Geschrieben: 1990-06-04/07; 2021-03-04
Was soll ich?
Einmal etwas wirklich Wichtiges erzählen?
Jetzt, wo wir Zeit haben, das würde ich doch niemals tun, es könnte sonst noch jemand ernst
nehmen und dadurch vielleicht in seinem späteren Leben zu Schaden kommen, nun, ich erzähle euch lieber die Geschichte, wie Gnor den großen Politiker Luthem von seinem Heimatplaneten emigrieren sollte und dabei eine Betrachtung zum idealen Staat zum besten gab.
Ist euch das genehm?
Ich weiß ja nicht, aber ich dachte mir, diese Schnurre oder auch Eskapade könnte ganz lustig und daher interessant sein. Fein, lege ich also los …
Dabei handelte es sich übrigens um einen der letzten offiziellen Aufträge, die Gnor als Raumfahrer erledigte. Doch das spielt in dem Zusammenhang kaum eine Rolle, das sei nur so nebenbei erwähnt, um einordnen zu können, daß er zu dem Zeitpunkt schon auf allerhand praktische Erfahrung zurückgreifen konnte.
Er war gerade auf dem Planeten Wallret gelandet, als er auch schon zum Büro der zuständigen Person weitergeleitet wurde, welche für seinen Auftrag zuständig war. Dazu muß man wissen, daß nicht überall Raumfahrt betrieben wird, wohl aber doch Kontakte in die Welt bestehen, daher werden auf jenen Planeten, welche nicht selber Raumfahrt in der Galaxis betreiben, entsprechende Aufträge an die galaktische Gemeinschaft vergeben, welche sich bei kritischen Angelegenheit darum kümmert, indem geeignete Personen mit der Angelegenheit betraut werden. So war Gnor zu dieser Mission gekommen. Er gehörte als Schüler des Agos zu jenen Personen, welche mit offiziellen Missionen der galaktischen Gemeinschaft betraut werden, um Wohlfahrtsmissionen erfolgreich umzusetzen.
Jene zuständige Person in dem Büro jedenfalls bat ihn, platzzunehmen, und fragte, inwieweit er über die Angelegenheit unterrichtet sei.
Er erwiderte daraufhin, sein Auftrag sei, eine Person von der Regierung des Planeten Wallret
zu übernehmen und zum Hauptsystem zu fliegen, sofern dies von der wallretischen Regierung wirklich erwünscht sei.
Die Person sei für ihn nicht als über das normale Maß hinaus gefährlich anzusehen und daher als
Passagier zu behandeln, allerdings nichtsdestotrotz auf dem Planeten Wallret fürderhin als unerwünscht anzusehen.
Die zuständige Person nickte, sie wolle diese Affäre etwas näher erläutern, weil Gnor immerhin mit ihm fliegen müsse.
Es handele sich um Luthem, ein doch wohl bekannter Politiker, gestand jene Person.
Gnor wich in Anbetracht dieser Information erschreckt zurück, wenn man ihm das vorher gesagt hätte, hätte er versucht, sich vor diesem Auftrag zu drücken.
Sein Gegenüber lächelte, das hätte sie wahrscheinlich auch versucht, deswegen habe man ihm das wahrscheinlich auch vorher nicht eröffnet.
Wie es denn dazu habe kommen können, möchte Gnor wissen, denn eine allgemeine Abneigung allein ist ja kein hinreichender Grund, um einen Bürger einfach so zu verbannen.
Folglich wird ihm die Vorgeschichte mitgeteilt, welche ich euch nun auch kurz erläutern möchte.
Es begann eigentlich alles mit dem ersten großen galaktischen Vertrag, den ja nunmehr nahezu alle bekannten Zivilisationen unterzeichnet haben. Ihr wißt ja, darin geht es um die Begrenzung von Umweltkatastrophen. eine Regelung, welche insbesondere technische Katastrophen raumzeitlich in engen Grenzen halten sollte. Größenordnungsmäßig war es nach dem ersten galaktischen Vertrag gerade noch erlaubt und damit eine Angelegenheit der lokalen Regierungen, die eigene Sonne zu einer milden Supernova zu reizen, sofern man sich in einem nicht allzu belebten Teil der Galaxis befand, man weiß ja, was dabei für ein Dreck an Materie, insbesondere aber auch harter Strahlung in die Gegend gepustet wird, was von nahen Nachbarn nicht gerne gesehen wird. Weil derartige Vernichtungen ihrer eigenen Sonne und damit ihrer Lebensgrundlagen die wenigsten Zivilisationen aber in Erwägung zogen, erreichte man mit diesem Vertrag einen breiten Konsens als Basis für schärfere Vertragswerke.
