Geschrieben: 2014-10-20/11-25
Aufgrund des auch auf dem Dammweg noch vorhandenen Nebels kann man nicht besonders weit sehen. Auf der einen Seite eben der Uferbewuchs am Wasser in noch dichterem Nebel, auf der anderen Seite ein Wald mit dichtem Unterholz, wo der Nebel zwar schnell aufzuhören scheint, es aber einmal abgesehen vom anfänglich gefundenen Weg hinein kein weiteres Durchkommen zu geben scheint. Nun, auf diesem Weg läßt es sich jedenfalls ganz gut gehen, von daher kein Bedarf, bereits jetzt zu wechseln. Allerdings ist es eintönig. Der Weg scheint nahezu gerade zu verlaufen und links und rechts davon ändert sich nichts. Aufgrund des Nebels kann ich mich natürlich auch täuschen, vielleicht ist es auch ein weiter Bogen, dem ich folge. Ab und an kicke ich also nur aus Langeweile einen kleinen Stein vom Schotter mal in den Uferbewuchs, mal in Richtung Wald.
So geht es weiter und weiter, ohne weiteren Zwischenfall. Ab und an schaue ich auch einmal, wenn ich im Uferbewuchs doch einmal eine andere Pflanze sehe, deren Art mir zuvor nicht aufgefallen ist oder die gerade mit einer schönen Blüte erfreut. Sonst gibt es keine Abwechslung. Es gibt nicht einmal zwitschernde Vögel, zirpende Insekten, im Wesentlichen ist es still bis auf das Knirschen des Schotters unter meinen Füßen, gelegentlichem, verhaltenem Rauschen vom Blätterdach des Waldes oder dem Schilf im Ufernebel.
Gerade diese Lücken in der normal zu erwartenden Geräuschkulisse sind es, die einem doch zu denken geben, die verhindern, daß man entspannt weitergeht. Immer ist da das latente Gefühl des Unheimlichen, ja des Irrealen, weil alles beinahe normal ist, aber dann doch im Detail eben nicht. Unwillkürlich wird dann der Schritt schneller, obwohl man es gar nicht eilig hat und man nicht weiß, wohin es eigentlich geht und woher man genau gekommen ist. Irgendwie finde ich es dann irgendwann schon erstaunlich, daß ich hinter mir keine unheimlichen, knirschenden Schritte höre. Die hätten irgendwie hier her gehört. Aber sie fehlen, was die Angelegenheit noch unheimlicher, irrealer macht, weil sich das Sterotyp nicht einmal an seine eigenen Regeln hält.
Trotzdem ist der Nebel in mehrfacher Hinsicht irgendwie passend. Er scheint alles zu ersticken, was außerhalb der unmittelbaren Umgebung ist, sowohl räumlich als auch zeitlich. Das ist dann also schon beinahe ein Nebel von philosophischer Symbolik. Was wissen wir denn schon ganz bestimmt über uns und unsere Umwelt, über die ferne Vergangenheit und auch nur über die nähere Zukunft? Steht nicht ein jeder letztlich im Nichts und wohin man sich auch bewegen mag, alles, was weiter weg sein mag, liegt im trüben Dunst der Ungewißheit, im Vagen und Ungefähren.
Neben diesen wenig tiefsinnigen philosophischen Überlegungen bleibt mir nichts, als dem Weg zu folgen und allenfalls ab und an mal einen kleinen Stein in die Botanik zu kicken. Alles wiederholt sich, ohne sich allerdings exakt zu wiederholen. Im Detail sind die Pflanzen im Uferbewuchs jeweils einzeln, ebenso die Abfolge von Bäumen am Waldrand und doch gibt es kaum irgendwo hervorstechende Merkmale, die eine realistische Chance böten, nachher zu sagen, genau da und da war ich und das ist genau die Stelle, die man so und so beschreiben kann. Solche Stellen gibt es auf diesem Wegstück einfach nicht. Ich könnte ebenso gerade losgelaufen sein, also nun schon längere Zeit unterwegs sein, es macht keinen offensichtlichen, keinen offen sichtlichen Unterschied.
Obwohl ich mich nicht sonderlich wohlfühle oder mich dieser Spaziergang besonders interessiert, ist meine Stimmung dennoch nicht wirklich schlecht, eher gleichzeitig etwas angespannt und gelangweilt, gleichgültig. Vielleicht macht dieser Nebel ja etwas gleichgültig in seiner Eintönigkeit, in seiner feuchten Umklammerung scheint er auch irgendwie zu bewirken, daß es gar nicht mehr so wichtig erscheint, woher man eigentlich kommt, wohin man gehen mag und wer man selber ist. Was kann ich denn schon bestimmt wissen, außer das ich bin, in welcher Weise auch immer? Und genaugenommen - wen interessiert dies sonst, außer mich selbst? Von daher sind die Antworten auf meine drängenden Fragen wohl gar nicht so wichtig.
Mein Gedankengang wird nicht wirklich unterbrochen, weil es da nicht viel zu unterbrechen gibt, aber nun scheint sich der Weg doch anzuschicken, eine eindeutige Kurve vom Wasser weg zu nehmen, gleichzeitig macht der dichte Urwald offenbar bereitwillig Platz. Aber ganz so ist es dann doch nicht. Der Weg macht an sich keine wesentliche Kurve, er mündet in einen etwas breiteren Weg, mehr einer Fahrspur, also links, rechts und in der Mittel Gras und dazwischen zwei Spuren für Radfahrzeuge wie Autos. Auf solch einem Weg läßt es sich genauso gut gehen wie auf dem bisherigen, die Spuren sind stark verdichtet und der Boden ist trocken.
Ich schaue mal, ob ich erkennen kann, wie es mit dem Weg in beide Richtungen weitergehen mag. Zur Seite ins Landesinnere vermindert sich offenbar der Nebel, trotzdem kann man von hier noch nicht allzu weit gucken, auf einer Seite immer noch der Urwald, auf der anderen ein großes Feld. In der Ferne verliert sich der Weg auch wieder im Dunst, wenn man auch hier viel weiter überschauen kann, daß auch dieser Weg keine besonderen Attraktionen, Abwechslungen zu bieten hat. Zur anderen Seite macht der Weg selbst auch eine scharfe Kurve, so daß er ungefähr in der Richtung weitergeht, in welche ich zuvor ohnehin gegangen bin, also einfach weiter entlang des Wassers, lediglich hat man nun auf der anderen Seite Feld statt Urwald. Schnell taucht aber im Nebel ein Maschendrahtzaun auf, der an der Stelle des Weges ein Tor hat, welches geschlossen ist. Auf der Wasserseite reicht der Zaun in den Uferbewuchs, steigt man vorsichtig hinab, verliert er sich im Nebel über dem Wasser, welches gerade noch so erkennbar ist. Zaun und Tor versperren aber ein Weiterkommen. Sollte ich also dem anderen Weg folgen oder es doch mit dem Tor versuchen? Vielleicht läßt es sich ja einfach öffnen. Ich könnte auch drübersteigen. Da niemand da ist, der das kritisieren könnte oder ich gar froh wäre, wenn einmal jemand käme, scheint es mir auch nicht verwerflich zu sein, einfach mal zu gucken, was hinter dem Zaun ist. Andererseits was sollte ich schon erwarten? Eine lustige, ausgelassene Feier von Leuten, die auch nicht wissen, was sie sonst hier machen sollen? Typen, die hinter einem Zaun auf verirrte Passanten lauern? Scheint mir alles nicht so plausibel.
Was also tun? Welchem Weg folgen?