Geschrieben: 2014-10-20/11-25
Ich gehe den Dammweg entlang und kann im dichten, feuchten, kalten Nebel kaum sehen, wie es weitergeht, allerdings ist dies immer geradeaus. Ab und an kicke ich ein Steinchen vom Schotterweg ins Schilf, ein anderes Mal in das Unterholz des Waldes.
Pflanzen im Schilfbereich kenne ich teilweise mit Namen, ebenso welche aus dem Waldbereich. Viele andere kommen mir wenigstens sehr bekannt vor. Aber über mich und meine Vergangenheit weiß ich nichts. Immer die gleichen Gedanken und Zweifel, immer die gleichen Wege und im Grunde kein Ziel. Könnte ich irgendwie aus meinem Wissen, was ich benennen kann, was mir bekannt vorkommt, darauf schließen, wer ich bin, woher ich komme? Ich grübele darüber, was ich weiß, doch ist es nicht einfach, das ohne Anlaß abzurufen. Sehe ich hier eine Blüte oder Pflanze, so ist der Name einfach präsent oder jedenfalls das Bewußtsein, daß ich diese Pflanzenart schon gesehen habe. Aber ohne Anlaß jedenfalls mag meine Erinnerung nichts weiter herausrücken. Das ist enttäuschend und auch etwas befremdlich. Was war nur mit mir passiert? Ist es möglich, daß ich hier schon lange Zeit herumirre und immer wieder vergesse, was passiert ist, wie ich hierher gekommen bin? Alles scheint so undurchsichtig wie der Nebel zu sein, und an diesen Eindruck erinnere ich mich bestimmt, vielmehr ist dieser Eindruck dauernd präsent wie die aufdringliche Stille, die nur von mir gestört wird.
So gehe ich eine ganze Weile ohne weitere Zwischenfälle oder Ereignisse, die es zu erwähnen lohnen würde. Hier eine Blüte, dort eine Pflanze, kurze Momente, wo ich innehalte, um mich von dem bedrückend dichten, feuchten, würgenden Nebel abzulenken. Doch dann gehe ich wieder entschlossen weiter und weiter. Ein neuer, wertvoller Gedanke, eine Idee wäre jetzt nützlich, aber mein Kopf fühlt sich an, wie in Watte gepackt. Ich registriere meine Umwelt hier im Nebel, aber mehr als vage Assoziationen zu Details kommen nicht, keine wirkliche Erinnerung an Erlebtes, was vor diesem Nebel gewesen wäre. Ich irre einfach nur herum, ohne wirklich weiterzukommen. Aber ohne ein Ziel benennen zu können, wie könnte ich überhaupt weiterkommen? Ohne definierte, vorgegebene Richtung ist 'weiter' ja eigentlich kein sinnvoller Begriff. Dieser impliziert ja eine definierte Richtung, wo näher und weiter, vor und zurück, Fortschritt und Rückschritt Wörter in einem Sinnzusammenhang sein würden. Hier beziehen sie sich lediglich auf die Richtung, in welche ich gerade gehe. Wenn mich mich umdrehen würde, würden sich Fortschritt und Rückschritt, Anfang und Ziel miteinander vertauschen.
Irgendwann bin ich dann wirklich wieder am Ausgangspunkt meiner Erinnerung - geradeaus geht der Dammweg weiter, aber zur einen Seite führt ein Pfad in den Wald, zur anderen ein anderer Pfad, ein Moosweg durch das Schilf hinunter in noch dichteren Nebel hinein.
Was also tun? Welchem Weg folgen?