Der zweite galaktische Vertrag reduzierte den räumlichen Aspekt schon auf die Größenordnung eines Planeten, und auch damit erreichte man weitgehende Übereinstimmung. Inzwischen waren dem ersten Vertrag schon viele galaktische Zivilisationen beigetreten, und das Ganze kam nun richtig ins Rollen. Vernichtung des eigenen Planeten ist schon deutlich plausibler, wenn auch nicht geradezu geplant. Umweltverschmutzung, Klimakatastrophen im Zuge von Industrialisierung, Kreation von Mikroorganismen, welche alles andere Leben auf dem Planeten vernichten – kann alles durchaus mal versehentlich im Eifer des Gefechts passieren. Jedenfalls wurde mit dem zweiten Vertrag vermieden, derlei auf belebten Nachbarplaneten zu probieren, um einfach mal zu gucken, was passiert oder anderes Leben im selben Sonnensystem mal nebenbei kurzerhand zu zernichten. Derlei Ansinnen waren also fortan verpönt. Dummheit ist schlecht zu verbieten, absichtliche, mutwillige Aktivitäten hingegen durchaus.
Nach harten Auseinandersetzungen gab es alsdann bald den dritten galaktischen Vertrag, der wenig später zum ersten universalen Zivilisationenvertrag ausgeweitet wurde, welcher belebte sowie unbelebte Planeten und Sonnensysteme mit einem komplizierten Regelwerk vor der Willkür der Zivilisationen schützen sollte, indem damit Umweltkatastrophen auf raumzeitlich eng begrenzte lokale Umgebungen beschränkt wurden. Zum Beispiel war nach diesem Vertrag die technische Nutzung der Atomspaltenergie so gut wie ausgeschlossen, da niemand garantieren konnte, daß seine Anlagen und Abfallprodukte so sicher sind, daß sie bei Katastrophen die vorgeschriebenen raumzeitlichen Umgebungen nicht überschreiten. Besondere Aufmerksamkeit widmete man also dem Erhalt der Biosphären auf zivilisationsbefallenen Planeten, soweit noch vorhanden. Zudem wurden mit dem Vertrag Übergriffe von Zivilisationen auf andere Planeten mit einer einseitig als primitiv angesehenen Biosphäre stark eingeschränkt. Es galt also nicht mehr als in Ordnung, einfach mal auf einem anderen Planeten einzufallen, sich dort auf Kosten der lokalen Lebensformen breit zu machen. Allerdings kam der Vertrag ziemlich spät, in der Hinsicht war vielerorts das Kind schon in den Brunnen gefallen, die normative Kraft des Faktischen hatte bereits Tatsachen geschaffen, die Fremden hatten sich schon als Einwohner etabliert. Als kritisch wurden auch massive Eingriffe in die eigene Atmosphäre oder ins Klima angesehen, die gezielte absichtliche oder implizite Ausrottung von Spezies auf dem eigenen Planeten, den massiven Eintrag von nicht biologisch abbaubarem Müll in die Ökosphäre. Aber all dies brauche ich ja nicht ausführlicher zu erläutern, das wißt ihr sicher alles viel besser als ich.
Viele Zivilisationen verschärften aber diese Umweltschutzgesetze noch zusätzlich, wohl vor allem aus Angst vor der eigenen Dummheit, sich aus Versehen selbst zu vernichten.
Eine solche Verschärfung gelang auch in der Regierungszeit von Luthem, allerdings auf Druck weiter Bevölkerungsschichten hin und kurz vor einer Wahl – auf Wallret hausen ja parlamentarische Demokraten.
