Geschrieben: 1992-07-20
Wenn ich aus dem Fenster sehe, scharf rechts an einem vorne stehenden Nachbarhochhaus und scharf links an einem anderen Hochhaus vorbei, kann ich, wenn ich an diesen wenigen Tagen im Jahr ganz früh morgens im Bureau bin, den Sonnenaufgang sehen.
In dieser Einsamkeit der Großstadt, der Menschenmassen lebe ich eigentlich nur noch für diese paar Augenblicke im Jahr, die mir nun genommen werden sollen. Noch haben diese beiden Hochhäuser, die eine Ritze mit Blick auf den Sonnenaufgang freigelassen haben, nur einen Rahmen abgegeben, der den Genuß des Anblicks nicht beschränken konnte, doch nun wird dahinter ein neues Hochhaus gebaut, welches auch diese letzte Ritze schließen wird.
Wenn ich früher in diesen Augenblicken auf die Wand meines Bureaus geblickt habe, konnte ich die Sonnenstrahlen leicht schräg von unten dagegenscheinen sehen, doch nun verkleinert sich der Lichtfleck mit jedem Stockwerk des wachsenden Gebäudes. Eigentlich sollten es noch drei Tage sein, an denen ich den Sonnenaufgang sehen kann, doch nach dem heutigen Stockwerk zu urteilen, ist alles zuende. Schon Morgen werden sie alles zugebaut haben. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Das ist das Ende.
Ich werde Morgen den Schreibtisch beiseite rücken, von der Tür aus Anlauf nehmen und durch das Fenster springen. Ich hoffe, es wird mir gelingen, durch das Glas zu springen, wie sie es in den Filmen zeigen. Doch Glas ist stabiler als man denkt, und ich habe Angst, daß ich zurückprallen könnte, auf dem Boden davor zusammensinken. Eine groteske Situation, aber immerhin möglich. Dann bleibt nur noch eine alternative Suicid-Möglichkeit: Den Schreibtisch zurück an seinen Platz schieben und dort auf die Pensionierung warten, doch das ist ein schlimmerer Tod, lang und grausam ...