Geschrieben: 2014-10-20/11-25
Das Spiel ist ein Grundbedürfnis des Menschen und dient einerseits dazu zu entspannen, aber andererseits auch um Modelle zu entwickeln, wie die Umwelt funktioniert und wie man gezielt mit ihr interagiert. Spiele sind daher oft stark vereinfachte oder abstrahierte Bilder von Lebenssituationen oder Begebenheiten, klassisch in einen festen Regelsatz gefaßt. Der feste Regelsatz entspricht den Gesetzen und anderen Verhaltensnormativen im sozialen Leben, man kann es zwar anders machen, kann damit aber andere Menschen provozieren, sich gegen einen zu wenden und sich dabei gegebenenfalls auch nicht an Gesetze und Regeln zu halten. Beim Computerspielen unterbindet das Programm allerdings zumeist Regelverstöße oder erlaubt nur bestimmte, womit sie zu neuen Regeln werden, die unter bestimmten Bedingungen eine Aktion erlauben.
Je intensiver die Auseinandersetzung mit einem Spiel ist, desto mehr läßt das Ich sich darauf ein und lernt, darin zu interagieren. Dabei kann es leicht passieren, daß im Spiel erfolgreiche oder vergnügliche Strategien auch ins Leben übertragen werden. Das kann sowohl zufällig nützlich sein, für andere aber auch befremdlich oder gar gefährlich, insbesondere wenn der Unterschied zwischen Spiel und normaler Welt verschwimmt. Wenn plötzlich bewaffnete Kinder und Jugendliche in Schulen amoklaufen und ihr Ballerspiel auf dem Rechner auf die Wirklichkeit übertragen, wird es für diese und unfreiwillig Beteiligte gefährlich. Solch ein Verlust des Bezuges zur profanen Alltagsrealität, der Verlust des Respektes vor anderen, die Anmaßung, deren Gesundheit und Leben den eigenen Interessen unterzuordnen, ist vermutlich keine zwangsläufige Folge gewalttätiger und gewaltverherrlichender Spiele, kann aber bei geeignet labilen Personen zu solch asozialem Verhalten führen. Die Ursachen können auch umgedreht sein, das Interesse an solchen Spielen oder wenigstens der intensiven Beschäftigung damit oder gar eine Identifizierung mit mordenden Protagonisten können sicherlich in einer dafür zugänglichen Persönlichkeit liegen. Dabei wird eine solche Persönlichkeit gerade im Kindesalter natürlich stark und schnell durch das soziale Umfeld geprägt und geformt.
Kinder werden nicht pauschal zu Massenmördern, nur weil sie diese Spiele spielen, aber Ballerspiele etablieren denkbare Szenarien, die den Kindern ohne diese Spiele gar nicht eingefallen wären, die Szenarien werden schlichtweg erst denkbar und möglich, weil man sie gespielt hat. Bei entsprechender Neigung, sonstwie entstandener Frustration oder sozialer Konstellation wird dann von einigen wirklich umgesetzt, was im Spiel vermeintlich gelernt wurde und was sich dort etabliert hat. Dabei sind viele Spielaspekte nicht wirklich umsetzbar, etwa daß die realen Teilnehmer nicht mehrere Leben haben. Die Konsequenzen des Handelns sind in der profanen Realität ganz andere als im Spiel und das 'wirkliche Leben' funktioniert auch ganz anderes als ein einfach gestricktes Computerspiel.
Die Illusion der Einfachheit in Spielen ist natürlich auch ein Trost für jene, die sich überfordert fühlen, weil sie einfach nicht durchblicken, durch die eigene Dummheit, die eigenen begrenzten Möglichkeiten frustriert sind. Da kommt manchen die scheinbare Allmacht eines Ballerspiels gerade recht, die Einschränkung der eigenen Möglichkeiten, aber vor allem auch die drastische Einschränkung dessen, was überhaupt passieren kann zusammen mit der Möglichkeit, zu wiederholen, bei dem man zuvor versagt hat. Die unreflektierte Übertragung der vom Spiel suggerierten Einfachheit auf die eigene profane Realität führt zum unvermeidlichen Scheitern an dieser profanen Realität, die letztlich ganz anders ist. Und mit diesem Scheitern werden dann leider oft eben auch unbeteiligte Mitmenschen in den Abgrund gezogen.
