Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2002-03/06
Am nächsten Abend besucht Annkathrin Markus. Sie meint, sie habe über seine gottlose Argumentation nachgedacht - dabei lächelt sie aber freundlich zu ihrem Wortspiel. Nach ihrem Verständnis sei es auch nicht Belohnung oder Anerkennung von Gott, der einem zu gutem Handeln, zu einem bestimmten Wertesystem bewegen sollte, vielmehr sei für sie Andacht und Gebet eine Hilfe, ja Gottes Beistand helfe dem Gläubigen, den richtigen Weg zu finden. Wichtig und gottgefällig seien Einstellung und Taten gegenüber den Mitmenschen, nicht das Bekenntnis zu Gott an sich. In ihrer Gemeinschaft stehe das Bekenntnis zu Gott für die Nächstenliebe, die das Handeln anderen Menschen gegenüber bestimmen solle. Das Verhalten in der Gemeinschaft, das Handeln für die Gemeinschaft werde so auch zum Gottesdienst. Stelle sie sich gegen die Gemeinschaft, so stelle sie ihre Grundwerte in Frage. Nun sei es aus ihrem Blickwinkel heraus auch durchaus richtig, mit einem geeigneten Partner eine Familie zu gründen. Nur sei sie sich sicher, daß in ihrem Falle die Partnerwahl keine Harmonie, kein Glück zur Folge haben könne, da sie und Heinrich einfach nicht zusammen paßten, wobei sie nicht einmal vor dem Vorfall dieses Wochenendes Heinrich allgemein abgelehnt hätte, sondern nur speziell als ihren zukünftigen Lebenspartner.
Dieser Konflikt mache ihr zu schaffen - denn er habe natürlich recht, daß sie ein selbstbestimmtes Leben führen solle. Letztlich führe ihre Ablehnung von Heinrich als Partner sicherlich zu einer größeren Harmonie in der Gemeinschaft, da eine schlechte Partnerschaft nur viele Konflikte und viel Unruhe in die Gemeinschaft einbringe. Aber der Konflikt, die Meinungsverschiedenheit über die Partnerwahl bringe auch eine große Disharmonie in die Gemeinschaft, die für sie nur schwer zu ertragen sei. Der Konflikt sei eben nicht einfach zu lösen, zumindest wisse sie nicht, wie. Es sei wie ein begonnenes Musikstück, welches ihrer Kontrolle entglitten sei. Die Dissonanz dröhne immer lauter in ihrem Kopf und drohe ihn schier zu sprengen. Und dieser Kontrollverlust sei eben nicht kreativ und lebendig, inspirierend wie so oft in der Musik, er sei nur noch lähmend, dissonant und zerstörerisch. Verzweifelt suche sie nach einem Ausweg, mit dem sie die abhanden gekommene Harmonie wiederfinden könne.
Markus nickt, durch Nachgeben werde ihr das aber auch nicht gelingen, vielleicht sei die Gemeinschaft dann kurzfristig zufrieden, doch ihr Unglück wäre ihre Krankheit.
Annkathrin umarmt ihn, ja, er verstehe sie, wenn das doch ihre Eltern und ihre Gemeinschaft auch tun würden. Sie seufzt leise und genießt spürbar seine innige Umarmung. Dann scherzt sie: siehst du gottloser Geselle, wenn du an Gott glaubtest und zur Gemeinde gehörtest, wärest du sicher eine gute Wahl, um die Harmonie wieder herzustellen. Ihre Augen blitzen listig, als sie fragt, ob das nicht für ihn eine Verlockung zu ihrer Gemeinde sei. Sie lachen beide laut auf, doch als sie sich dann wortlos ansehen, müssen sie beide schlucken und blicken etwas verlegen zur Seite.
Dann fragt sie, um die Situation zu überbrücken, was er eigentlich so mache. Markus berichtet, er sei in der Forschung tätig. Annkathrin zeigt sich interessiert und läßt sich genau erklären, um was es bei seinem Projekt geht.
Sie verabreden sich dann zum Frühstück am Samstag, denn Annkathrin hat an den nächsten Nachmittagen und Abenden an einem Projekt zu tun.
Markus macht sich etwas über den gottlosen Gesellen Gedanken - wie ernst sie das trotz des Lachens gemeint haben könnte, ja und wie ernst könnte er es mit ihr meinen, welche Probleme könnten sich aus ihren unterschiedlichen religiösen Auffassungen ergeben? Nun war er längst über die Zeit hinaus, wo er versuchte, die Welt voller Begeisterung zum Atheismus zu bekehren, doch erwartete er auch umgekehrt Toleranz gegenüber seiner Einstellung, es blieb also abzuwarten, wie sich das entwickeln werde. Sein Interesse an Annkathrin ist auf jeden Fall geweckt und ihm scheint, daß es auch von ihrer Seite aus guten Chancen gebe. Allerdings ist ihm auch klar, daß eine Beziehung sicher keine Spielerei wäre, wenn sich Annkathrin wirklich darauf einließe, dann auf Dauer, deshalb gilt es zu prüfen, ob ihre Zuneigung wirklich Substanz hat. Er überlegt, ob er versuchen sollte, ihre Vorstellungen über eine Beziehung ganz offen und direkt zu erfragen, oder ob er das Thema mehr allgemein und nebenbei zu erschließen hätte. Er entschließt sich, erst einmal abzuwarten, ob sich eine günstige Gelegenheit ergebe.