Luthem nahm dies jedenfalls als Wahlkampfthema auf, witterte darin seine Chance, die Macht nochmals an sich zu binden.
Dies gelang ihm.
Luthem wurde also tatsächlich wiedergewählt.
Was eigentlich von ihm bloß als Dreh gedacht war, um genug Wählerstimmen zu erringen, entwickelte daraufhin jedoch eine Eigendynamik durch weiteren Druck durch Proteste, was ihn letztlich Zwang, im Parlament entsprechende Gesetzte vorzulegen, welche letztlich verabschiedet wurden, woraufhin sich die Lage wieder befriedete.
Beim nächsten Wahlkampf jedoch entwickelten sich diese schärferen Umweltschutzgesetze zum Bumerang. Zunächst bezeichnete ihn die Opposition in einer Wahlkampf-Kampagne bloß im Scherz als Umweltkatastrophe entsprechend der verschärften Gesetze.
Ihre Argumentation wurde allerdings mit der Zeit derart ausgefeilt, überzeugend, daß sich die zuständigen Behörden einschalteten und eine offizielle Untersuchung durchführten.
Das Ergebnis war für Luthem wiederum eine Katastrophe,
Beziehungsweise es stellte sich heraus, daß er tatsächlich eine Katastrophe im Sinne der eigenen Gesetze war, so schlecht, korrupt, widersprüchlich war seine Regierungsarbeit gewesen.
Die einstige Opposition gewann daraufhin nicht nur die Wahl, sondern Luthem sollte nach Absprache mit dem Hauptsystem auch noch dorthin emigrieren, denn dort lassen sich die Gesetze nicht derart auf korrupte, manipulative Politiker anwenden.
Deshalb sollte Gnor ihn also abholen. Soweit unterrichtet übernahm Gnor seinen Passagier und brach sogleich in Richtung Hauptsystem auf. Richtig fand er es eigentlich nicht, daß sich die Leute von Wallret nun in dieser Art davor drückten, mit den eigenen Problemen umzugehen, einfach abschieben erschien ihm nicht die feine Art. Wenn Luthem kriminell ist, dies nachweisbar ist, wäre dies eben lokal zu sanktionieren, alles andere ist Drückerei, Herumgeschwurbel, bloß um einen unbequemen Demagogen als Mitbürger loszuwerden, statt sich selber darum kümmern zu müssen.
Luthem begann schon bald, sich mit mißmutigem Gesicht über die Ungerechtigkeit der Welt auszulassen und insbesondere über die seiner nunmehr ehemaligen Mitbürger auf Wallret.
Das sei nun der Dank für seine jahrelange, aufopferungsvolle Arbeit in Hingabe für Volk und Planet, einfach hinausgeschmissen, wo sie ihm doch so viel zu verdanken hätten, er hätte doch Wohlstand
sowie Ordnung erst gesichert, hätte die Leistungsbereitschaft des gesamten Volkes enorm erhöht, indem er die Maschen des sozialen Netzes wieder weiter machte, er hätte ein Wachstum erreicht, wovon andere nur geträumt hätten, er hätte die freie Marktwirtschaft konsequent durchgesetzt, von zahlreichen Einschränkungen wieder befreit, jedenfalls bevor er sich durch die Umstände genötigt gesehen habe, diese dämlichen Umweltschutzgesetze einzuführen, welche doch so ernst gar nicht gemeint gewesen seien, eher ein Feigenblatt für die Industrie, nichts, womit diese wirklich eingeschränkt werden sollte hinsichtlich der Produktivität, er sanft geführt in Freiwilligkeit hin zu einer besseren Welt.
Er habe doch das Prinzip von Angebot und Nachfrage in fast allen Bereichen des Lebens durchgesetzt, auf das ein allgegenwärtiger kreativer sowie produktiver Konkurrenzkampf unter den Bürgern sei.
Er habe das Verlangen nach Besitz und mehr Besitz als die anderen wieder in die Köpfe der schon allzu
Zufriedenen zurückgebracht.
Status, Klasse sei nun endlich wieder etwas Wert gewesen.
Das alles rufe erst jene gesellschaftliche Dynamik hervor, welche man im allgemeinen Fortschritt nenne.
