Als auch wir im Bett liegen, lobt I., ich gäbe doch einen guten Vater ab, so geduldig, wie ich die Fragen zu beantworten versucht hätte, nicht nur, um Ruhe zu haben, sondern wirklich so, daß einigermaßen haltbar sei, was ich erklärt hätte. Sie habe auch einiges erfahren, was sie nicht gewußt habe, ein weiterer Grund, die Kinder öfter für ein gemeinsames Wochenende einzuladen. Ich hätte aber sicher auch gemerkt, je genauer ich erklärt hätte, je deutlicher ich darauf hingewiesen hätte, wo Lücken in der Erklärung oder Zweifel seien, das hätte sie zu noch mehr Fragen angeregt.
Ich füge hinzu, das sei ja auch gut so, mögliche Mängel, Unsicherheiten und Grenzen eines Modells sollten ja auch nicht verborgen werden, sondern immer wieder in Frage gestellt und immer im Blick behalten werden. Es läge mir nichts daran, wenn die Kinder fälschlich glaubten, ich oder andere Leute würden alles wissen, oder daß sie alles für wahr halten müßten, was ihnen erzählt werde, zwar trage das nicht gerade dazu bei, großes Vertrauen in das kollektive Wissen zu haben, doch dafür bekomme man eher einen Eindruck davon, wie man damit sinnvoll umgehen könne. Wichtig sei es auch, daß ihr Interesse geweckt bleibe, sie lernten, sich selbst Informationen zu verschaffen und sich ein eigenes Bild von den Dingen zu machen. Gut, jetzt seien sie dafür noch sehr jung, aber Neugier wecken könne man gar nicht früh genug. Ansonsten, von neugierigen Kinderfragen sei ich ohnehin nicht so schnell genervt, im Gegenteil, das sei ja recht anregend und informativ, lerne man dabei doch selbst recht viel darüber, worüber man selbst eigentlich gar keine oder wenigstens kaum Ahnung habe, wenn man es nicht halbwegs einfach erklären könne.
Wir küssen, umarmen uns, I. liegt auf mir, ihre Zunge spielt mit der meinen in ihrem Mund, ihre Hände streicheln meine Brust. Ich schiebe meine Hände in ihre Schlafanzughose, fahre über ihren Po, massiere ihn. Sie zieht die Beine an meinen Seiten hoch, so daß sie jetzt zu mir niedergebeugt kniet. Eine ihrer Hände fährt durch meine Haare, als sie ihren Oberkörper etwas aufrichtet. Eine meiner Hände gleitet ihren Bauch hinauf zu einer ihrer Brüste, streichelt sie.
Plötzlich geht die Tür auf, M. fragt nach I., diese richtet sich erschreckt, beinahe wie ertappt auf, möchte aber nach einer kleinen Pause besorgt wissen, was los sei.
Er meint, er könne nicht schlafen. L. habe ihm eine schlimme Geschichte von Dinosauriern und Moorleichen erzählt, jetzt habe er Angst und könne nicht einschlafen.
I. erkundigt sich, schon aufstehend, ob L. schlafe.
Sie macht Licht, umarmt M.. Auch L. kommt nun herein, kann ebenfalls nicht schlafen. Die Geschichte, mit der sie M. das Grausen hat lehren wollen, hat sich offenbar selbständig gemacht, denn sie hat nun vor den Produkten ihrer eigenen Phantasie Angst. Die beiden bitten I., sie nicht alleine schlafen zu lassen.
I. will schon mit ihnen gehen, ist einverstanden, als ich scherzhaft einwende, ob sie mich etwa allein lassen wolle, was, wenn ich nun in der Nacht Angst bekäme?
I. schmunzelt, doch L. meint ganz ernsthaft, ich könne ja mitkommen, in J.s großem Bett sei noch Platz für mich.
Sie kommt schon zum Bett und faßt meine Hand. So muß ich mit.
