener aber angewiesen, jedem Quartier zu gewähren, der darum bitte und einen ehrlichen und aufrichtigen Charakter habe. Und wer mit den anderen Bewohnern der Burg gut auskomme, dürfe bleiben und sich den Verlustigungen der Gesellschaft anschließen, sie bereichern oder einfach nur die Gesellschaft genießen. Liese gab nun zu, daß ihr ein gutes Quartier für ein paar Tage ganz gelegen käme, da sie derzeit nicht wisse, was sie weiter unternehmen werde. Sie faßte etwas Vertrauen zu den beiden, und erzählte, sie habe sich verliebt, sei aber auf einen Schuft hereingefallen, der sie erst geschwängert habe und als sie ihm das mitgeteilt habe, habe er sie brutal zusammengeschlagen und sie verlassen. Ihre Eltern hätten nicht zu ihr gehalten und unter Zwang sei ihr Kind abgetrieben worden, wonach sie mit einem viel älteren Kerl verheiratet worden sei, der sie nur erniedrigt und ausgenutzt habe. Dann sei sie geflohen. Zum ersten Mal strömten ihr hemmungslos die Tränen und die beiden Freundinnen trösteten sie und versprachen ihr, sich in der Burg ein wenig um sie zu kümmern, bis sie wisse, was sie machen könne und selber klar komme.
Sie erzählten wieder von der besonderen Gesellschaft auf der Burg, an der sich der Burgherr offenbar so sehr erfreute, ohne kaum jemals gesehen zu werden. Jeder entscheide dort selbst, wie und mit wem er verkehre, es gebe keine festen Gesellschaftsformen, ein jeder suche sich eigene Partner - ob nun zum Gesellschaftsspiel, Gespräch oder für intimere Dinge, ob nur für eine Nacht oder für Wochen oder Monate - und wem nicht danach zumute sei, der könne diesen Möglichkeiten und Freiheiten auch auf Dauer widerstehen und sich anderen Vergnügungen und Zeitvertreiben widmen. Sie müsse dort also nicht fürchten, von irgend jemandem zu irgendetwas gezwungen zu werden oder wegen irgendwelcher Neigungen verurteilt zu werden. Solange niemand Schaden nehme, sei dort nichts frevelhaft und werde toleriert.
Es gäbe dort viel Zerstreuung, Konversation, Musik, Literatur und allgemein kulturelle Aktivitäten, um daran teilzuhaben, zu diskutieren, daß es niemals langweilig werde. Wenn man jedoch wieder gehen möchte, so werde einen niemand daran hindern.
Liese gab zu bedenken, daß sie nur wenig Geld habe, nur etwas Schmuck. Sie könne so ein wunderbares Quartier gar nicht bezahlen. Doch die beiden lachten vergnügt, der Burgherr sein ein sehr reicher Mann - die Diener werden ihr schon kostenlos ein bescheidenes Quartier weisen, sie müsse sich darum nicht sorgen. Ja wenn jemand die Burggesellschaft mit seinen Fähigkeiten besonders bereichere und erfreue, dann lade der Burgherr sogar in ein besonderes Quartier ein, welches etwas mehr Platz böte für solche Ehrengäste. Kämen aber reiche Gäste, vielleicht auch mit eigenen Dienern, so kämen sie für ihre großen Quartiere gern selber auf und beteiligten sich an den laufenden Kosten der Burg nach ihren Möglichkeiten, um einerseits den hiesigen Aktivitäten beiwohnen zu können und doch den gewohnten Luxus weiträumiger Unterkünfte zu genießen. So sei allen gedient und zum Glück habe bislang niemand gewagt, die Gastfreundschaft zu mißbrauchen und durch schlechtes Benehmen den anderen Kummer zu bereiten.
So zog Liese mit den beiden Freundinnen zur Burg, wo sie tatsächlich ein bescheidenes Quartier frei bekam. Ihre beiden Rösser aber gab sie im Stall ab, solange sie anwesend war zur freien Verfügung aller, die Bedarf hatten. Das wurde gern angenommen und so waren auch die Pferde versorgt.
Die beiden Freundinnen aber führten sie schnell in die fröhliche Gesellschaft ein und Liese lernte viele nette Menschen kennen, war aber einstweilen nicht bereit zu intimen Kontakten, wie sie hier recht intensiv gepflegt wurden. Zwar gab es wegen ihrer Schönheit und Anmut reichlich Interessenten, die sich jedoch nicht aufdrängten, sondern ihre Wünsche respektierten. Das gefiel ihr gut und sie spürte erstmals, daß sie als Person ernst genommen wurde. Mann und Frau zählten hier gleich viel und niemand hatte mehr Rechte als ein anderer. Und die ihr gegenüber erbrachte Achtung stärkte schnell ihr Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl, daß es ihr leichter fiel, die Vergangenheit allmählich zu verarbeiten, weil sie sich sicher fühlte. Die Spiele und Verlustigungen lenkten sie auch ab von ihren früheren Erlebnissen und so ging es ihr bald besser und langsam kehrte die Fröhlichkeit und der Optimismus zu ihr zurück. Sie stellte sich schnell auf dieses neue Leben ein, wo sie eine von vielen war, nicht mehr die hervorgehobene Position einer Prinzessin hatte mit all den Verpflichtungen und gesellschaftlichen Zwängen. Sie lebte sich gut ein, auch weil sie wegen ihrer Freundlichkeit, Wortgewandtheit und ihres vorbildlichen Verhaltens überall gern gesehen war.
