Alternative Buchvariante (EPUB) mit Graphik
Geschrieben: 2015-07-15/08-03
Zu einer ganz anderen Zeit, in einer ganz anderen Welt voller Königreiche lebte jene Prinzessin, um die es sich in dieser Geschichte vorrangig dreht. Sie lebte in einem Königreich mit Bergen, Tälern, Wäldern, Steppe und Küste, alles in allem in weiten Teilen ein fruchtbarer Landstrich, bevölkert mit Menschen, die genug hatten, um mit ihrer Arbeit ihr Leben zu bestreiten und auch noch eine Verwaltung und ein Königreich zu finanzieren. Zum Glück, muß man sagen, lebte man mit den Nachbarreichen im Großen und Ganzen in Frieden, jedenfalls führte man keine Kriege, allenfalls hier und da Intrigen und kleinere Streitigkeiten, so daß es effektiv reichte, ein nicht allzu großes Heer zu unterhalten. Intern gab es im Königreich allerdings viele Intrigen um die Macht und den Einfluß, denn die Eltern der Prinzessin, König und Königin waren bereits alt und die Prinzessin war auch noch Einzelkind. Sie war sozusagen ein später Glücksfall, denn man hatte eigentlich die Hoffnung auf Kinder bereits aufgegeben, als sie der Geschichte dann doch noch eine unerwartete Wende gab.
Es gab einen Reichskanzler und viele Minister, Räte und Gremien, die der Königsfamilie halfen, das Land zu regieren und praktische Entscheidungen in kniffligen Fragen zu finden, wobei, so muß man sagen, viele auch ihre Ämter zum eigenen Vorteil zu nutzen pflegten.
Der Name der Prinzessin war Gundula Maria Elizabetha, Prinzessin von Hohental und Tiefenkamm und so weiter, da kam dann bei Bedarf noch mehr an Titeln und Landstrichen hinten dran, wofür man letztlich einen kompetenten Sprecher gebraucht hätte, der alles hätte vorlesen müssen, was natürlich sorgfältig notiert und festgehalten war. Jedenfalls, die Prinzessin hielt recht viel auf ihren Namen mit all den Titeln und ließ sie dann auch gern einmal vollständig vorlesen, wenn sie einmal wieder bei einem offiziellen Fest sich die Ehre gab, die Zeit zu finden, dem Publikum ein wenig ihrer Aufmerksamkeit zu schenken. Das Interessante an solchen Festen aber war zweifellos die Tanzerei, zwar waren die zugehörigen Herren durchgehend nicht ihr Fall, daher wechselte sie oft, zudem diese auch oft bald erschöpft waren. Sie hatte da viel Ausdauer und wußte immerhin zu schätzen, wenn einer mithalten konnte. Zunächst irritiert nahm man wahr, daß sie auch gern mit Frauen tanzte, aber das legte sich, was letztlich auch ganz verständlich war, denn im Durchschnitt tanzten sowieso die Frauen deutlich lieber, öfter und eleganter als die meisten Herren, so daß spezielle Tänze der Damen schnell zu einer sehr geschätzten Zier am Hofe wurden.
Einmal abgesehen von der Tanzerei hatte sie kein Interesse an den jungen Burschen, weder den schlaksigen, den pickligen, noch den dicken mit ganz roten Wangen und Schweiß überall. Auch wenn ihr junge Männer Avancen machten, fand sie das eher befremdlich. Mit einigen älteren konnte man besser reden, die waren ruhiger und wagten es seltener, einer so jungen Prinzessin ernsthaft Avancen zu machen, allenfalls zum Spaß und Amusement, was akzeptabel war. Mochten das Thema der körperlichen Annäherung andere spannend finden, sie fand keinen rechten Gefallen daran. Sobald sie feststellte, daß die Herren nicht nur mit ihr tanzen wollten oder ein gutes Thema diskutieren, schuf sie eindeutig Distanz. Da hatte sie eine deutliche Scheu und ließ niemanden in ihr Innerstes schauen, an welches sie sich selbst nicht so recht heranwagte. Irgendwie dachte sie, sie würde über den Dingen stehen oder schweben und hatte keinen Bedarf, diese körperlichen Dinge in ihre Sphäre treten zu lassen. Wenn andere das spannend fanden - in Ordnung - aber ihre Angelegenheit war das nicht. Das traf übrigens auch auf Frauen zu, denn sie hatte sehr wohl gelesen, daß nicht nur Männer an Frauen und umgedreht Interesse zeigten, nein, offenbar war das nicht allzu streng an das Geschlecht gebunden, was aber so öffentlich eher nicht akzeptiert wurde. Dazu zuckte sie nur die Schultern und tolerierte auch dies als Angelegenheit, der sie nicht zu nahe kommen wollte, die sie anderen aber wohl zugestand, solange sie selbst darin nicht involviert war.
