Geschrieben: 1993-07-27/08-06, 2015-01-09/18
Das Radio reißt uns viel zu früh aus dem Schlaf, ich brumme unzufrieden, doch sie küßt mich schon einen Augenblick später auf die Wange, springt dann auf und zieht mich am Arm hoch, ich solle nicht so träge herumliegen, meint sie, da ich heute früher los müsse, solle ich zuerst ins Bad, sie werde inzwischen das Frühstück fertig machen. Ich öffne auf dem Bett sitzend die Augen, blinzele sie an, sie sei morgens ja immer geradezu erstaunlich munter, sie lacht, daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen, dabei greift sie meine Hand, daß ich aufstehen muß, schleppt mich hinter sich her bis in den Flur. Endlich bin ich zu einer Reaktion fähig, ich streiche ihr die Haare aus dem Gesicht und lege ihren Hals frei, an dem sich meine Lippen hocharbeiten, über ihre Wange zu ihrem Mund gelangen, ein kurzes Spiel unserer Lippen folgt. Dadurch endgültig aufgewacht gehe ich ins Bad, sie in die Küche.
Nach dem Waschen mit kalten Wasser bin ich dann endgültig richtig wach und ziehe ich mich an, gehe in die Küche, wo sie das Müsli schon fertig hat. Wir essen und sie erzählt, heute Nachmittag hätte sie Zeit, ob wir uns treffen wollen. Ich überlege einen Moment, schlage circa 15:10 im Georgengarten an der Üstra-Haltestelle Parkhaus vor, frage, ob sie wisse, wo das sei, in der Nähe werde ich meine letzte Vorlesung für heute hören, sie erwidert, sie werde es finden, ist einverstanden. Nach dem Frühstück zieht sie sich schon zum Teil an, während ich noch die Zähne putze, an der Tür haucht sie mir noch einen Abschiedskuß auf die Wange, dann gehe ich.
Der Konflikt aus der Nacht hat bei ihr am Morgen keine Rolle mehr gespielt oder schwelt das noch in M.s Gedanken? Hat sie eine Fortsetzung nur vermieden, weil wir ohnehin keine Zeit gehabt hätten? Jedenfalls als Prototyp für einen Konflikt haben wir das vielleicht nur kurzfristig gut überstanden. Eine längere Diskussion steht vielleicht noch aus. Immerhin 'nur' ein heftiger philosophischer Diskurs, keine Meinungsverschiedenheit über unsere Beziehung. Während ich das alles allerdings recht locker sehe, als philosophische Konversationsübung, sieht sie das gleich so dramatisch. Da zeigen sich schon deutliche Unterschiede in unserem Wesen und unserem Verständnis der Welt und des Seins. Aber ergänzt sich das nun eher mehr oder weniger harmonisch oder ist damit bereits der Keim für unheilvolle Konflikte gelegt? Und da Konflikte ja ohnehin früher oder später auftreten und unvermeidbar sind, wenn wir hier die Kurve bekommen, wird uns das nicht gut auf spätere Meinungsverschiedenheiten vorbereiten und unsere Zusammengehörigkeit letztlich stärken, wenn wir lernen, damit zurechtzukommen?
Ich habe ja nicht argumentieren wollen, um sie zu übertrumpfen, hat sie gute Argumente, ist das völlig in Ordnung, zumal wir ja deutlich andere Modelle haben, um vielleicht nicht die Welt zu erklären, in diesem Falle vielleicht nur das menschliche Denken. Und ich kann ja auch nur einräumen, daß niemand etwa nur durch Verwendung von Quantenphysik irgendeinen Gedanken eines Menschen vorhersagen könnte - und mit anderen physikalischen Modellen auch nicht. Allerdings gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, daß etwas im Kopf nicht mit rechten Dingen vorginge, also mit etwas anderem, als dem Grundmaterial, welches der Physik an sich gut bekannt ist. Die Komplexität allein macht sowohl die Funktion aus als auch das Problem, dieses Vorgänge im Kopf im Detail auf Physik zurückzuführen. Was man aber natürlich messen kann - auf das Materielle im Kopf und im Menschen wirkt nichts Geheimnisvolles von Innen oder Außen, was auf dieses Einfluß nähme. Und ist nicht auch unser Erstaunen um die Funktion des Gehirns viel größer, wenn das nicht auf wundersame Weise eingegeben ist, sondern aus sich heraus mit dem funktioniert, was man nachweisen kann? Und es nimmt ja auch nichts von dem Wert der Gedanken, wenn man prinzipiell versteht, wie sie zustande kommen.
Mit der Straßenbahn fahre ich zum Welfenschloß, hole meine Tasche aus dem Schließfach und eile durch den Park, komme gerade noch rechtzeitig zur Übung, die ich allerdings wie üblich um circa 9:10 schon wieder verlassen muß, da um 9 ct im Nebengebäude eine ernstzunehmendere Vorlesung stattfindet. In der Pause zwischen 10:45 und 11 ct zur nächsten Vorlesung kann ich weiter im Gastmahl des Platon lesen, welches zum Glück noch in meiner Tasche ist. Um 12:45 gehts dann in die Mensa, und bis 13:30 bin ich in der nächsten Vorlesung.
Durch bloßes logisches Denken vermögen wir keinerlei Wissen über die Erfahrungswelt zu erlangen; alles Wissen über die Wirklichkeit geht von der Erfahrung aus und mündet in ihr.
Albert Einstein
Das ist meine Weltanschauung, wer aber die gegenteilige hat, kann weise sein, sagt der Weise. Das ist meine Weltanschauung, und wer eine andere hat ist ein Tor, sagt der Tor.
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht auch sie vernünftig an. Beides ist Wechselbestimmung.
Georg Friedrich Wilhelm Hegel
Das Ich ist die Spitze eines Kegels, dessen Boden das All ist.
Christian Morgenstern