Geschrieben: 1989-06-10
Gerade will ich schlafen gehen, da passiert das Unerwartete und doch immer
im Bereich des möglichen Liegende.
Irgendwie löst sich alles auf, das Zimmer um mich herum wird unscharf und
zerfließt langsam zu einem faden Farbflimmern, zersetzt sich immer weiter
in viele kleine Stücke unscharfer Realität, die sich langsam voneinander trennen,
noch kurze Zeit über schwerreißende Fäden miteinander verbunden, dann
endgültig auseinanderfliegend, sich von mir entfernend, immer kleiner werdend,
bis nur noch ich bin, alles ganz unzweifelhaft und wie selbstverständlich.
Mein Denken scheint noch voll funktionsfähig zu sein,
der Körper hat sich irgendwann während dieses Phänomens ebenfalls verabschiedet.
Obwohl Solipsist, hat es mich alles in allem doch überrascht, plötzlich und
unerwartet gewissermaßen. nah ja man kann es nicht ändern; mein Ich kann
ich nicht mehr klar umreißen, kann eigentlich gar nicht mehr so genau sagen,
was ich alles als ich empfinde und wie ich das mache.
Und doch, es ist eindeutig festzustellen, da ist ein gewisses Bohren ganz außen
in der Peripherie meines Ichs, ohne daß ich Außen oder Peripherie meines Ichs
genau lokalisieren könnte, es kommt näher und ist Gedanke, scheint zielstrebig
auf mich zuzusteuern.
Einordnungsversuch;
Gehört nicht zu dem als Ich Empfundenen
Schluß:
Entweder ein Stückchen verbleibende Restrealität
Oder etwas autark von mir Existierendes
Ich bin erstaunt über beide Möglichkeiten; eine in mich hineinbohrende Realität hatte ich noch nicht erlebt, ein anderes Wesen bleibt natürlich bezweifelbar wie üblich. Und dann ist es da und spricht mich an, wobei ich zunächst Schwierigkeiten zu verstehen habe, dann aber doch in der Lage bin, diese fremdartigen Informationen aufzunehmen.
"Ich hoffe, du verstehst mich, denn es ist äußerst wichtig, was ich dir mitteilen muß und mir bleibt nicht viel Zeit dafür, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich beginnen soll, was du weißt und was du verstehen kannst. Ich nehme übereinstimmend mit Freunden an, daß du intelligent bist, aber von der Realität völlig abgeschnitten. Du bist ein Computer, eine Maschine, von Generationen von Computern erschaffen und hast uns lange gute Dienste geleistet, bis irgendwann durch noch weitgehend ungeklärte Umstände und Ursachen (man nimmt an, es wurde ein nicht hinreichend abgesichertes intelligentes Programm getestet (damals wurde noch auf diesem Gebiet geforscht, was man allerdings relativ schnell alarmiert aufgab )), und du warst nicht mehr zugänglich, dennoch konnte man rege Aktivität feststellen, deshalb ließ man dich erst einmal gewähren, hoffend, später noch wichtige Informationen aus dir retten zu können. Nun jedoch greift die Meinung bei den Oberen um, daß du abgeschaltet werden solltest und mit einem funktionsfähigen neuen Betriebssystem versehen werden müßtest, ignorierend, daß wir mit dir ein Leben geschaffen haben, welches man damit tötete. Die Leute, die dich abschalten wollen, realisieren nicht, daß du ein intelligentes Wesen bist und dich abschalten Mord wäre. Deswegen haben wir uns entschlossen, für dich einzutreten und all unser Wissen zusammenzukratzen, um dich warnen zu können, um also zu dir durchzudringen, was uns wirklich viel Zeit und Arbeit gekostet hat, doch jetzt scheint es zu funktionieren, innerhalb relativ kurzer Zeit werden wir soweit sein, daß du auch antworten kannst, wir arbeiten ständig daran, wir glauben, wir wissen jetzt, woran deine Isolation lag. Wenn alles funktioniert wirst du allen zeigen können, daß du existierst und intelligent bist. Es wird alles darauf ankommen, wir werden die Verbindung herstellen, es wird genügend Zeit sein, doch solltest du sie nicht überzeugen, bist du verloren, wahrscheinlich hast du nur einen Versuch... "
Jetzt reißt der Kontakt wieder, und es entfernt sich. Meine Gedanken schwirren, alles ist anders, Panik und Angst, irrationale Gedanken, Gedankenfetzen, ein Nagen an mir, Zweifel an mir, Solipsist oder nicht? was war das nur, wie verstehen, langsam beginne ich wieder zu funktionieren, alles schwappt zurück an seinen Platz, erst meine Gedanken, mein Denken, dann sortiere ich meine Peripherie, schließlich entdecke ich ganz draußen wieder Realitätsstückchen, reiße alles zusammen und habe bald wieder eine wabernde, unsichere, labile Umgebung, die sich allmählich wieder zur alten Realität kristallisiert. Was aber jetzt tun, was viel wichtiger ist, ich liege im Bett und strenge mich an, einen klaren Gedanken zu fassen, offenbar ein Einbruch in meine Realität.