Einmal abgesehen von echten Spielsituationen ist das Ich ansonsten auch gezwungen, das Leben aufgrund von unvollständigen Informationen zu gestalten, in einer Umwelt, die zumeist nicht gut verstanden ist. Entscheidungen müssen teils ad hoc getroffen werden, ohne große Analysen, werden bei hinreichend wenig Information dann auch schnell zum Glücksspiel. Auch in diesem Sinne ist das Ich zum Spiel gezwungen. Ohne zu verstehen, um was es geht und welche Aktionen genau welche Konsequenzen habe möchte, muß das Ich entscheiden, was die nächsten Schritte sind. Dabei ist es natürlich besonders wichtig, sich immer bewußt zu sein, daß die profane Realität komplexer ist als unsere einfachen Modelle und Bilder von ihr.
In der Erzählung wird das Spiel oder die Simulation vom Hauptprotagonisten als echt
empfunden und doch als befremdlich. Brecht folgend wären im übertragenen Sinne in Spielen
immer Verfremdungseffekte angebracht, um den Spieler immer daran zu erinnern, daß
dies nicht real ist, sondern eine von anderen Personen vorbereitete Illusion.
Die Simulation in der Erzählung ist gleichzeitig echt und doch auch befremdlich,
in Metaszenarien einiger Abschnitte wird nahegelegt, daß das sogenannte Abstraktiones,
die Simulation noch gar nicht komplett fertig ist oder nur teilweise im Betrieb
ist und so der Verfremdungseffekt zustande kommt.
Jedenfalls wird dem Hauptprotagonisten nicht klar, worin das Ziel des Spieles oder
der Simulation liegt, ein von außen vorgegebener Sinn oder Erfolg scheint nicht vorhanden
zu sein oder liegt außerhalb des Verständnisses des Protagonisten.
In diesem Sinne nimmt der Protagonist der Erzählung auch die Rolle einer Spielfigur, eines sogenannten
Avatars ein, ein Subjekt, welches in ein Szenario geworfen wird und keine Vergangenheit
aufzuweisen hat, keine eigenen Entscheidungskriterien, die auf Erfahrungen beruhen.
Das Ich verwendet hier also nicht nur einen Avatar, es übernimmt auch dessen existenzielle
Situation ohne eigene Vergangenheit. So wird das Spiel oder Szenario skurril oder absurd.
Mit dem Beginn des Abstraktiones verliert das erlebende Ich die eigene Vergangenheit
und ist so dieser Welt ohne bewußte Entscheidungskriterien ausgeliefert.
Mangels bekannter Alternativen muß sich das Ich auf diese unbekannte Welt einlassen,
sich mit ihr auseinandersetzen. Auch dies ist ein Verfremdungseffekt gegenüber
konventionellen Spielen. Die Annahme, daß es ein zu erreichendes Ziel gibt, daß
man irgendwas erreichen muß, könnte der Hauptprotagonist sowohl aus solchen konventionellen
Spielen übernommen haben, aber auch als unbewußte Regel aus dem 'wirklichen Leben'.
Es hat ja niemand versprochen, daß es ein vorher je gab oder das es ein vordefiniertes
Ziel gäbe. Von daher kann der Hauptprotagonist einer Fehlannahme aufgesessen sein, wie
viele im 'wirklichen Leben' auch, die an einen Sinn glauben, der nicht durch Menschen
als solcher festgelegt wurde. Nun, bei einem Spiel mag es zu erreichende Ziele geben,
aber nicht notwendig einen Sinn jenseits von Unterhaltung, Zeitvertreib und Vergnügen.
Mehr?