Als ich Michaels Stimme hörte und wie Anja in Annettes Zimmer ihren Namen sagte, war mir die Katastrophe sofort klar. Ich eilte hinzu und das Desaster wurde nur noch schlimmer. Das mußte die Strafe dafür sein, daß wir nicht aufrichtig gewesen waren, daß wir uns dazu hatten hinreißen lassen, unser Spiel mit ihm zu treiben.
Als Anja später wiederkam, erzählte sie, wie schwer ihn das getroffen hatte, was wir getan hatten. Wir mußten beichten, und als Richterin über unser Vergehen war Anja zurecht böse auf uns, was wir für einen Schabernack mit Michael getrieben hätten. Wir hätten ihr gar nicht zugetraut, daß sie so empört und aufgewühlt sein konnte. Sonst war sie immer die Ruhe selbst. Aber das paßte auch alles nicht zu ihrem verträumten Ideal einer aufkeimenden Liebe, einer zart wachsenden Bindung, zu ihren durch und durch romantischen Vorstellungen.
Es kam natürlich schnell heraus, daß sie ihn verehrte. Unsere verträumte Lehrerin mußte viele Stunden mit seinen Texten aus dem internet verbracht haben, seine Kreativität bewundert haben. Das alles mußte ihre Träumerei weiter angeregt haben.
Umso weniger stieß unser Verhalten auf Verständnis. Dennoch wollte sie vermitteln, damit Michael sich zumindest mit Annette wieder versöhne, mit etwas Glück auch mit mir, was immer sich daraus ergebe. Natürlich erklärten und diskutierten wir noch lange, rechtfertigten uns vor ihr, obwohl wir ja selber wußten, daß wir eine große Dummheit begangen hatten.
Annettes Behinderung ließ Anja nicht als Grund für seine Flucht gelten, das traute sie ihm nicht zu und ich auch nicht. Doch auch das würde sie am nächsten Abend eindeutig klären können, auch zu Annettes Beruhigung oder noch schlimmer, um ihr klar zu machen, daß sie lernen mußte, zu sich zu stehen. Unsere Standpunkte jedenfalls lagen klar auf der Hand und wir konnten nicht mehr tun, als unsere Fehler einzugestehen. Und Annettes Fehler konnte man wohl am leichtesten verzeihen, daß ich den hingegen ausgenutzt hatte, da sah ich schwarz. In einer Situation, in der es um Vertrauen geht, um Zuneigung, waren unsere Fehler natürlich fatal. Wir versprachen uns nicht viel von Anjas Vermittlungsversuch. Das alles mußte Michael zu sehr verwirrt und schockiert haben.