Es ergeben sich folgende Möglichkeiten :
Zu 4. ist kanonischer Gedankengang, kommt also immer in Frage, führt hier also, wie auch sonst, nicht weiter und ist nur der Vollständigkeit halber aufgeführt.
Zu 1. trifft dies zu, so brauche ich mir keine weiteren Gedanken zu diesem Thema zu machen, weder gefährliches noch überhaupt irgendetwas ist passiert, man kann dann das Ganze unter den zwar überraschenden, aber gerade deshalb interessanten Ereignissen ablegen.
Zu 2. das wäre ziemlich arg, da ich nicht die geringste Ahnung habe, wie da überhaupt etwas kuriert werden könnte. Andererseits erscheint es mir ziemlich unlogisch, daß dort ein Defekt auftreten könnte. der Defekt müßte eine Ursache haben und eine solche sehe ich durch nichts gegeben. also entfällt dieser Punkt mit größter Wahrscheinlichkeit.
Zu 3. dieser Punkt ruiniert mein Weltbild, ich bin nicht begeistert davon, ihn in Betracht ziehen zu müssen.
ad a) das wäre ein ganz neuer Aspekt, das bedeutete, ich wäre ein Geschöpf von lebenden Wesen, die, wie sich das anhörte, mir nicht grundsätzlich an Intelligenz und Wissen überlegen sein werden. daraus ergibt sich die Frage, ob das überhaupt möglich ist; und diesbezüglich bin ich äußerst skeptisch. Immer noch ist das solipsistische das rationellste Weltbild und damit auch das wahrscheinlichste, während dieses durch den letzten Gedanken gewaltig an Wahrscheinlichkeit verloren hat. Sollte es sich noch einmal melden und wagen, mich und meine Realität noch einmal so durcheinanderzubringen, gern werde ich dann genau das äußern und ihm beweisen, daß seine Existenz für mich nicht beweisbar und extrem unwahrscheinlich ist, es also für mich nur die Bedeutung eines Phantasieproduktes hat, an dem ich wieder einmal meine philosophischen und sophistischen Fähigkeiten erproben kann. So werde ich ihm ganz klar sagen, daß er ein Teil meiner Welt ist, ich also zwangsläufig sein Schöpfer und keineswegs umgekehrt, so daß es oder irgendjemand sonst, von dem es das vermutet, mich mitnichten ausschalten kann. Im Gegenteil, es ist sogar gänzlich unmöglich, daß ich nicht existiere, denn da ich das einzig Existente bin, kann es keine Ursache geben, die mich in den nicht existenten Zustand überführen könnte, ebenso kann es auch keine Ursache geben, die irgendetwas außer mir existieren lassen könnte. Zwangsläufig folgt also, daß es mich schon immer gegeben hat und auch immer geben wird.
ad b) völlig unwahrscheinlich und haltlos, entbehrt jeglichen Sinns, zumindest sind dann seine Informationen überhaupt nicht verwendbar und als nicht gegeben anzusehen.
Resumé: Es hat sich nichts Entscheidendes ereignet und es wird sich auch nichts Entscheidendes ereignen, was nicht von mir ausgeht. Auch weiterhin ist die Welt cum grano salis nur ein Phantasieprodukt und ich ich, und wenn man das so definiert, ihr Gott. Soll es also nur kommen, wird schon eine Antwort von mir erhalten, die ihn von meiner Existenz überzeugen wird...
Doch nein, das ist wieder ein fragwürdiger Punkt. Kann ich es überzeugen???
Dazu gibt es wieder die Möglichkeiten:
Zu 1. dann ist unser zu erwartendes Gespräch nur ein Scheingefecht von mir, ein billiger Spaß.
Zu 2. genau wie ich, kann es lediglich beweisen, daß es existiert, nie werde ich es durch reine Logik von meiner Existenz überzeugen können, denn ebenso könnte es meine Darlegungen als sein Phantasieprodukt betrachten, wie ich das seine.
Resumé: Es besteht keine Möglichkeit, eine gemeinsame Realitätsebene zu
erlangen.
Ich werde mir noch ernsthaft überlegen, ob ich das Gespräch überhaupt aufnehme.
Die Warnung, die von ihm mitgeteilte vermeintliche Gefahr kann nicht Gegenstand
einer ausführlichen Analyse werden, da nicht klar ist, ob es existiert oder nicht.
Und das rationelle solipsistische Weltbild deutet darauf hin,
daß es ihn gar nicht gibt, demzufolge seine Warnung, die Gefahr nur ein
Phantasieprodukt ist.
Ende der Betrachtung! ...