An was ich mich erinnere:
Es ist nachts und ich will gerade aus einer
Hauseinfahrt auf die Straße treten, als
schräg gegenüber die Straße
hinunter eine Horde von vier
Stiefelmännern, jene mit kahlgeschorenem
Kopf und weißen Schnürsenkeln,
betrunken aus einer Kneipe auf die Straße
taumeln, zunächst das Deutschlandlied
(erste Strophe) anstimmend, dann jedoch einen
Passanten auf meiner Straßenseite
erblickend verstummend. Ich ziehe mich in die
Hauseinfahrt zurück und beobachte. Der
Passant ist in Richtung auf die
Stiefelmänner zugegangen, nun zögert
jedoch sein Schritt, doch zu spät: Obwohl
betrunken, haben ihn die Stiefelmänner
seine Überraschung ausnutzend nach einem
kurzen Sprint bereits umzingelt und pöbeln
ihn an, wobei stereotype Wörter wie
"Nigger", "Asylantenschwein", "schwarzer
Schneemann" und "Ausländer raus" noch
zu den harmloseren Ausdrücken ihres
biergeschwängerten Zorns gehören.
Sie schlagen auf ihn ein, bis er am Boden liegt, treten dann mit ihren Stiefeln auf ihn ein, der Mann stöhnt, krümmt sich. Doch da die Angreifer unter Alkoholeinfluß stehen, gelingt es dem Opfer trotzdem, sich in einem günstigen Augenblick aufzuraffen und an der Hauseinfahrt vorbei die Straße hinauf zu laufen, zunächst noch schwankend und in gekrümmter Haltung, dann aber entschlossener und schneller.
Während drei sofort die Verfolgung antreten, zieht der vierte, offenbar der Anführer, ein Messer und schreit den Kameraden nach, sie sollen ihn "kaltmachen". Als auch er die Verfolgung antreten will, stolpert er jedoch direkt vor der Hauseinfahrt und fällt etwa zwei Meter weiter, das Messer jedoch hat er fallenlassen, es liegt nur einen halben Meter vor meinen Füßen. Der Anführer hat sein Fallen nicht abfangen können, schlägt sogar mit dem Kopf auf den Bürgersteig, sieht benommen auf allen Vieren seinen Kameraden nach.
Das Weitere muß nun innerhalb von Sekunden passiert sein.
In einem Ansturm eines mir bisher in diesem Ausmaß völlig unbekannten Haßgefühls (über mich oder über die Stiefelmänner) greife ich das Messer mit der Rechten, mache die paar Schritte, bis ich über den Anführer gebeugt mit zwei Fingern der Linken in seinen Augenhöhlen seinen Kopf nach hinten ziehe und das Messer, ein sehr scharfes, von der Art mit Kunststoffgriff und sägeartigen Zacken auf der einen Seite, mit der scharfen Seite und einem kräftigen und schnellen Zug von der einen zur anderen Seite seines Halses ziehe. Dabei sehe ich, wie es dem Opfer gerade noch gelingt, vor einer Straßenbahn in einer Querstraße vorbeizukommen. Zum Glück handelt es sich hier gerade um eine Haltestelle, so daß das Opfer in die Straßenbahn einsteigen kann. Seine Verfolger, denen es nicht mehr rechtzeitig gelingt, die Straßenbahn zu umlaufen, werden entweder vom Fahrer nicht bemerkt oder dieser hat die Situation erkannt und fährt trotz der herbeilaufenden Typen weiter. Das Opfer hat es also in diesem Fall geschafft - was denkbar gewesen wäre: die drei erreichen die Straßenbahn noch und setzen den Angriff im Anhänger fort, in den sich das Opfer geflüchtet hat, werfen ihn von dort aus der fahrenden Straßenbahn durch eine aufgetretene Tür unter ein vorbeifahrendes Auto.
Inzwischen ist mir klar, daß der
Anführer tot ist, vermutlich Halsschlagader,
Luftröhre et cetera völlig durchtrennt,
warmes Blut zwischen meinen Fingern, sehr
scharfes Messer, ich laufe die Straße
hinunter, weg von seinen Kameraden, die
sicherlich bald, nachdem sie der
Straßenbahn genug nachgegröhlt
haben, zurückkehren werden.
Ich laufe, weiß nicht wohin, panikartig
durch die Stadt. Ich irre wie durch einen
bösen Traum, laufe, verliere den
Überblick, wo ich bin, weiter, weiß
nicht wie lange.
Irgendwann bin ich am Maschsee, der Mond scheint über das Wasser. Was nun zu tun ist? Ich beginne wieder nachzudenken. Nachdem ich eine Stelle gefunden habe, wo das Wasser gut erreichbar ist, reinige ich Hände und Messer, wische letzteres mit dem Taschentuch ab, denn ich bin mir nicht sicher wegen der Fingerabdrücke auf dem Messer, wenn es im Wasser liegt. Anschließend werfe ich es mit möglichst viel Schwung auf die Wasserfläche hinaus. Inzwischen habe ich mich wieder etwas beruhigt und lache sogar laut über die Ironie der Situation: als hätten damals jene Leute, auf deren geistige Großvaterschaft sich die Stiefelmänner berufen, den See nur deshalb ausheben lassen, damit ich nun das Messer darin verschwinden lassen kann.
Ich gehe den Maschsee entlang nach Hause. Was mich dort angekommen und bei Licht betrachtet wundert: Keine Blutflecken an meiner Kleidung, eine Reinigung erübrigt sich. Im Bett drehe ich mich von einer Seite zu anderen, einschlafen kann ich nicht.