Markt und Staat dem freien Spiel der Kräfte, der Macht des Geldes wie der Gier des Eigennutzes überlassen, nur so könne der Wohlstand erreicht werden, welcher doch im Grund von allen gewünscht werde, natürlich mit einem noch durchaus vorhandenen sozialen Netz, daß es jenen, welche partout nicht mithalten können, gerade nicht so schlecht gehe, daß sie ernsthaft meuterten.
Den Erfolgreichen jedoch solle die Macht und der Wohlstand gehören, dies hätten sie sich verdient, hätten sie sich doch selbst durch den Fortschritt für den Staat, die Allgemeinheit verdient gemacht und den eigenen Besitz sowie Status im gesellschaflichen Kampf erobert.
Ein solches Durchsetzungsvermögen verdiene doch den Respekt der weniger Erfolgreichen oder den der Gescheiterten.
Ja sogar das verschärfte Umweltschutzgesetz – im Prinzip der freien Entwicklung von Industrie und Markt lediglich hinderlich – sei ein Resultat des Marktes, von Angebot und Nachfrage gewesen.
Hätte er es nicht angeboten, wäre er nicht wiedergewählt worden, warf da Gnor bescheiden schmunzelnd ein, woraufhin ihm Luthem wiederum dafür einen stechenden Blick zuwarf.
Es sei doch kein Wunder, daß er mit seiner schmutzigen, schäbigen Politik diesem Gesetz zum Opfer gefallen sei, fuhr Gnor fort.
Ärgerlich erwiderte Luthem, die Geschichte werde schon zeigen, daß er Recht gehabt hätte, es werde schon bald eine gewaltige Depression auf Wallret einsetzen, jetzt wo er gegangen sei, doch so sehr sie ihn auch riefen, er werde dann nicht zurückkommen, nach dieser Schmach!
Aber wenn Gnor so schlau daherrede, solle er doch erzählen, wie ein Staat aussehen solle und wie man all diesen doch gewünschten Wohlstand erreichen könne, auch mit einem dummen Volk, ohne vorher abgewählt zu werden durch irgendwelche Propaganda, wie historische Entscheidungen fällen, ohne sich unbeliebt zu machen, wie sich bei einer Bevölkerungsschicht beliebt machen, ohne daß es auf Kosten der Beliebtheit bei einer anderen gehe, das sei alles gar nicht so einfach, man müsse da ein klares Auge haben für die Stimmungen, auf die es wirklich ankomme.
Ein dummes Volk müsse eben auch gelegentlich vor sich selbst geschützt werden, um den Wohlstand zu sichern, da dürfe man nicht gleich jedes Wort im Wahlkampf auf die Goldwaage legen, was dort im Grunde in den Wind gesprochen war, um die Leute dazu zu bewegen, richtig zu wählen.
Es muß doch die Kümmerer wie in geben, die es eben letztlich so hinmauscheln, daß es gut wird.
Auf geradem Wege sei das anders in der parlamentarischen Demokratie gar nicht drin, das sei immer Mauschelei, Stimmungsmache, um die eigene Agenda durchzusetzen, nachdem man durch Tricks bei der Wahl eine Mehrheit bekommen habe.
Es komme ja letztlich nicht drauf an, wie man an die Macht gekommen sei, wenn man sie erst einmal inne habe.
Irgendwelche Utopien könne ja jeder in die Welt hinausposaunen, welche sich in der Theorie auch wirklich gut anhörten, sie dann aber selbstverständlich mitnichten realisieren können, nicht einmal mit den alltäglichen Problemen eines realen Staates zurande kommen, das sei doch typisch. nur heraus damit, Gnor solle nur einmal zum Spaß in der Zeit dieser Reise sein Programm vorstellen.
Das seien doch zweifelsohne wieder irgendwelche spinnerten Utopien, welche praktisch jeder Grundlage zur Umsetzung entbehrten.
Was solle er da groß vorstellen, erwiderte Gnor, er könne nur die Grundanforderungen an einen idealen Staat kurz skizzieren, ob es ihn dann wirklich geben könne und wie er konkret aussehe, hänge entscheidend von seinen Bürgern ab.
