Wenn ich nur etwas nachgedacht hätte, wäre mir doch klar
gewesen, daß Annettes und Sonjas Verhaltensweise einen Grund
gehabt haben mußte.
Natürlich konnte man auch eine internet-Seite für Behinderte
machen, wenn man nicht selbst betroffen war. Wahrscheinlicher war doch
aber, daß man seine Motivation aus der eigenen Erfahrung heraus
schöpft. Hatte sie sich nur gescheut oder gar mir gegenüber
geschämt, im Rollstuhl zu sitzen? Hatte ich bei ihr einen solchen
Eindruck gemacht? Oder hatte sie mit ihrer Freundin einfach nur ein
verrücktes Spiel mit mir getrieben? Wer weiß, vielleicht
förderte ein solcher Schicksalsschlag perverse Phantasien,
Sadismus gegenüber anderen. Ideal getarnt und unerkannt konnte
sie in aller Ruhe im internet ihre Opfer auswählen und sie in
absurde Affären mit ihrer vermutlich sexsüchtigen Freundin
stürzen. Wer weiß, was sie noch alles angestellt hätten,
um sich an meiner Naivität und Dummheit zu weiden. Lächerlich
wollten sie mich machen, sich vermutlich daran erfreuen, wenn sie mich
wieder gnadenlos fallenließen, sobald ich ihnen willenlos ausgeliefert
war.
Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Diese Sonja verstand ich gar
nicht, kannte ich sie doch nur aus ihrer Rolle heraus. Wie konnte die scheinbar
so Einfühlsame das alles nur gespielt haben, wie so abgebrüht sein,
mit mir so hemmungslos ihr Sexspielchen zu treiben?
Zwar konnte ich nicht leugnen, daß ich wahnsinnig genossen
hatte, was ich mit ihr erlebt hatte. Aber so ging es doch einfach nicht. Diese
Nymphomanin hatte sich einen Spaß auf meine Kosten gemacht.
Ich fühlte mich einfach betrogen und ausgenutzt.
Ich wußte, daß es im internet bizarre Figuren gibt, das aber hatte ich nicht erwartet, nicht in einem solchen Zusammenhang. Ich war frustiert und verärgert, nicht zuletzt über mich selbst, weil ich auf sie hereingefallen war. Ich hatte mich zum Idioten machen lassen. Nun gut. Das war passiert und war nicht mehr zu ändern. Schwamm drüber und ab ins Archiv finsterster Erfahrungen.
Anja zeigte viel Einfühlungsvermögen. Etwas verband uns da im Park. Sie sah so zerbrechlich aus, so zart, so zauberhaft. Frech zerzauste der Wind immer wieder ihre kurzen dunklen Haare, ihre Augen wirkten verträumt. War das alles ein weiteres Spiel der drei? Jetzt kam die Rolle der unschuldigen Träumerin, die kein Wässerchen trüben konnte? Was wollte denn diese verrückte Frauenwohngemeinschaft noch von mir? Wollten die Clique mich in den Wahnsinn treiben? Drei dem Ansehen nach zauberhafte Frauen hatten nur ein Ziel, einen wildfremden Mann komplett zu verwirren und fertig zu machen? Wozu das Ganze? Das war doch alles absurd. Dieser Sonja hätte ich einiges zugetraut, Annette aber eigentlich nicht. Und ein Blick in Anjas Augen mußte mich doch eigentlich überzeugen, daß ihr Zuspruch ernst gemeint sein mußte. Sie hatte eine geheimnisvolle Ausstrahlung und sie schien doch auch empört zu sein über das Spiel ihrer beiden Freundinnen. Das wirkte alles echt. Aber wirkte das Spiel nicht auch echt? Wie sollte ich einer der drei überhaupt noch vertrauen? Vielleicht setzte sich das perfide Spiel weiter fort, nur um mich noch mehr zu verletzen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich kam nicht weiter. War es Verfolgungswahn oder ein ernüchternder Einblick in unsere heutige Gesellschaft?
Ich wollte mich nicht nochmal zum Narren machen lassen, wollte aber doch irgendwie sehen, wie das Spiel weitergehen würde, wer Sieger sein würde, wenn es bei so einem Spiel überhaupt einen Sieger geben konnte, wenn man das überhaupt noch ein Spiel nennen konnte...