Geschrieben: 2014-10-20/11-25
Also gehe ich nicht allzu entschlossen über den Dammweg und weiter den verwilderten Weg ins Unterholz des Waldes hinein. Immerhin, hier gibt es wirklich viel weniger Nebel, dafür mehr Vegetation, mehr von der Umgebung sieht man also auch hier nicht. Es ist eben alles eher grün und braun als weiß und grau.
Ich schaue immer genau auf den Boden, wenn ich einen Schritt mache, um nicht über eine Wurzel oder Schlingpflanze zu fallen. Das ist ein richtiger Urwald, Mittel- oder Nordeuropa vermutlich oder auch Nordamerika? Egal, jedenfalls gibt es einerseits reichlich Urwald zu sehen, andererseits aber nichts, was sich daraus hervorhebt. Immerhin gibt es den Weg, der aber deutlich verwachsen ist, so daß man sich sorgt, er könnte jeden Augenblick irgendwo im Nichts enden. Der Wald sieht nicht aus, als sei er jemals bewirtschaftet worden. Vermutlich hat man sich nur bemüht, den Weg frei zu halten. Der Rest bleibt offenbar sich selbst überlassen. Das mächtige Blätterdach läßt nur wenig vom Einheitsgrau des Himmels durch, daher gehe ich durchs Dämmerlicht. Das wenige Licht, welches nach hier unten gelangt wird dann auch nicht mehr für viele Pflanzen reichen. Das wird erklären, warum ich hier auf dem Weg noch ganz gut vorankomme und nicht alles komplett verwachsen ist.
Die Bäume scheinen also wild gewachsen zu sein, also zwar eher kein bewirtschafteter Wald, aber es gibt auch kaum umgefallene Bäume. Es müßte also jemand gegeben haben, der gelegentlich aufgeräumt hat und den Wald von Totholz und Unterholz befreit hat. Bis auf das leichte Rauschen der Blätter im unten nicht wahrnehmbaren Wind herrscht Stille im Wald. Kein Vogel macht sich bemerkbar, kein Insekt schwirrt einem um den Kopf, keine Ameisenstraße kreuzt den Weg durchs Unterholz. Eine Weile lang ist das noch nicht so ungewöhnlich, zumal ich hier ziemlich auffällig durchs Gebüsch breche, aber es flieht ja auch nichts vor mir. Auf eine längere Laufstrecke bezogen ist es aber doch schon bemerkenswert, daß man gar kein Tier zu sehen bekommt. Ein Wald bietet doch eigentlich reichlich Schutz, Nahrung und Lebensraum für Tiere.
Jenseits des Waldanfanges am Dammweg ist es also schnell dunkler geworden. Das im Durchschnitt hohe Blätterdach läßt nur ein Dämmerlicht durch - und sieht man einmal wirklich durch eine Lücke ein kleines Stück Himmel, so ist es eintönig trüb und grau, nicht einmal mit Wolken strukturiert. Also handelt es sich vielleicht um trübes Herbstwetter, welches sich gerade nicht entscheiden kann, ob es gleich regnen soll oder ob es einfach diffus grau und trostlos bleiben soll. Der Urwald zeigt sich allerdings im grünen Gewand, keine auffällig gelben oder roten Blätter, welche der Herbststimmung rechtgeben würden. Der Wald wenigstens scheint entschlossen, obgleich von Tieren verlassen, kein Trübsal zu blasen und der Herbststimmung zu trotzen.
Entgegen meinen Befürchtungen denkt der Trampelpfad durchs Unterholz auch gar nicht daran, irgendwo aufzuhören oder auch nur uneindeutig zu werden. Stur geht der Pfad durch den Wald, nicht immer gerade, er windet, schlängelt sich, mal hier hin, mal da entlang, schließlich muß der Pfad wohl oder übel den stehenden und den relativ wenigen umgestürzten Bäumen ausweichen und dichtes Gebüsch umgehen. Die umgestürzten Baumleichen wirken eher malerisch, insbesondere weil sich der Weg weitgehend darum herum schlängelt und nicht blockiert wird. Zwar sind die Baumleichen mit Moos bewachsen, liegen also schon lange, aber so lange, daß sie gefallen sind, bevor der Weg angelegt wurde, was auch schon länger her sein muß? Irgendwie sieht das nicht so viel älter aus als der Weg. Das ist ein wenig befremdlich. Beinahe, als solle alles nur ein wenig verwildert aussehen, ohne aber ernsthaft zu behindern. Aufgrund der Kurven im Pfad bin ich mir auch bald nicht mehr sicher, in welcher Richtung ich relativ zum Ausgangspunkt gehe, aber da es ohnehin in der Wildnis keine Alternative zu dem Trampelpfad gibt, macht mir das keine großen Sorgen. Wo ein Weg ist, sollte auch ein Ziel sein, oder? Es müssen ja nicht alle Wege nach Rom führen, wäre aber schon ganz nett, wenn sie an Orten enden würden, mit denen man ansatzweise etwas anfangen kann.
