Einerseits war ich so blöd, ihn weiter zu reizen, obwohl ich ihn doch eigentlich nicht persönlich kennenlernen wollte. Wir hatten völlig abgehoben und über Dinge gesprochen, die für mich einfach unmöglich wären.
Andererseits: Es hat Spaß gemacht. Ich schwelgte in verrückten
Phantasien, was ein großer Genuß war. Seit dem Unfall war ich
in der Hinsicht einfach blockiert.
Das war damals kurz nach dem Abitur und mein damaliger erster Freund
starb bei dem Autounfall. Er hatte den Wagen selbst vor den Baum gesetzt,
während er nicht angeschnallt war. Ich war es und trotzdem hatte
mir das zwar das Leben gerettet, die Folgen jenes lustigen Diskoabends
mußte ich aber mein Leben lang tragen. Genaugenommen waren
wir beide leicht angeheitert und ich hatte ihn abgelenkt und übermütig
gereizt, also nicht um ihn wütend zu machen, sondern mehr in erotischer
Hinsicht, aber auch wieder nicht so, daß er nicht trotzdem hätte
aufpassen können, wo wir hinfuhren. In jedem Falle waren wir beide
ursächlich beteiligt. Autofahren jedenfalls mochte ich seitdem nicht
mehr und Erotik lag mir auch irgendwie fern.
In der Rehabilitation hatte ich nicht einmal danach gefragt - und dann war
mein Unterleib irgendwie kein Thema mehr für mich, mit dem ich
etwas anderes verbinden konnte als meine Behinderung! Ich hatte einfach
keine Ahnung, ob "nur" meine Beine nicht mehr funktionierten
oder ob ich vielleicht doch noch sexuelle Empfindungen in meinem Unterleib
haben konnte. Es war eigentlich lächerlich, daß ich das noch
immer nicht wußte. Ich fühlte mich wie ein Neutrum.
Und jetzt erlebte ich, daß Erotik vor allem im Kopf stattfindet.
Es bereitete einfach großes Vergnügen, mit Michael hemmungslos
zu flirten, zu schreiben, zu phantasieren, anzudeuten, zu verwirren, zu
spielen, herumzualbern.
Natürlich wollte Michael mich umso mehr persönlich kennenlernen, und davor hatte ich einfach Angst, obgleich es mich gleichzeitig lockte. Sehnsucht durchdrang mein Denken und die Angst vor Enttäuschung, egal für wen, vermutlich für beide, Angst, ihn wieder zu verlieren. Ich spürte, wie mein Herz schlug, wie ich atmete, daß richtiges Leben in mir war - ein wunderbares Gefühl, gleichzeitig aber unheimlich, als müsse das Herz mir gleich wieder abgedrückt werden, als würde mir der Atem genommen.
Ich brachte es einfach nicht fertig, die Wahrheit über mich zu sagen und so log ich. Der nächsten email war einfach ein digitalisiertes Bild von Sonja angehängt, mit der Behauptung, das sei mein Konterfei. Es galt, Zeit zu gewinnen und Sonja war wirklich ein Prachtweib, welches ihn, nein einfach jeden Mann beeindrucken mußte. Das war Sonjas große Lebenslast. Gern hätte ich getauscht, doch nein, das wäre Sonja gegenüber gemein. Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen, wenngleich mir Sonjas auch oft sehr angenehm erschien. Manchmal aber sehnte sie sich aber auch nach etwas Ruhe, danach ein Neutrum zu sein. Manchmal sagte sie das so dahin und entschuldigte sich dann gleich wieder, mich an der Schulter streichelnd, für meinen Ausdruck, den sie nicht benutzen sollte.
Ich zierte mich, gab mich widerspenstig, als ob ich mit ihm spielte. Irgendwie gefiel mir
diese Rolle der geheimnisvollen Fremden und so ging das Reizen weiter.
Das Bild gefiel ihm offenbar sehr gut, ebenso wie mein Spielchen. Wir begannen, Phantasien
auszutauschen.
Mit Sonjas Bild ging irgendwie alles wie von selbst. Sonja hatte ein paar wilde Jahre hinter
sich, bevor sie im letzten Jahr etwas ruhiger geworden war. Ohne persönlich zu werden,
hatte sie manche Anekdoten erzählt - und das bot mir eine reichhaltige Quelle für
meine Spielchen mit Michael.
Leider übertrieb ich dann - was erst nur harmlose Spinnerei war, verführte mich
dazu, eine ganze Geschichte zu erzählen: Wie sich zwei total Fremde in einer Hotelbar
treffen und spontan auf einem Zimmer Sex miteinander haben. Das war einfach Wahnsinn.