Ansonsten interessierte sie sich auch nicht sonderlich viel für Volk und Publikum, gern saß sie in ihrem Elfenbeinturm und schmökerte in kostbaren Büchern, formulierte Fragen, auf die sie Antworten in anderen Büchern zu finden hoffte oder die sie dann auch Lehrern, Weisen oder Professoren meist schriftlich zu übermitteln pflegte, um Antworten zu finden. Die meisten ihrer Fragen und Themen waren praktisch nicht wirklich wichtig, aber knifflig und ihre Briefe und Nachfragen waren berüchtigt im Reich, umso mehr, als sie inzwischen erwachsen war, schon einiges gelesen hatte und wußte, was so in den Büchern stand. Gern veranlaßte sie auch einmal diesen oder jenen, zu prüfen, was da stand oder auch das, was sie meinte, was da stehen sollte, aber nicht zu finden war. Das gab wirklich einige Male gelehrten Damen oder Herren Anlaß zu prüfen und einen neuen Artikel oder gar ein neues Buch zu beginnen.
Der Turm, in welchem sie gern war, war übrigens wohl nicht wirklich komplett aus Elfenbein, wie sie irgendwann herausfand. Die betreffenden inwendigen Verzierungen stammten aber wohl von Stoßzähnen großer Tiere, die einst in grauer Vorzeit in nördlichen Reichen im Dauerfrost einer kargen Steppe erfroren sein mußten. Kostspielig war das schon, diese kunstfertige Zier aus dem Norden zu bekommen, aber es schmückte sehr schön mit der anderen Zier aus Gold und edlen Steinen und den kostbaren Büchern in dem Turm, welchen die Prinzessin so als ihr Reich beanspruchte, daß niemand ernsthaft zu widersprechen wagte. Neben den herrlichen Büchern und der Zierart gab es im Turm auch zahlreiche Kunstwerke, Bilder und Skulpturen, welche die Prinzessin ebenfalls sehr zu schätzen wußte, und welche sie inspirierten, selbst ein paar kleine Werke zu erschaffen.
Beinahe ebenso lieb wie ihr Turm war ihr ein schöner Ziergarten, der zum Schloß gehörte und den einiges Personal pflegen mußte, um die Königsfamilie zu erfreuen. Und immer, wenn die Prinzessin von einer schönen, exotischen Pflanze erfuhr, ließ sie das Personal nicht länger ruhen, bis man davon beschafft hatte, es angepflanzt hatte und angemessen gepflegt hatte, ob direkt im Garten oder in einem der Tropenhäuser, die dazugehörten, hing natürlich davon ab, um was für eine Pflanze es sich handelte. So liebte sie es auch, wenn sie nicht in ihrem Elfenbeinturm saß, in den Garten zu gehen und die herrlichen Pflanzen zu genießen, sich an Düften zu erfreuen oder von Früchten zu kosten, auf einer Decke im Schatten eines Baumes zu verweilen und den Tag verstreichen zu lassen, während sie las oder einmal wieder ein Schriftstück mit einer brisanten Frage verfaßte.
Öfter aber nahm sie auch des Nachmittags mit einigen anderen jungen Damen den Tee in einem Gartenhäuschen. Ihre Freundinnen mochte sie die jungen Damen, Töchter aus den hohen Kreisen des Hofes eigentlich nicht nennen, mehr ihr Gefolge, dennoch mußte sie zugeben, ein kleiner Plausch mit den Damen über das tägliche Geschehen am Hof hielt sie informiert und war auch recht unterhaltsam. Nun gut, viel mehr durfte sie nicht erwarten und wenn sie einmal begehrte, ein Gedicht vorzutragen und darüber zu reden, so ging die Diskussion darüber meist nur zäh, ähnlich ging es mit komplizierteren philosophischen Themen. Da war nicht viel zu machen. Immerhin aber konnte sie so gut erfahren, wer gerade Interesse an wem hatte und war im Zweifelsfalle schon einmal vorgewarnt, wenn für sie ein neuer Kandidat am Horizont zu erscheinen drohte. So konnte sie hier schon einmal diese oder jene Vertraute mit kleinen Diensten und Recherchen beauftragen, für alle Fälle, um Überraschungen zu vermeiden und schon einmal etwas in der Hand zu haben über den Kandidaten.