So geht es weiter, an einer Stelle geht es dann doch einmal über einen offenbar jüngst umgefallenen Baum, kurz darauf unter einem halb umgeknickten unterher, als solle mein aufkommender Zweifel zerstreut werden. An beiden Stellen komme ich jedenfalls ganz gut durch, vielleicht doch ästhetisch arrangiert? Als hätten die beiden Bäume geahnt, daß ich da mal durch muß, haben sie ausgerechnet dort wenig Äste ausgebildet, wo sie den Waldweg kreuzen, bemerkenswerter Zufall, finde ich.
Dann wird es spannend. Unvermittelt trete ich auf eine Lichtung mit einer zerfallenen Baracke aus Holz. Der Pfad verliert sich hier auf einem Platz um die Baracke herum, der bereits mit kleineren Bäumen zuzuwachsen beginnt. Falls der Weg noch irgendwo weitergeht, könnte es etwas kniffliger werden, herauszufinden wo, denn bereits hinter mir hat sich das Unterholz beinahe komplett geschlossen. Vorsichtshalber knicke ich am Pfad ein paar Äste um, damit ich die Stelle schneller wiederfinde, falls ich wieder zurück will.
Zunächst gucke ich mir rundum den Platz um die Baracke an. An einer Stelle gibt es eine alte Feuerstelle, an einer anderen Stelle, am Rande des Platzes finden sich dürftige Reste von einem Holzstapel, vermutlich ein Brennholzvorrat, mittlerweile stark mit Moos überwachsen und halb von Pilzen zersetzt. Ein größerer Bereich des Platzes ist eigentlich kein Platz, sondern ein Kräutergarten oder etwas ähnliches, recht verwildert, aber die Konzentration von sehr verschiedenartigen Pflanzen ist zu auffällig für Zufall, zudem gibt es hier passende Bodenunebenheiten und einiges unter dem reichlich vorhandenen Moos deutet auf einige Steineinfassungen hin. Ein Haufen in der Nähe könnte ein ehemaliger Komposthaufen sein.
An einer Stelle nur finde ich dann am Rande der Lichtung etwas, was wie die Fortsetzung des Trampelpfades aussieht. Ich schiebe ein paar Äste zur Seite und wirklich - dort geht es weiter, der Boden ist verdichtet, nicht so locker wie daneben, das ist ein Pfad, auf dem sich bislang nur etwas zähes Moos festgesetzt hat. Ich knicke wieder ein paar Zweige, um die Stelle schneller wiederzufinden und gehe wieder auf die Lichtung hinaus.
Was zu untersuchen bleibt, ist die Baracke, kleine Fenster, abgerissene Tür, eingefallenes Dach. Allenfalls der gemauerte Kamin macht noch einen guten Eindruck, der Rest hat sich weitgehend erledigt. So baufällig, wie das aussieht, ist ein Betreten nicht ganz unbedenklich. Leicht könnte mehr einstürzen, wenn man irgendwo dagegenstößt. Oder man reißt sich an einem alten, rostigen, aus irgendwelchem Bruch herausragenden Nagel das Fleisch auf. Also schaue ich erst einmal von außen nach dem Kamin. Der ist aus unregelmäßigen Steinen gemauert, vielleicht nicht sehr akkurat, aber solide. Viele Stellen zeigen Moosbewuchs.
Durch die kleinen Fenster erkennt man innen den Kamin mit Kochstelle und die vom heruntergekommenen Dach zumeist zerstörten Einrichtungsgegenstände, Tisch, Stühle, Bett, Regale, Schrank, ein Arbeitsbereich. Vermutlich ist ansonsten so ziemlich alles ausgeräumt, verlassen worden. Zumindest finden sich keine weiteren kleineren Gegenstände, Utensilien, wie sie bei einer bewohnten Behausung zu erwarten wären. Also wurde die Baracke verlassen, deutlich bevor sie eingestürzt ist. Danach ist sie offenbar einfach über längere Zeit verfallen. Die Tür ist aus den Angeln gefallen oder gerissen und hängt nach außen. In die Baracke kommt man aber zunächst nur ein paar Schritte, wegen der Balken der heruntergefallenen Decke. Ich gehe vorsichtig an die Tür heran. In der Ecke innen daneben könnte man sich allenfalls noch bei Regen unterstellen, da ist es noch ein Teil des Daches oben und der herabgestürzte Teil bildet eine schützende Schräge. Ich denke mir, was solls, und drücke mich in die Ecke, von dort aus kann man durchkriechen und gelangt an der Wand entlang weiter hinein zu einem ziemlich offenen Bereich. Über einige Trümmer steigend schaue ich so noch einmal ein paar Details an, Schubladen, noch intakte Schrankfächer, aber nirgends findet sich etwas von Bedeutung.