So fand sie auch wieder zur Musik zurück, konnte sich daran wieder erfreuen. Sie war ganz begeistert von den vielen Musikräumen der Burg und den vielen Instrumenten. Als sie sich das erste Mal an einen Flügel setze und eine Weise spielte, war sie glücklich und bald kamen Neugierige hinzu, die sich fragten, wer da so schön spiele und so bat man sie mehr zu spielen. Sie tat es, ob mit oder ohne Notenblätter, ihr Spiel verzauberte die Zuhörer. So spielte sie sich frei - und wenn es ihr einfiel, sang sie dazu mit ihrer wundervollen Stimme, daß ihre traurigen Weisen die Herzen der Mitbewohner tief bewegten oder die fröhlichen Lieder augenblicklich die Stimmung eines jeden im Raume verbesserte. Sie half die Instrumente zu pflegen und zu stimmen, denn ihr Gehör war so fein, daß sie Saiteninstrumente ohne Hilfsmittel aufs perfekteste stimmen konnte, worauf die Musikdarbietungen in der Burg noch einmal deutlich gewannen.
Mit den Interessierten setze sie sich gern zusammen, wenn diese ein Instrument lernen wollten und half ihnen dabei, denn ihr waren viele Instrumente vertraut und sie vermochte allen einen Zauber zu entlocken, der einen jeden in seinen Bann zog. Die singenden Mitbewohner aber sammelten sich ebenso gern um sie, um einmal dieses oder jenes Stück im Chor zu erproben. Doch blieb sie nicht bei dem stehen, was sie gelernt hatte, in der Bibliothek las sie viel, vor allem über Musik und Gesang. So wurde sie schnell zu der Expertin für den Musiktrakt der Burg, die dort zu jeder Frage einen Rat geben konnte und bei jedem Problem helfen, so daß man gern zu ihr kam und sie zu Rate zog.
Rat gab sie auch in heikleren Dingen, da sie nicht nur das kleine Buch des weißen Ritters gut studiert hatte, sondern auch so manch anderes Buch noch im Schlosse ihrer Eltern aber mehr noch in der viel größeren Bibliothek der Burg. Und wenn sie etwas nicht selber wußte, hatte sie doch so viele Kenntnisse, daß sie wußte, wie sie nach Antworten suchen mußte. So war ihr Rat auch in dieser Hinsicht - wenn auch mehr insgeheim - schnell sehr begehrt.
Dem Burgherren war aber offenbar nicht entgangen, wie sehr sie die Gesellschaft auf der Burg durch ihre Aktivitäten zu bereichern vermochte. Und vor allem wegen ihrer großen Liebe zur Musik bot ihr nach einigen Monaten ein Diener im Auftrage des Burgherren ein prächtiges Quartier im Musiktrakt an, mit einem herzlichen Dank, daß sie sich mit so geschickter Hand und Stimme um die Belange der Burggesellschaft verdient mache. Da konnte sie das Angebot nicht ablehnen und wurde so auch aufgrund des vielfachen Zuspruchs hier erst einmal endgültig seßhaft. Der Burgherr ergänzte auch großzügig ihre wenigen Kleidungsstücke, womit bereits von Anfang an die beiden Freundinnen und auch einige andere Frauen begonnen hatten.
Die beiden Freundinnen aber wurden zu ihren Freundinnen und sie waren oft zusammen und genossen die Gesellschaft auf der Burg gemeinsam. Bei ihrem ersten Treffen hatte Liese sich nicht getäuscht, die beiden waren wirklich auch in intimer Hinsicht ein Paar, wenngleich sie beide auch recht ausgiebig Kontakte zu Männern pflegten, um der Abwechslung zu frönen. Die beiden ließen es sich auch nicht nehmen, die Vorzüge einiger Männer zu preisen oder auf besonders gute Liebhaber hinzuweisen, um Liese vielleicht doch einmal dazu zu ermuntern, auch in dieser Hinsicht Kontakte zu knüpfen und auch da am regen gesellschaftlichen Treiben teilzuhaben. Liese lachte über ihre herzhaften Beschreibungen - und sie mußte auch zugeben, daß so mancher stattliche Mann schon ihr Interesse hätte wecken können, wenn es ihr zuvor nicht so schlecht gegangen wäre.