Was sie auch sehr mochte, man kann wohl sagen, wie viele junge Damen, so sie die Möglichkeit dazu haben, waren prächtige Pferde des Hofes. Sie ritt gern aus, auch wild und querfeldein, daß die Bediensteten oder gelegentliche Begleiter Mühe hatten, zu folgen. Doch so wild das auch erscheinen mochte, es war schon sehr bedacht, denn keinesfalls hätte sie riskieren wollen, daß eines dieser schönen Pferde durch sie zu Schaden kam.
Bereits als Kind und Jugendliche hatte man die Prinzessin dazu gebracht, sich selbst zu verteidigen. Das fand man gemeinhin wichtig, daß sich Mitglieder der Königsfamilie mit verschiedensten Kampftechniken zu verteidigen wußten. Die Prinzessin überraschte dabei weniger durch besonderes Interesse als durch Ausdauer beim Lernen, Geschick, schnelle Reaktionen und großer Gelenkigkeit. Auch war sie trickreich und flexibel in der Auslegung der Regeln, denn schnell hatte man ihr klargemacht, daß es einen wesentlichen Unterschied zwischen Kampfsportarten mit unterschiedlichen und umfänglichen Regelwerken gibt und einem richtigen Kampf. Hinsichtlich richtiger Kämpfe gab es nur drei einfache Regeln, in abfallender Wichtigkeit:
Dazu gab es noch umfangreichere optionale Regelwerke, welche die Prinzessin ebenfalls verinnerlichte. Dabei ging es primär darum, wie man einen Kampf vermeiden kann und was zu tun war, wenn man angegriffen wurde, während man zu erörtern suchte, warum man nicht angegriffen werden wollte oder sollte. Zudem gab es natürlich Erörterungen zu dem Problem, wie man sich bei einem Streit anderer verhalten sollte, wie deeskalieren und Aggressionen vermeiden.
Kampfsport kann man natürlich ausgiebig üben, auch in diversen Kombinationen, auch in begrenztem Umfang Freistil. Um richtige Kämpfe zu üben, hätte man natürlich richtige Gegner gebraucht. Auch um die Hauptregeln zu üben und die Regelwerke anzuwenden, brauchte man richtige Gegner, das war der Prinzessin natürlich klar. Schade für die Übung, gut für das eigene Leben war dabei, daß es solche praktisch nicht gab. Bei harmlosen Streitereien, die ab und an in Kindheit und der Jugend vorkommen, gelten ein paar mehr Regeln als bei einem richtigen Kampf, aber das eignete sich mit Abstrichen natürlich schon zur Übung. Auch da wagte natürlich kaum jemand, sie anzugreifen. Jene, die es wagten, taten es kein zweites Mal. Bevor sie noch mit Wachen aneinander gerieten, mußten sie feststellen, daß die Prinzessin erstaunlich detaillierte anatomische Kenntnisse hatte, die sie intensiv einsetzte. Damit war sie auch beim Freistil-Training eine gefürchtete Gegnerin, die Kombination mit Gelenkigkeit, Geschick, Intelligenz und dem praktisch intuitivem Erkennen der Schwachpunkte ihrer Gegner machte sie zu einer gefährlichen Gegnerin, weniger durch Kraft, denn sie war eher von zierlicher Statur. Da man aber Kraft trainierte, hatte sie davon spätestens als Jugendliche genug, um die notwendigen Techniken und Ideen auch wirklich konsequent umzusetzen.
Indessen, so besprach sich das Königspaar mit dem Reichskanzler, so konnte es letztlich nicht weitergehen. Interessierte sich die Prinzessin nicht für das Reich, sondern nur für Turm und Garten, wie sollten sich ihre Eltern je auf ihr Altenteil zurückziehen? Auch der Reichskanzler hatte schon graues Haar und als schlauer und loyaler Mann plädierte er entschieden dafür, daß man die Prinzessin mehr für die Belange des Reiches interessieren müsse. Und dann, wovon der Reichskanzler nicht so viel hielt, gab es da noch die Tradition, daß es jedenfalls König und Königin geben sollte, um das Reich zu repräsentieren und zu regieren, nicht nur eine Prinzessin oder dann Königin. Und in der Hinsicht gab es zwar einige, sogar reichlich Interessenten, die dem Amt sehr zugetan gewesen wären, und auch der hübschen Prinzessin, indessen, die erwies sich bei solchen Gelegenheiten und Verehrern eher garstig bis listig und las sie wie ihre Bücher und stellte Fragen, recherchierte oder ließ recherchieren, was es mit den Herren auf sich hatte. So jedenfalls hatte bislang niemand ihre Aufmerksamkeit im engeren Sinne erregt. Und das hätten sich ihre Eltern nun mittlerweile schon anders gewünscht, ein kompetenter, stattlicher Prinz oder auch ein Mann von gutem Ruf und Stand hätte da schon ihre Zustimmung gefunden, um die familiären Dinge voranzubringen. Allein die Prinzessin zeigte sich an diesen Herren nicht interessiert.