Insofern räume er durchaus ein, daß es praktisch gar nicht einfach sein werde, einen Staat so zu strukturieren, daß er langfristig stabil, umweltverträglich agiere, dabei gleichfalls förderlich für das Wohl der Bürger sei.
Insofern müßten ja erst einmal die Voraussetzungen festgelegt werden: Bürger samt ihrer Nachfahren wollen leben, ferner angenehm leben.
Gefahren für aktuelle Bürger sowie zukünftige Generationen seien also zu vermeiden.
Daraus ergäben sich nun explizite wie implizite Forderungen, wie ein Staat ausgestaltet werden müsse.
Luthem wiegte überlegend den Kopf, machte mit einer Hand eine Geste, Gnor möge fortfahren.
Dies tat Gnor.
Zunächst einmal seien auf jeden Fall günstige und stabile Umweltbedingungen notwendig, dazu zähle auch, daß Nahrungsmittel und andere lebenswichtige Dinge auf Dauer für die gesamte Bevölkerung ohne größere Mühe zur Verfügung stehen müßten, vermutlich realisiert durch eine hohe Automatisierung der Produktion möglichst vieler Güter ohne zurückbleibende Abfallprodukte, so sei es ebenso möglich, Luxusgüter in nahezu beliebiger Menge mit zu vernachlässigender Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, so daß Besitzstreitigkeiten vermieden werden könnten.
Ferner müsse der Staat ermöglichen, daß jeder Bürger, wie man so schön sage, sich selbst verwirklichen könne, es müsse also Ziel des Staates sein, daß rein subjektive Ziele von Individuen sowie Gruppen in ihm realisiert werden könnten.
Dabei gehe es nun weniger darum, daß sich jeder auf Kosten der Mitmenschen aufplustern könne.
Sicherlich müsse in der Praxis immer zwischen Interessen vermittelt werden, welche miteinander in Konflikt geraten, das sei letztlich die praktische Politik der Ausgestaltung des Alltags.
Damit solche unterschiedlichen Ziele nicht miteinander kollidierten, müsse insbesondere gute Bildungsarbeit geleistet werden, bevor jemand zum vollwertigen Bürger des Staates werde, dann aber könne er im Prinzip tun und lassen, was er wolle, und niemand dürfe ihm zu irgendeinem Glück zwingen, welches er nicht selbst wolle.
Der Trick der Bildung bestehe im Grunde auch darin, die Wünsche, Bedürfnisse derart zu schärfen, daß sie gar nicht mit den Grundrechten anderer Bürger in Konflikt geraten.
Reflektierten, gebildeten Bürgern mit guter Grundversorgung dürstet es bei geistiger Gesundheit eigentlich gar nicht danach, anderen Bürgern oder auch der Biosphäre absichtlich zu schaden.
Wer weiß, in welcher Welt er lebe, sei auch in der Lage, sein Leben darin geeignet zu gestalten – statt versehentlich Katastrophen damit auszulösen.
Das höre sich ja theoretisch alles ganz gut an, doch wie solle man das mit normalen Bürgern
realisieren, die in der Regel gar nicht daran dächten, sich so ideal zu benehmen, das faule Pack sei eben nicht hinreichend gebildet, reflektiert, um Wünsche, Bedürfnisse an die aktuellen Möglichkeiten anzupassen, sich danach zu richten, was für alle zusammen eben erreichbar sein.
Bei begrenzten Ressourcen sei da immer Konkurrenz.
Wie also praktisch vermeiden, daß Bürger sich bei ihrer Selbstverwirklichung nicht in die Quere kämen,
höhnte Luthem.
Doch Gnor entgegnete, daß das natürlich nicht alles auf einmal mit einem revolutionären Akt zu erreichen sei, sondern langsam und mit kleinen Schritten, wo offensichtliche grobe Fehler vorlägen mit etwas größeren Schritten, im Großen und Ganzen aber doch evolutionär und mit einem klaren Ziel, denn die große Bandbreite von Verhaltensweisen und Kulturkreisen zeige, daß Bürger sehr lernfähig seien, und ihr Verhalten stark von ihrer sozialen Umgebung inklusive der Bildung geprägt sei, so daß es etwa schon heute weite Bereiche gebe, wo körperliche Gewalt unfein bis nicht mehr zu den zu vertretenden Verhaltensweisen gehörig sei.
