Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2001-02/03
Maria Michaela ging zügig aus der Stadt hinaus. Ihr war klar, nicht lange konnte sie so schnell gehen, doch jetzt verschaffte es ihr große Erleichterung, die Luft, die Natur, die ungewohnte körperliche Betätigung.
Es erfreute sie, einfach so gehen zu können, in einfachen, leichten und bequemen Kleidern einfach munter und unbeschwert voran. Ihr Rucksack schien ihr da nur eine kleine Last zu sein, denn sie hatte hart mir sich gerungen und fast nichts außer etwas Kleidung, Geld, Essen und Trinken für den ersten Tag mit auf den Weg genommen.
Natürlich hatte sie die Karten studiert und sich fest vorgenommen, heute noch einen kleinen Ort zu erreichen, um dort übernachten zu können. Sie wußte, dafür mußte sie sich beeilen, auch natürlich falls ihre Eltern trotz ihrer Anweisungen doch nach ihr suchen lassen sollten. Zwar hatte sie auch noch vorgesorgt, daß sie zwei oder drei Tage nicht vermißt würde und erst dann der Brief ihre Eltern erreichen würde, doch mußte sie mit allem rechnen.
Auch wollte sie nicht unbedingt auf freiem Felde übernachten. Zwar verstand sie es, sich notfalls zu verteidigen, doch war es ja leicht möglich, mehrere Gegner zu haben. So hatte sie sich auch entschlossen, nur übersichtliche und viel benutzte Wege zu benutzen.
Es war schon später Nachmittag und Maria Michaela schon müde durch die ungewohnte Anstrengung, als sie jemanden am Wegesrand sitzen sah, wo ein Feldweg die Straße kreuzte. Auf der Straße waren ihr bislang nur wenige Leute begegnet. Es erstaunte sie etwas, daß der Mann einfach so im Gras saß, offenbar ausruhte.
Bei ihm angekommen, grüßte sie den anscheinend in Gedanken Versunkenen. Der zuckte zusammen, blickte erstaunt auf, grüßte zurück. Das alles sah für die Prinzessin wirklich nicht bedenklich aus, zudem war sie wie immer neugierig und fragte.
Der am Wegesrand Sitzende war natürlich Jonas, der antwortete, er ruhe etwas von seiner Wanderung aus, zeigte, woher er gekommen sei und in welche Richtung er nun weiter wolle. Ob auch sie auf der Wanderung sei oder nur einen Spaziergang mache? Maria Michaela erwiderte, in der Tat sei sie für heute schon lange unterwegs. Sie wandere auch und schaue mal, ob sie irgendwo für ein paar Tage eine Beschäftigung finde und wolle dann weiter ziehen. Sie entschloß sich kurzer Hand auch eine Pause zu machen. Der Mann sah ihr recht vertrauenserweckend aus, auch war es noch hell, ein Dorf zum übernachten schien auch nicht weit zu sein. Sie wollte ja auch andere Leute kennenlernen, warum also nicht gleich jetzt und hier damit beginnen, dachte sie.
So setzte sich auch Maria Michaela ins Gras, und sie plauderten ein wenig. Das Gespräch war fröhlich und unbeschwert, ganz anders als die Konversation, die Maria Michaela sonst gewohnt war. Solche Gespräche gefielen ihr schon, zumal so gemütlich im Gras sitzend ohne Arg und Druck, gesellschaftlich originell sein zu müssen, einfach nur sie selbst sein zu können, eine Frau mit eigenen Ansichten statt einer Prinzessin, auf die das ganze Land sah. Hier mußte sie nicht befürchten, daß alles was sie sagte und meinte herumgetrascht wurde, hier mußte sie ihre Meinung nicht als perfekte Show verkaufen sondern sich einfach nur am Gespräch erfreuen, es munter im Fluß halten, Landschaft und Natur genießen.
Sie erzählte von sich, sie sei ausgezogen, um mehr von der Welt zu sehen, vielleicht ein bißchen als Lehrerin oder Gesellschafterin einer jungen Dame zu arbeiten, um etwas dazu zu verdienen. Im Herbst wolle sie dann aber wieder in die Heimat zurück. Natürlich verschwieg sie, daß sie die Prinzessin war, gab vor, eine gebildete Tochter aus gutem Hause mit pädagogischen Ambitionen zu sein. Und diese Figur konnte sie ja auch gut ausfüllen, obgleich sie ja noch nie unterrichtet hatte. In dieser Richtung hatte sie allenfalls in ihren Diskussionen und Gesprächen Erfahrungen gesammelt. Das schien ihr auch als Qualifikation zu reichen - und hier ergab sich nun Gelegenheit, die Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte auf die Probe zu stellen. Zumindest zweifelte Jonas - sie hatten sich inzwischen vorgestellt - nicht, stellte sie mit Erleichterung fest.