So kam man jedenfalls überein, daß die Prinzessin wenigstens im Rat und einigen Gremien mitwirken müsse, der Reichskanzler sollte organisieren, daß sie Einblick in die Regierungsgeschäfte und die Verwaltung bekommen sollte. So spekulierte man, dumm sei sie ja nicht, entweder sie beschäftige sich mit diesen Dingen kompetent oder sehe ein, daß sie dem weitgehend entgehen könne, wenn sie einen Mann finde, der sich weitgehend um diese lästigen Scherereien kümmere.
Und so mußte die Prinzessin an mehreren Tagen der Woche über Stunden an Sitzungen teilnehmen. Und das war ziemlich langweilig für sie, all diese Intrigen und Diplomatie, Berichte, die sie nicht einmal mit voller Aufmerksamkeit verfolgen mußte, um mitzubekommen, daß da viele Leute zum eigenen Vorteil manipulierten und intrigierten. Die Prinzessin hörte zu und ließ dies eine ganze Weile an sich vorbeirauschen. Anfangs gegen die Langeweile hatte sie einen Notizblock mit dabei und zeichnete gerne eine Karikatur von diesem oder jenem bei diesen Sitzungen. Dann notierte sie auch, wie sie es auch sonst gern bei ihren Studien tat, um Unstimmigkeiten auf die Spur zu kommen und neue Fragen zu formulieren. Irgendwann begann sie auch in den Sitzungen zu fragen. Und obwohl sie nicht von sich dachte, Menschen besonders gut zu verstehen oder mit ihnen umgehen zu können, verstand sie doch allerhand von Sprache und von den Berichten, die sie wirklich las und sie verstand es recht gut zu beobachten, wie sich die Leute verhielten. So wurden ihre Fragen schnell peinlich und veranlaßten so manchen, Korrekturen vorzunehmen, zunehmend schon bevor solch eine Sitzung begonnen hatte. Eigentlich wollte die Prinzessin ein recht schnelles Sitzungsende, um sich wieder ihren Interessen zuwenden zu können. Sie ging allerdings nicht davon aus, Zeit zu sparen, wenn die Berichterstatter einfach so mit ihrem Unfug durchkamen. Für sie waren die Dinge erledigt, wenn sie stimmig waren und ein jeder, der unvorbereitet war, Unfug erzählte oder Daten und Berichte manipuliert hatte, der stahl ihr die Zeit. Und bald fürchtete jeder Vortragende auch nur die Andeutung der Prinzessin, daß er ihre Zeit stehlen würde, denn dann konnte man sich nahezu darauf verlassen, daß Detailfragen folgten und eine endlose Sitzung, bis die Dinge stimmig waren oder zur Korrektur zur nächsten Sitzung verwiesen wurden. Und dann hatte man der Prinzessin wirklich nicht nur Zeit gestohlen, sondern auch noch ihre Aufmerksamkeit auf die Berichte gelenkt. Das erforderte noch mehr Zeit und man hatte dann eine Prinzessin und auch einige andere Teilnehmer vom Gremium, die sehr genau zu gucken begannen, warum das alles nicht gleich akkurat abgeliefert wurde. So plagte sich die Prinzessin also mehr und mehr mit langweiligem Zeug, um Fehler und Unstimmigkeiten bei Dingen zu finden, die sie eigentlich gar nicht interessierten, aber es war wie ein Zwang und es machte sie zornig und unzufrieden, besonders mit jenen, die das nicht gleich ordentlich gemacht hatten und sie somit genötigt hatten, das alles selbst nachzuprüfen.
