Annette bat mich um Hilfe, und es dauerte eine Weile, bevor ich überhaupt
verstand, um was es ging.
Sie war ja ganz aufgelöst vor Aufregung und zeigte mir, in welche Schwierigkeiten
sie sich mit ihrer hübsch geschriebenen Geschichte gebracht hatte.
Ich lachte vergnügt, was sie da angestellt hatte und fragte, ob sie hingehen
wollte. Sie klopfte nur mutlos auf ihre Rollstuhllehne und erwiderte
"Wie denn?"
Dann begann sie vor Verzweiflung zu weinen. Sie hatte sich in eine ausweglose
Situation gebracht, denn weder wollte sie von Michael lassen, noch traute sie sich,
ihm gegenüber zu ihrer Behinderung zu stehen.
Und dann gestand sie, daß sie mein statt ihr Bild geschickt hatte - und wenn
sie nicht wie ein heulendes Elend vor mir gesessen hätte, hätte ich ihr
eine schallende Ohrfeige gegeben. Es war eine Frechheit, und sie übertraf sich
selbst, als sie vorschlug, daß ich statt ihrer gehen solle. Ich starrte sie an, und sie
fuhr ungeniert fort, daß Anja und ich selbst ja gelobt hätten, wie gut
Michael aussehe und wie wir sie ermutigt hätten, auf ihn einzugehen.
Sie aber könne nicht tun, was mir doch leicht fiele.
Wir schwiegen beide.
Dann erklärte ich ihr, ich hätte das hinter mir. Schon wahr, während
des Studiums war ich schnellen Abenteuern oft nicht abgeneigt und bei so einem Mann
hätte ich nicht nein sagen können.
Bereits als ich dann einen Job hatte, sei das seltener geworden, am Wochenende noch
mal ein oder zwei one-night-stands, aber das auch zunehmend seltener. Dann traf ich
einen alten Bekannten wieder, der mir berichtete, er sei HIV-infiziert. Das war ein
großer Schock. Ich machte den Test, war nicht infiziert und zumindest für
mich erleichtert. Aber ich war ins Grübeln gekommen. Schnelle Abenteuer für
eine Nacht wollte ich nicht mehr und für eine dauerhafte Beziehung war ich
schon immer ungeeignet. Und so hatte ich nur noch wenige delikate Treffen,
jetzt eigentlich gar keine mehr.
Sie bat mich zu lesen, was sie in ihren mails und der Geschichte geschrieben hatte
und wie er jeweils geantwortet hatte. Die Geschichte war gut geschrieben und
sie hatte sogar auf Details geachtet. Ich hatte zum Beispiel tatsächlich zuletzt
immer Kondome benutzt, und das hatte sie auch wirklich beschrieben.
Sie tat mir leid, vielleicht weil ich zu wissen glaubte, was in ihr vorging, welche
Sehnsüchte und Ängste da in ihr durchgebrochen sein mußten.
Ich las auch, was sie sich sonst geschrieben hatten und nahm die zitternd
Weinende in meine Arme. Sie flüsterte "Bitte!" Ich suchte sie
zu beruhigen. Sie aber meinte es wirklich ernst. Naja und er war ja wirklich ganz
süß - nein, das ist das falsche Wort - interessant. Was er schrieb und was
er dachte, gefiel auch mir. Ich schaute mir nochmal seine Bilder an.
Jetzt hatte ich gerade deswegen Bedenken, weil ich Lust bekam, es war ja
schließlich eigentlich Annettes Verehrer. Ich sagte ihr offen, wenn ich
auf ihren Vorschlag einginge, könne gut alles noch schlimmer werden.
Vielleicht habe er den letzten Vorschlag gar nicht ernst genommen und es
wäre am geschicktesten, ihn gar nicht zu kommentieren. Annette
schüttelte jedoch heftig den Kopf, das sei ausgeschlossen. Ich könne
doch lesen, wie begeistert er über mein Bild geschrieben habe, er sei
einfach scharf auf mich - und dummerweise habe sie sich dazu hinreißen
lassen, das noch weiter anzuheizen. Es sei Unfug gewesen, doch es habe
einfach so viel Spaß gemacht, ohne weiteres drauflos zu schreiben.
Sie bat mich weiter und hatte wohl bereits gemerkt, daß ich eigentlich
schon Lust hätte, stichelte, ich täte mich nur zieren und wolle
mein Interesse nicht zeigen, bat mich weiter mit einem Gesichtsausdruck,
der nicht nur Steine, sondern sogar gehärtetes Edelstahl hätte
erweichen können.
Bevor das noch mein Verstand überhaupt mitbekommen hatte, stimmte
ich plötzlich zu. Ich hätte darauf bestehen sollen, daß sie
ehrlich zu ihm und vor allem zu sich sein müsse.
Ich gebe zu, letztlich konnte ich dem verlockenden Gedanken nicht widerstehen,
ihre hübsche kleine Geschichte ein Stückchen weiterzuspinnen.
So planten wir also.