Diese Lernfähigkeit der Bürger müsse man sich bei der evolutionären Entwicklung zunutze machen, wohingegen der Altruismus oft überschätzt werde, also auf diese Eigenschaft der Bürger nur sehr eingeschränkt zurückgegriffen werden könne.
Gesellschaftsbildende Zivilisationen basierten aber immer auf an sich sozialen Lebensformen, welche folglich für altruistische Argumente zugänglich seien, jedenfalls sofern keine Not die persönliche Existenz bedrohe.
Diese prinzipielle Bereitschaft, einander zu helfen, aufeinander zuzugehen, sich zu kümmern, müsse genutzt werden.
Solidarität ist möglich, um so einfacher dort umzusetzen, wo keine Not herrsche, keine Illusion davon durch Populismus erst geschaffen werde, um Bürger für anderweitige Interessen zu steuern.
Selbst wenn das Ziel nur approximiert werden könne, sei dieser Weg doch der richtige und einzig mögliche.
Der reale Staat müsse eben mit seinen Bürgern fertig werden, und im Fehlverhalten seiner Bürger gegeneinander zeigten sich die Schwächen des jeweiligen aktuellen Staates.
Luthem sagte nichts, brummte bloß undefinierbar, uninterpretierbar zu diesen Ausführungen
Somit flogen sie eine Weile, bis Gnor Luthem weinen sah.
Dieses wiederum bemerkend schluchzte Luthem, wie er ihn dann in die Fremde verschleppen könne, wo er nicht einmal gegen ein Gesetz verstoßen habe, er sei einfach hinausgeworfen worden, das sei doch selbst mit Gnors Ansichten über einen realen Staat nicht zu vereinbaren.
Gnor erwiderte ruhig, da habe er Recht, und wenn er verspreche, bis auf Weiteres im Raumschiff zu bleiben, werde er umkehren und sehen, was man noch tun könne.
Er halte es ja selber für unangemessen, wenn ein Staat einen Bürger verbanne.
Ein funktionierender Staat müssen schon geeignete Mechanismen haben, um mit den eigenen Bürgern angemessen umzugehen.
Er habe bloß einen abstrakten Auftrag bekommen, sei erst auf Wallret unterrichtet worden, worum es konkrete gehe.
Luthem blickte ihn hoffnungsvoll an und stimmte zu, das wolle er tun, das sei seine letzte Hoffnung. Im Raumschiff müsse er schon bleiben, weil er doch das Gebiet von Wallret nicht mehr betreten dürfe, das Raumschiff jedoch zum Hauptsystem gehöre.
Gnor nickte, genau das sei der Grund gewesen, weswegen er auf dem Schiff bleiben müsse.
Was Gnor für sich behielt: Prinzipiell hatte er schon ein mulmiges Gefühl dabei, es erschien im durchaus möglich oder gar wahrscheinlich, daß Luthem schlicht heuchelte, ihn zu manipulieren versuchte.
Auf der anderen Seite war es zuvor schon seine Meinung gewesen, daß man auf Wallret mit Luthem umgehen lernen müssen, diesen nicht ins Hauptsystem verbannen.