Anfangs hielt es der Reichskanzler eigentlich für eine Plage, die hochnäsige Göre bei den Sitzungen dabei zu haben, wie sie so abgelenkt albernes Zeug in ihren Notizblock malte und offenbar doch geistig gar nicht anwesend war. So war er ganz froh, sie auch in Gremien stecken zu können, wo er nicht anwesend war. Seine Meinung änderte sich schnell, als die Prinzessin begann, den Berichterstattern Fragen zu stellen. Im hohen Rat hielt sie sich länger zurück, aber in den Gremien bekam sie schnell den bereits erläuterten Ruf und der Reichskanzler begriff schnell, wie er sie in solchen Gremien einsetzen konnte, um durchzulüften und aufzuräumen. Nicht selten war dann plötzlich ein sonst eher korrupter Bereich plötzlich besenrein, denn niemand wagte so recht, gegen eine Prinzessin zu intrigieren, die unbestechlich und weitgehend uninteressiert war und doch immer irgendwie die Fragen zu stellen wußte, die niemand beantworten wollte, der auch in die eigene Tasche wirtschaftete.
Der Reichskanzler und jene Minister, denen er vertraute, waren ehrliche Menschen, die für Land und Volk arbeiteten. Das hatte auch die Prinzessin schnell verstanden, weswegen sie den Reichskanzler auch respektierte. Und irgendwie, wenn beide in Sitzungen anwesend waren, verstanden sie sich mit Blicken zu verständigen. Der Reichskanzler sah an ihren Verhalten und ihrer Mimik, wenn ihr etwas aufgefallen war und wenn eine Frage zu einem Bericht drohte. Gerade im Rat war da aber Diplomatie gefragt, nicht bedingungslose Aufklärung von Mißständen. So kam er ihr im Zweifelsfalle bei kritischen Angelegenheiten mit geschickt formulierten Fragen zuvor, um peinlichen Skandalen zuvorzukommen und von da an wechselten sie öfter Blicke. Und mit leichten Kopfbewegungen gab der Reichskanzler der Prinzessin zu verstehen, wann es vorteilhaft war, skurrile Berichte zu hinterfragen und wann Diplomatie vorzuziehen war.
Das bewährte sich so weit ganz gut und mittlerweile hatte der Reichskanzler seine Meinung über die Prinzessin revidiert und verstand es recht gut, sie dort einzusetzen, wo es aufzuräumen galt. Das war jetzt nicht direkt der Auftrag von König und Königin, aber für das Reich nützlich. Es war etwas in Bewegung geraten, insbesondere in den untergeordneten Verwaltungsebenen, wo die Prinzessin mal hier und mal da in Gremien entsendet wurde, um sich ganz offiziell mit der Verwaltung des Reiches vertraut zu machen.
Die mehr diplomatischen, kritischen Unstimmigkeiten machten die Prinzessin aber auch ein wenig unzufrieden und so drängte sie den Reichskanzler irgendwann zum Gespräch über all die Dinge im Rat, die aufgefallen waren, aber dann doch erst einmal übergangen wurden. Der Reichskanzler hatte sich ein wenig vor diesem Gespräch gefürchtet, sah dann aber doch ein, daß er die Karten auf den Tisch legen mußte und erläuterte so der Prinzessin die Machtverhältnisse in den Regionen des Reiches, den Einfluß verschiedener Familien und wie alles mit allem zusammenhing. Deswegen mußte man schließlich auch als Königin, König, Reichskanzler oder Prinzessin vorsichtig agieren und eher subtil vorgehen, um keine Unruhe zu provozieren, sondern eher beiläufig Bemerkungen fallenzulassen, die verschiedene Leute darüber in Kenntnis setzten, daß man Dinge wußte, die problematisch waren und wo es letztlich besser wäre, daß diese nicht irgendwann zu einem Skandal würden, weswegen die betroffenen Mitbürger besser entsprechend handelten, um zum Wohle des Reiches persönliches und allgemeines Unheil und Unruhe abzuwenden. Der Prinzessin war dieser Intrigensumpf, die Diplomatie von Andeutungen zuwider, doch erkannte sie an, daß der Reichskanzler darin geschickt agierte und die Dinge im Sinne des Reiches zwar langsam, aber doch zielstrebig dirigierte wie ein Konzert vieler Musiker, die nur scheinbar völlig chaotisch spielten, vom Reichskanzler aber doch vorsichtig in eine Richtung gelenkt wurden, wo die Interessen nicht völlig auseinanderliefen oder zur offenen Konfrontation führten. Die Prinzessin sah ein, die Belange des Reiches konnten verwickelt sein und Menschen sehr kompliziert, kein Wunder, daß sie das im Grunde nicht interessierte. Wie schön war dagegen ein gutes Buch, ein prachtvolles Kunstwerk oder auch eine gesunde Pflanze, eine gute Frucht im Garten.
