Als ich aufwache, sehe ich auf dem Uhrenradio neben dem Bett, daß es bald neun Uhr ist. Ich taste nach dem Schalter der Nachttischlampe, an die ich mich noch vom Abend erinnere, finde ihn, knipse das Licht an. I. schläft noch, ich überlege, ob ich sie wecken soll, kann mich jedoch nicht dazu entschließen. Ihr Gesicht ist ganz entspannt, auch wenn sie schläft, sieht sie bezaubernd aus. Ich stehe leise auf, ziehe die Jalousie vorsichtig hoch, steige wieder ins Bett, knipse die Lampe wieder aus, betrachte das Radio genauer. Nach kurzer Überlegung gelingt es mir, zunächst die Lautstärke herunterzudrehen und dann das Radio anzuschalten - Frühstyxradio - eigentlich hatte ich erwartet, daß sie nun doch aufwacht, was jedoch nicht geschieht.
Erst nach etwa einer halben Stunde erwacht sie, öffnet die Augen und schaut mich an. Sie wendet sich mir zu, wünscht mir einen guten Morgen. Ich bin überrascht, als ihre Hand sich auf meine zubewegt, sie zunächst kaum berührend darüberstreicht, sie dann jedoch mit festem Griff umschließt. Sie rückt näher zu mir heran, bleibt jedoch unter ihrer Decke. Eine viertel Stunde darauf rückt sich noch näher, liegt jetzt seitlich neben mir, ich spüre ihre Beine neben den meinen, ihre Füße berühren meine, zucken etwas zurück. Sie legt ihren Kopf auf meine Brust, sie umarmt mich, ich halte sie sanft mit einer Hand um die Taille, sorgfältig darauf achtend, daß meine Hand auf ihrem Schlafanzugoberteil liegt, und wir liegen still im Bett. Ich weiß nicht, ob sie wieder eingeschlafen ist, ich höre mit geschlossenen Augen Radio, während ich spüre, wie sich unsere Körper unter unseren entspannten Atemzügen heben und senken. Es tut so gut, sie zu halten, ihr so nah zu sein, ihr Vertrauen zu genießen. Wir könnten eine Ewigkeit so liegen, scheint mir.
Irgendwann bewegt sie sich doch wieder, meint, wir sollten aufstehen, das Frühstück könne wohl entfallen, wir könnten gleich, wenn wir angezogen seien, mit der Zubereitung des Mittagessens beginnen. Sie steht zuerst auf und geht ins Bad. Als sie in ihr Zimmer geht, um sich anzuziehen, stehe ich auf. Sie macht J.s Bett als ich mich anziehe, dann gehen wir in die Küche. Sie sagt mir, was ich tun könne.
Sie meint, sie sei noch lange wach gewesen, als ich schon eingeschlafen sei. Anfangs habe sie befürchtet, bei meiner Anwesenheit überhaupt nicht einschlafen zu können, doch meine regelmäßigen Atemzüge hätten ihr allmählich so etwas wie ein Gefühl der Geborgenheit gegeben, außerdem habe sie schließlich doch wohl die Müdigkeit übermannt, da sie die Nacht vorher auch nur schwer habe einschlafen können. Insgesamt sei es bisher erheblich besser gegangen, als sie gedacht habe. Es sei für sie viel leichter gewesen, als sie für möglich gehalten hätte, es bestehe also Hoffnung. Daß sie sich am Morgen in meine Nähe gewagt habe, in meiner Umarmung sogar eingeschlafen sei, hätte sie noch vor Tagen für komplett unmöglich gehalten, heute scheine ihr beinahe alles möglich zu sein, aber noch dränge sie sich bloß durch ihren Willen und ihre Konzentration zu jedem weiteren Schritt, sie sei noch nicht so weit, sich einfach in die Situation fallen zu lassen, das sei noch zu schwer.
Ohne J. seien diese Wochenenden immer entsetzlich lang gewesen, sie sei mit sich und ihrer Vergangenheit in diesen Wänden gefangen gewesen. J. müsse ja auch ihr eigenes Leben leben, sie wolle auch nicht, daß sie so oft für sie da sei, daß sie sich selbst vernachlässige. Seit J. mit ihrem aktuellen Freund zusammen sei, sei sie beinahe jedes Wochenende weg und oft auch über Nacht in der Woche bei ihm. Für J. sei das ja auch gut, das könne sie verstehen, trotzdem sei es nicht leicht gewesen, allein in der Wohnung zu bleiben. Wenn es mit uns von längerer Dauer sei, wäre das auch eine große Erleichterung für J., die hin und her gerissen sei zwischen ihr und dem Freund. Sie selbst gehe am Wochenende nicht weg, höchstens am Samstag noch zum Einkaufen. Als J. noch öfter am Wochenende dagewesen sei, seien sie gelegentlich am Samstag Abend mal ins Kino gegangen, und sie habe Samstag und Sonntag für sie und J. gekocht, es seien immer sehr schöne und unbeschwerte Wochenenden gewesen. J. sei so allenfalls nur noch in der Woche abends zum Essen da. Nach dem Vorfall vom Donnerstag habe sie Angst gehabt, ihr werde dieses Wochenende die Decke auf den Kopf fallen, trotzdem habe sie J. noch nichts von dem Vorfall gesagt, damit sie sich keine Sorgen um sie machen müsse. Nur lesen, musikhören und fernsehen sei da auch nicht das Wahre, aber jetzt sei ich ja da, das tue ihr gut, auch J. brauche sich dann keine Sorgen mehr um sie zu machen.
Es wäre schon phantastisch, wenn ich in Zukunft öfter bei ihr sei. Das würde auch für J. ganz neue Möglichkeiten eröffnen, die bislang immer stark zwischen ihren Freund und ihr hin- und hergerissen sei. Sie hoffe, es werde mir schmecken, so daß sie noch oft für mich kochen könne, wobei ich ihr dann helfen werde, sie werde es mich lehren, falls nötig.
Ich erwidere, ich könne mir vorstellen, wie unangenehm einsame Wochenenden, besonders Sonntage ohne Beschäftigung sein können. Zum Glück könne ich mich etwa wegen des Studiums auch an Sonntagen immer gut beschäftigen, bevor mich die Langeweile zerfräße.
Was das Essen betreffe, so stelle sich natürlich die Frage, ob sie ernsthaft gedenke, mich mit ihrer Kochkunst zu gewinnen, wenn sie mich anschaue, meine schlanke Gestalt betrachte, werde sie unschwer erkennen, daß sie es damit schwer hätte, wenn sie mich nicht schon längst gewonnen hätte. Aber es sei ihr anzusehen, daß es ihr viel Spaß mache, und da sei schon ihr Anblick ein Genuß.
Sie lächelt mich an, ich müsse weder fürchten, noch brauche ich zu hoffen, daß sie mich zum Hauspascha mache, der von ihr bedient werde, das würde ich noch sehen. Und das Essen dürfe ich jederzeit ehrlich kritisieren. Aber ein wenig verwöhnen sei bei ihr natürlich immer drin.
Als das Essen fertig ist - Goulasch mit Spätzle und Kopfsalat - fällt meine Kritik sehr gut aus, und sie ist sichtlich stolz. Anschließend waschen wir ab und beraten, was wir nun tun könnten. Sie möchte einen Spaziergang am Maschsee. Es sei lange her, daß sie es einfach habe genießen können, draußen spazieren zu gehen, danach sehne sie sich sehr. Ihren Vorschlag setzen wir in die Tat um.