Gnor drehte also um und kehrte zurück nach Wallret. Dort war man erstaunt über seine Rückkehr, zudem besorgt, Luthem offenbar noch immer keineswegs los zu sein, die anscheinend einfache Lösung erwies sich also doch als kniffliger. Doch unbeirrt von derartigen Erwägungen eilte Gnor zur schon zuvor gesprochenen zuständigen Person und erläuterte seine Bedenken, basierend auf seinen Ansichten darüber, was ein realer, in diesem Falle demokratischer Staat mindestens leisten müsse und endete damit, daß Luthem schließlich ein hiesiger Bürger sein, keine auswärtige Person ohne lokal erworbenen Status. Falls Luthem gegen hiesige Gesetze verstoßen habe, müssen man sich auch hier damit befassen, ihn nicht ungeschoren anderen unterschieben. Habe er hingegen nicht gegen Gesetze verstoßen, sei eine Verbannung doch unangemessen. Wenn hingegen vielmehr seine Existenz gegen ein Gesetz verstoße, sei ihm das nicht persönlich anzulasten, weil er jedoch gleichzeitig Bürger des Staates sei, sei er Teil des Staates, folglich das Gesetz unsinnig, wenn es ihn nur wegen seiner zugegebenermaßen schlechten Eigenschaften ausweise. Als Teil des Volkes sei sein Platz auch bei diesem Volk, zumal es ihn persönlich gar nicht danach begehre, in der Fremde zu leben, wie er von Luthem erfahren habe.
Die zuständige Person, verkniff bloß unzufrieden den Mund, führte ihn allerdings ohne weiteren Kommentar zu dem zuständigen Minister, trug kurz das Anliegen vor, zu dritt suchten sie daraufhin den Staatspräsidenten auf, ferner später mit diesem eine Sitzung der obersten Richter.
Gnor, inzwischen wirklich ärgerlich, geriet voll in Fahrt und engagierte sich zu seinem eigenen Erstaunen wirklich mit vollem Einsatz für den unmöglichen Luthem, den eigentlich niemand haben möchte.
Schließlich war man aber doch gezwungen, ihm Recht zu geben und sah ein, daß man das Opfer, Luthem zu ertragen, auf sich nehmen müsse, wolle man auch den eigenen Ansichten darüber, was dieser Staat zu leisten habe, gerecht werden.
Luthem durfte also bleiben.
Gnor reiste mit einer entsprechenden Erklärung des Staatspräsidenten zurück zum Hauptsystem.
Dort wiederum wurde er energisch gelobt wegen seines entschlossenen Verhaltens und mit Auszeichnungen überschüttet, weil er sich um das Hauptsystem verdient gemacht habe, dem Luthem somit erspart geblieben ist, den man aus etwa den gleichen Gründen aufzunehmen bereit war, wie jetzt die Wallreter bereit waren, ihn zu behalten.
Aus hier nicht zu erwähnenden Quellen erfuhr Gnor dann auch kurz darauf, daß man ihn beauftragt habe, Luthem abzuholen, weil man schon darauf gehofft oder damit gerechnet habe, daß er dieses Schicksal noch einmal werde abwenden können. Da verzog Gnor seinen Mund, man hatte ihn also ausgetrickst, um die Situation zu retten. Ein wenig geschmeichelt war er aber doch, daß man ihm implizit zugetraut hatte, die Situation derart souverän zum Nutzen der galaktischen Gemeinschaft zu meistern.
Kurz will ich euch noch mitteilen, was weiter passierte.
Auf Wallret wurde alsbald das Umweltschutzgesetz modifiziert.
Luthem wurde allerdings aus seiner Partei ausgeschlossen, welche trotzdem auch die nächste Wahl verlor, bei welcher auch Luthem, der inzwischen eine eigene Partei gegründet hatte, keine Rolle
spielte.
Nach der Wahl wurde das Umweltschutzgesetz von Wallret abermals verschärft, und irgendwann kam ein Gremium zu dem Resultat, daß die Realitäten eines Staates nicht mehr mit diesem Gesetz zu vereinbaren seien, daß also die gesamte Zivilisation für den Planeten eine Katastrophe sei, was an sich keine überraschende Erkenntnis ist, denn Leben hat immer Einfluß auf die Umwelt, es kommt eben bloß darauf an, diesen Einfluß einer Zivilisation derart austariert zu bekommen, daß der Einfluß klein genug bleibt, damit die Lebensbedingungen auf dem jeweiligen Planeten weiterhin stabil bleiben.
Dort gelange man allerdings leider zu deutlich radikaleren Schlüssen, woraufhin der Staat
alsbald Kollektivsuizid beging.