M. fragt mich, ob ich denn wirklich auch Angst habe?
Ich antworte, Angst sei für jeden ein ganz normales Gefühl, es sei nur das Kunststück, damit fertig zu werden. Man müsse mit der Zeit lernen, mit seinen Ängsten zu leben, und müsse, wenn man Angst habe, versuchen herauszufinden, ob das eine begründete oder unbegründete Angst sei. Eine begründete Angst solle uns vor realen Gefahren warnen und unser Verhalten darauf einstellen. Wenn man sich dessen bewußt sei und entsprechend handele, sei Angst unnötig. Wenn sich herausstelle, daß man nichts gegen die Gefahr tun könne oder wolle, sei Angst offenbar ebenso überflüssig, da sie ja nichts am Sachverhalt ändere. Wenn man Angst vor nicht wirklichen Dingen habe, so müsse man selbst einsehen, daß die Ängste unbegründet seien, etwa weil es schon längst keine lebenden Dinosaurier mehr gegeben habe, als jener Mensch im Museum zu einer Moorleiche geworden sei. Der sei wiederum gestorben, lange bevor wir geboren worden seien, außerdem sei es eine fundamentale Eigenschaft von Leichen jeglicher Art, daß sie ebenso tot wie ein Stein seien und somit kleinen Kindern überhaupt nichts tun könnten. Generell seien Tote immer sehr harmlose Zeitgenossen, anders als bei Lebenden sei bei denen von vorne herein klar, daß sie keinen Unfug mehr anstellen können. Generell, Geschichten mit Dinosauriern und Menschen gleichzeitig drin seien bloße Phantasie, ein Spaß, auch wenn sich einem dabei die Haare vor Angst sträuben mögen. Aber wenn dieser Schauer der Angst vorbei sei, sei doch klar, daß das alles nicht real sei, eine ausgedachte Geschichte eben. Im wirklichen Leben stehen weder Dinosaurier noch Moorleichen plötzlich einfach so im Zimmer, passiert einfach nicht, die sind allesamt lange tot und sehr friedlich. Doch diese meine Einsichten würden ihm und L. nur bedingt helfen können, da sie selbst einsehen und herausfinden müßten, ob die Ursachen ihrer Ängste wirklich seien, ob sie also etwas dagegen tun müßten oder sie einfach vergessen könnten, ob sie einfach den wohligen Schauer des Schreckens genießen dürften oder sich wirklich um etwas Sorgen machen müßten.
Zu L. gewendet meine ich, die eigenen Phantasien als Grund seiner Angst zu haben, zumal wenn man sie gerade erst erfunden habe, sei nicht so ungewöhnlich, wenn man mit dem Erzählen grausiger Geschichten gehofft habe, einem anderen Angst zu machen. Neige man doch dazu, gerade das und so zu erzählen, was am besten geeignet sei, einem selbst Angst zu machen, das sei dann die Strafe für die Angst, die man anderen damit gemacht habe. So könne ihr das eine Lehre sein, andere Menschen nicht aus Spaß oder eigenen Interessen in Angst zu versetzen.
In jedem Falle müsse man mit der Zeit mit seinen Ängsten versuchen fertig zu werden, indem man untersuche, mit seinem eigenen Verstand zu ergründen versuche, ob die Angst auf wirkliche Gefahren hinweise, die man beseitigen könne, oder ob die Ängste nur eingebildet seien, so daß sie einem nicht nützlich sein können, und man sie abstellen dürfe, weil sie nichts Wirkliches an sich hätten.
I. fügt hinzu, bis sie aber selbst damit fertig werden könnten, hätten sie ja noch ihre Eltern oder für heute Nacht uns. Damit liegen wir in J.s Bett und I. löscht das Licht. Natürlich sind die Kinder jetzt so aufgedreht, daß ans Schlafen nicht zu denken ist. Spontan beginne ich mit der Erzählung eines möglichst nicht gruseligen Märchens. I. erzählt dann eine Weile weiter, dann wieder ich. Und weil die Kinder am Ende immer noch nicht müde sind, beginnen wir spielerisch, uns selbst eine Geschichte auszudenken. Auch hier beginne ich wieder und dann setzt I. sie ein Stück fort, dann L. und M. und so weiter, reihum, daß wir uns köstlich über unsere alberne, immer skurriler werdende Geschichte amüsieren, bis die Kinder die ganze Gruselei vergessen haben und wirklich richtig müde und erschöpft einschlafen. So anstrengend, wie der Tag für sie war, schlafen die Kinder nun wirklich tief und fest zwischen uns, ich frage I. flüsternd, ob wir wieder hinübergehen sollten. Sie legt sanft einen Finger auf meinen Mund, streicht dann durch mein Haar. Wir bleiben also und schlafen hier.