So weit konnten Reichskanzler und König und Königin mit der Entwicklung der Prinzessin also ganz zufrieden sein. es blieb allerdings das Problem, einen rechten Mann für sie zu finden, der einerseits einen guten König abgeben konnte, andererseits aber auch der Prinzessin mit ihrer sehr individuellen Persönlichkeit gewachsen war und zudem auf ihr Einverständnis traf. Man lud zu Festen ein und stellte vor, machte Andeutungen, ermunterte zu Konversation. Doch was machte die Prinzessin? Sie recherchierte, fand heraus, stellte den Verehrern und Kandidaten heikle Fragen bis hin zu peinlichen Dingen, die diese nicht diskutiert haben wollten. Oder sie stellte Fragen zu Themen, die der Kandidat nicht verstand oder wo seine Antworten so albern waren, daß sie mehr über ihn offenbarten, als man am Hofe wissen wollte, also gut, die Prinzessin wollte das natürlich schon sehr genau wissen, denn was hätte sie mit einem Mann anfangen sollen, mit dem sie nicht einmal angemessen diskutieren oder streiten konnte? Sie hatte an sich nicht persönlich etwas gegen Dummköpfe, Ignoranten und Intriganten, nur hatte sie eigentlich nicht vor, ihre privates, persönliches Leben mit solche Menschen mehr als unbedingt notwendig zu teilen.
Auch Reitausflüge nutzte sie für ihre Zwecke. Und solche wilden Ausflüge waren eine Möglichkeit mehr, unerwünschte Kandidaten zu erschrecken. Beim Ausflug in größerer Runde fiel da schon einmal einer vom Sattel oder einem anderen ging das Pferd durch, man fand nie genau heraus, wie es dazu kam, aber der jeweilige Kandidat war erst einmal blamiert vor dem amüsierten Publikum und das war der Prinzessin ganz recht, diesen so einfach abservieren zu können.
So galt sie in dieser Hinsicht bald als hochnäsig, schnippisch, besserwisserisch und tückisch, eine zu harte Nuß jedenfalls für jeden Kandidaten, der sich vorwagte, um Interesse bei ihr zu wecken. Und sie war eben nicht sehr diplomatisch, Kandidaten blamierte sie so aufs Peinlichste. Die Prinzessin fand das auch noch recht lustig und so zog gar mancher recht beleidigt ab, was unter dem Strich für die Harmonie im Reich nicht optimal war und jedenfalls auch für etwas Verstimmung mit Nachbarreichen sorgte, wo einige enttäuschte Prinzen schmollten, weil ihnen mit der recht hübschen Prinzessin ein guter Fang entgangen war und man sich nicht einzugestehen vermochte, daß das ja auch wenigstens zum Teil am eigenen Unvermögen lag, mit der jungen Dame angemessen umzugehen und sich nicht gleich öffentlich zu blamieren, wenn man mir ihr zusammentraf. Aber wie man die eigenen Fehler nicht gern bei anderen erträgt, so erträgt man auch jene nur mit Mühe, in deren Anwesenheit man unwillentlich eigenes Unvermögen hat offenbaren müssen. Und so galt die Prinzessin recht schnell als eigensinnige, schwierige Partie, vor der man sich in Acht nehmen mußte.
Der Prinzessin war das erst einmal ganz recht, etwas Distanz geschaffen zu haben. Gut, jemand nach ihren Vorstellungen wäre ihr schon recht gewesen, aber den konnte sie sich ja schlecht selbst zusammenbasteln und was sich bislang angeboten hatte, war aus ihrer Sicht eben bei weitem nicht angemessen. Es kam ihr sehr bedenklich vor, mehr als mit jenen Herren auf einem Ball zu tanzen oder eine lockere Konversation zu führen. Bislang hatte sie nichts gespürt, was sie wirklich anzog und mit einem Mann verband. Das beunruhigte sich aber auch nicht, sie hatte genug zu tun, zumal diese Sitzungen der Räte und Gremien ihre Zeit für die angenehmen Dinge des Lebens im Elfenbeinturm und im Garten noch zusätzlich beschnitten. Wozu also noch einen weiteren Plagegeist, der ihr die Zeit stahl?