Dann schaue ich mir den Kamin genauer an, man könnte gut einen Stuhl hineinstellen,
so groß ist dieser im unteren Bereich, daneben noch die Kochecke mit eigener Feuerstelle.
Da der Kamin oben einen Regenschutz hat, ist es drinnen recht dämmrig,
trotzdem sehe ich dann Innen einen eigenartigen Schlüssel hängen.
Warum hängt man einen Schlüssel innen in einen Kamin?
Um ihn zu verstecken?
Wozu soll der gut sein, für diese Hütte jedenfalls nicht.
Sollte ich den Schlüssel einstecken?
Ich überlege und entscheide mich dagegen, geht mich nichts an.
Ich habe ja keine Ahnung, wo der Schlüssel passen könnte.
Aber ich nehme ihn ab, halte ihn ins Licht und präge mir die Form ein -
man kann ja nie wissen - hänge ihn wieder zurück.
Damit scheint mir die Untersuchung hier abgeschlossen zu sein
und ich bewege mich vorsichtig durch das Chaos zurück zur Tür und wieder hinaus.
Erleichtert atme ich auf - nichts passiert, Glück gehabt.
Als nächstes geht es weiter den entdeckten Trampelpfad entlang, der sich ähnlich dahinschlängelt wie der vorherige. Nur gibt es hier ab und an mal umgeknickte Bäumchen, über welche man steigen muß, oder drunterherkrabbeln. Auch hier fällt mir im Laufe des Pfades auf, daß mir bei den umgeknickten Bäumen kaum Äste den Weg erschweren, gut ein paar kann ich einfach wegdrücken oder wegknicken, aber nichts Wesentliches hält mich auf. Das wirkt ein wenig wie Ablenkung, Demotivation, ohne den Weg wirklich zu versperren, aber vielleicht täusche ich mich auch. Man sieht jedenfalls nicht, daß jemand vorgearbeitet hätte, etwa indem Äste weggesägt oder weggeschnitten worden wären, dann könnte man Stümpfe erkennen, die aber fehlen. Vermutlich ist hier also niemand entlangspaziert, nachdem die Bäumchen gefallen sind.
Von Ferne höre ich es irgendwann rauschen, mehr als das sanfte Rauschen der Blätter in der Höhe - Wasser? Ein Wasserfall? Zunächst ist es ja recht flach gewesen, auch noch im Bereich der Baracke, aber dahinter hatte die Steigung zugenommen. Nun bin ich bereits in etwas hügeligem Gelände. Warum also nicht ein Wasserfall? Der Pfad führt wohl direkt darauf zu und unvermittelt, nachdem ich einige Zweige beiseite geschoben habe, bin ich da. Offenbar ist hier bei einem ursprünglich unterirdischen Höhlensystem die Decke auf einem kleinen Teil eingestürzt. Ein kleiner Bach fällt aus einer Felshöhle etwa die doppelte Körperhöhe hinab in ein recht unspektakuläres Becken. Vermutlich hat sich der Bach hier diese ehemalige Höhle samt Becken selbst aus dem Fels herausgelöst. Wirbel auf der einen Seite des Beckens legen nahe, wo der Bach wieder im Untergrund verschwindet. Nur sehr wenig fließt zu einer Seite oberirdisch ab, ein Bereich, der tiefer liegt und etwas sumpfig oder moorig aussieht, also eher nicht zum Betreten einlädt. Auch weiter oben hat der Bach wohl den Felsen bearbeitet, das Loch, aus dem der Bach fällt, ist wenigstens deutlich breiter und höher als für den Bach notwendig, welcher sich hier zur Sumpfseite in den Fels vorzuarbeiten scheint, so bleibt auf der anderen Seite ein trockener Höhlenabschnitt, der sich mit etwas Kletterei erreichen ließe.
Es ist nicht zu erkennen, daß der Weg weitergeht, Ziel scheint dieser Wasserfall zu sein. In den Sumpf werde ich sicher nicht gehen und zur gegenüberliegenden Seite wird es ungemütlich mit dem Urwald, da ist kein Durchkommen. Nach vorne versperrt der Fels mit dem Wasserfall das Weiterkommen.
Um das Becken herum ist auch eine Lichtung im Wald, so kann ich ungehindert in den Himmel sehen, und da gibt es Veränderungen. Statt des strukturlosen, trüben Himmels ziehen da dunkle, bedrohliche Wolkenfetzen über den Hügel, aus welchem der Bach kommt. Offenbar braut sich auf der anderen Seite des Hügels etwas zusammen, vermutlich kündigt sich da heftiger Regen an, damit sich die dunklen Wolken erleichtern können, indem sie über dem Hügel abregnen.