Dies hatte zur Folge, daß sich Wallret tatsächlich bald erholte und ohne intelligente Bewohner schnell zu einem blühenden Planeten wurde, während der erste universale Zivilisationenvertrag umgehend
auf selbstmörderische Tendenzen hin untersucht wurde, man kam jedoch zu dem Ergebnis, daß das Kollektivsuizid auf Wallret ein unvorhersehbares kulturspezifisches Phänomen sei und keine wahrscheinliche Gefahr für andere Zivilisationen darstelle.
Ferner kam man überein, den Planeten Wallret im Sinne seiner verstorbenen intelligenten Bewohner insgesamt und vollständig zum Naturschutzgebiet zu deklarieren; das Betreten des Planeten wurde für alle verboten, welche nicht darauf geboren waren, letztlich also für alles, was nicht zu Wallrets
nicht-intelligenter Biosphäre gehört.
Dies war sicherlich eine zu begrüßende Maßnahme.
Ich aber, von diesem Kollektivsuizid hörend, lief zu Agos, meinem alten Lehrer, fiel ihm verzweifelt in die Arme, warf alle Ehrungen weit von mir – was nüchtern betrachtet schon ein wenig theatralisch war, nun, eben jener damaligen Stimmung geschuldet – und klagte ihm mein Leid, das alles sei meine Schuld gewesen.
Agos aber sprach zu mir: Gnor, du solltest dich und deine Handlungen nicht derart maßlos überschätzen, du hast im Rahmen deiner Möglichkeiten und deiner Ansichten richtig gehandelt, dich trifft keinerlei Schuld an der Selbsterkenntnis der Wallreter, welche dann nach dieser eigenen Erkenntnis handelten und keineswegs nach deinen Vorstellungen.
Das waren mündige Bürger mit eigenen Köpfen zum Denken.
Was immer ihnen für Weisheiten oder Dummheiten unterbreitet wurden, es war ihre ureigenste Aufgabe, zum eigenen Konflikt zu reflektieren, selbständig zu Schlüssen zu kommen, danach zu handeln.
Sie haben über ihr Schicksal entschieden, mitnichten du.
Also locker bleiben, solcherlei Mist passiert eben in der Welt.
Unsere Suche nach intelligentem Leben in unserer Galaxie war gründlich, durchdacht und ebenso vergeblich, was mich daran zweifeln läßt, daß es so etwas wie intelligentes Leben überhaupt im Universum gibt, es muß eine Irrung eines zu sehr von sich selbst überzeugten Geistes sein, an derartige Möglichkeiten zu glauben.
Bei allem, was wir bislang erforscht sowie erfahren haben, war letztlich nie viel Intelligenz dabei.
Wir müssen uns doch damit bescheiden, daß es da nicht viel mehr gibt zwischen den Sternen als einige schäbige Flecken feuchten Kehrichts von einst zerplatzen Sonnen.
Ich war daraufhin wieder etwas beruhigt.
Den Selbstmord von Millionen, Milliarden von Menschen zu verantworten, hätte mich schon eine gewisse Zeit erheblich betrübt.
Mit den Worten von Argos war mir diese Last von den Schultern genommen, ich war versöhnt mit mir und der Welt.
Was passiert, passiert gelegentlich eben, was sollen wir tun?
Das Universum fließt dahin, kümmert sich im Grunde nicht um uns, die kleinen Haufen feuchten Kehrichts einst zerplatzter Sonnen.
Das Universum ist gleichgültig, also eben bis auf uns, welche wir mitfühlen können, womit uns die Last auferlegt ist, über uns, das Universum sowie den ganzen Rest zu reflektieren, eine schwere Bürde, doch wer darin leben mag, muß sie auf sich nehmen.
Fortan war ich trotzdem immer sehr vorsichtig und mischte mich, soweit das zu vermeiden war, nicht mehr in die Angelegenheiten irgendwelcher Staaten ein, ohne daß ich darum gebeten worden wäre oder es unbedingt nötig war. Ohne diese Leichtigkeit des Seins indessen hatte ich einen guten Teil meiner Nützlichkeit als Raumfahrer im Dienste der galaktischen Union verloren. Doch dafür gab es auch genug andere Leute, welche diese Leichtigkeit noch in sich trugen, welche wohlgemut Reisen konnten, ohne Altlasten bewältigen zu müssen.