Als das Gespräch auf Jonas kam, stellte er mit Erschrecken fest,
daß er sich noch gar nicht überlegt hatte, was er erzählen
könnte, warum er hier sei, womit er seinen Unterhalt verdiene.
Ein leises Bimmeln einer Dorfkapelle, die man gerade noch hören
konnte, gab ihm einen Strohhalm, an dem er sich gerade noch festhalten
konnte. Er gab an, er sei ein wandernder Gloeckner, auch er wolle die
Welt kennenlernen, Glockenspiele und Menschen vieler Städte
kennenlernen und sich irgendwann einmal in einer Stadt niederlassen, wo
es ihm gefalle und wo man seine Fähigkeiten brauchen könne.
Jonas geriet richtig in Fahrt und schwärmte von herrlichen Glockenspielen und herrlichen Klängen von Glocken, die einem das Innerste berührten und zum Zittern bringen konnten. So begeistert war er von seiner Schilderung, daß er ganz vergaß, daß er nicht einmal ein Musikinstrument spielen konnte, geschweige denn ein Glockenspiel. Über die Grundprinzipien und die Funktionsweise von Instrumenten hätte er wohl Vorträge halten können, doch waren seine Kenntnisse rein theoretischer Natur.
Maria Michaela staunte bei seiner Schilderung und warf lachend ein, er sehe gar nicht aus wie ein Gloeckner, sie stelle sich einen Gloeckner mit Buckel und humpelnd vor, einäugig, verunstaltet, schwerhörig, etwas unheimlich, aber auch dumm. Aber er sei da das genaue Gegenteil, jung, attraktiv, gar gebildet wie ihr scheine.
Jonas fühlte sich ertappt und errötete. Maria Michaela bezog das auf ihre kleine Schmeichelei und erinnerte sich, daß sie schon lange nicht mehr rot wurde, wenn ihr ein Verehrer Honig um den Mund schmierte.
Jonas faßte sich aber schnell wieder, argumentierte herum und meinte schlagfertig, dieses Vorurteil komme nur von einem Kollegen in Paris, die meisten Gloeckner seien ganz normale Leute - die zudem noch Watte in die Ohren steckten, bevor sie den Glocken zu nahe kämen. Außerdem hätten Gloeckner mit einer festen Stelle ja viel Freizeit, die sie gut nutzen konnten um sich zu bilden und ihr Wissen zu mehren.
Maria Michaela lachte erheitert bei seiner Erklärung auf, bohrte aber auch nicht weiter nach. Zumindest stellte sie seine Geschichte nicht weiter in Frage, wie er das bei ihrer ja auch nicht tat.
Sie entschlossen sich, weiter zum Dorf zu gehen und dort zu übernachten. Auf dem Weg plauderten sie weiter angeregt. Natürlich hielt Maria Michaela die Geschichte vom wandernden Gloeckner für Blödsinn, doch immerhin charmant und mit Begeisterung vorgetragen und verteidigt. Sie wollte ihm wohl noch auf die Schliche kommen oder ihn mit einer kleinen Schelmerei für diese allzu abenteuerliche Flunkerei bestrafen. Aber das hatte Zeit, war ihr Gespräch doch wunderbar unterhaltsam und erfrischend. Zwar war Jonas rhetorisch längst nicht so gewandt wie sie, doch stellte sie fest, daß er wirklich seine eigenen Meinungen vertrat, nicht wie viele ihrer Bekannten und Verehrer Halbverdautes und Unverstandenes wiederkäute. Sie mußte auch kein dummes Geschwätz ertragen. Das gefiel ihr alles sehr gut, auch die unverkrampfte, unkomplizierte und natürlich Art, wie sie miteinander umgingen.
Jetzt war sie froh um diese Begleitung auf ihrem kleinen Ausflug ins Leben, auch wenn ihr da noch einiges zu klären zu sein schien - aber hatte sie nicht auch einiges wesentliches vorenthalten?