Nun kündet ein fernes, böses Grollen ein noch schlimmeres Unwetter an, ein Gewitter? Paßt nicht so gut in die trübe Herbststimmung. Allerdings klingt das Grollen nun viel bösartiger als der ehrliche Donner eines kurzen Sommergewitters. Das beunruhigt mich etwas. Gewitter und ich stehe mitten in einem Wald? Nicht gut.
Ich habe eigentlich nicht vor, mich durchnässen zu lassen oder mich mitten im Wald von einem Blitz erschlagen zu lassen. Also stellt sich mir die Frage, was am besten zu tun ist. Zurück zur Baracke mit dem eingefallenen Dach? Bei solche einem Unwetter böte allenfalls der Kamin Schutz vor der Nässe - wohl aber eher nicht gegen Blitzeinschlag, weil der Kamin der höchste Punkt auf der Lichtung ist. Also eher nicht. Bleibt die Höhle oben im Fels. Weiter weg vom Bach, etwas weiter rein ist es trocken, das könnte gehen. So gesehen erscheint die Höhle zwar noch immer nicht verlockend, aber immerhin als eine Option.
Ich beschließe also zu klettern, während der Wind zunimmt und das Grollen hinter dem Hügel immer bedrohlicher wird, die Wolken immer dunkler werden, daß man noch schlechter sehen kann, wohin man an dem Felsen greift und tritt. Jedenfalls könnte es seitlich über einige Tritte gehen. Ich muß es versuchen. Noch ist der Fels hier ziemlich trocken und bietet genug Halt. Und los geht die Kletterpartie.
Ich bin schon ein ganzes Stück hoch, als der Regen einsetzt und die Felswand schnell rutschig wird, zudem bekomme ich von dem kalten Regen schnell klamme Finger. Entschlossen klettere ich weiter. Es wird riskanter, aber zu dem Grollen kommen offenbar erste Einschläge, Lichtblitze teils ohne Donner, teils folgt ein böser Donner bereits knapp nach einem Blitz. Es kommt näher, also beeilen.
Beinahe rutsche ich noch ab, kann mich gerade noch an der Felskante des Höhlenloches halten. Mühsam ziehe ich mich hoch, während der einsetzende Regen mir nun bereits in den Kragen läuft. Das ist alles recht unerfreulich hier. Ich pendele vorsichtig, um einen Fuß auf die Kante zu bekommen. Irgendwann bekomme ich es hin und rolle mich von der Kante weg ins Innere der Höhle. Etwas vom Eingang weg ist es sicherer und trockener, also gehe ich ein paar Schritte in die finstere Höhle hinein und kauere mich gegen die Wand. Es ist kalt und zugig. Der Wind, welcher das Gewitter vorantreibt, bläst offenbar auch ordentlich durch die Höhle.
Das Unwetter draußen nimmt bedrohliche Ausmaße an. Blitze zischen nun fast im Sekundentakt herab und der Regen ergießt sich fast wie der kleine Wasserfall hinab in die Tiefe. Es ist dunkel fast wie in der Nacht. Ich schaue mich um, ob es weiter drinnen in der Höhle noch etwas Interessantes geben könnte. Diese wird nach hinten wieder kleiner. Dann sehe ich allerdings etwas Interessantes: Hinten, wo der Bach herkommt, leuchtet ein Blitz auf. Dort müßte es also einen Durchgang geben! Daher bläst als der Wind durch die Höhle und macht sie so zugig!
Endlos scheint das Unwetter weiterzugehen und ich sitze nur reglos. Solange es so gießt, kann ich nichts tun, daher auch sinnlos, in der Finsternis bei jedem Blitz ein paar Schritte vorzugehen, um nach dem Durchgang zu suchen. Und bei dem Regen kann ich auch gleich ins Wasserbecken springen, dabei könnte ich nicht mehr naß werden als bei diesem Guß!
Irgendwann wird es dann doch besser, es klart auf zu dem üblichen, diffusen Himmel, der Regen läßt nach, es grollt immer noch, ab und an hellt auch noch ein nicht einmal herabknallender Blitz die weitergezogenen Wolken auf. Jenseits des Berges scheint es noch ab und an Blitze zugeben, das Unwetter scheint aber grob seitlich wegzuziehen, nicht gerade über diese Hügelkette. Die Aussicht, bald weiterzukommen, belebt mich wieder. Sollte ich nun zurück oder den Höhlenausgang zur anderen Hügelseite suchen, der mir durch die jenseitigen Blitze als naheliegend offenbart wurde?
Was also tun? Welchem Weg folgen?