Geschrieben: 1991-11-23
nachdem du nicht mehr an die weißen schatten glaubst, von denen man dir ohnehin nur erzählt hat, erschüttern dich die dunklen auch nicht mehr. du gehst allein auf einem weg durch eine rauhreifbedeckte wiese, und die kälte kriecht langsam deine beine hinauf, nicht nur wegen der niedrigen außentemperatur. deine in den taschen der jacke zusammengeballten fäuste werden in der kälte langsam steif und bewegungslos, du gehst weiter, denn alternativen gibt es wohl nicht. du denkst 'alles lüge' und wenig später, von deiner leichtgläubigkeit, deinem ehemaligen optimismus enttäuscht, daß dir ja auch niemand nachgewiesen habe, daß es keine lügen seien. du sinnierst über die philosophien, wobei die dich blendende morgenröte den rauhreif trügerisch glitzern läßt. während die eine die welt ignoriert, hat sich die andere mit der näherung abgefunden. weiße schatten gibt es nicht, denn fundamentale wahrheiten sind entweder uninteressant oder prinzipiell nicht verfügbar. das hängt nicht damit zusammen, daß alles relativ sei, was ohnehin so nicht stimmt. bei den kalten, schon gefühllosen füßen ist die wärme der sonnenstrahlen im gesicht nur eine leere versprechung, und du stolperst, weil du einen kiesel vom weg kicken willst, der festgefroren ist, fällst aber nicht. im grunde hast du nichts mehr zu sagen, statt fundamentaler wahrheiten, scheinbar neuer visionen, interessieren dich eher knallharte eventualitäten. wie ein Lichtstrahl im wind setzt du deinen weg fort und einen anderen siehst du nicht, doch an weiße schatten glaubst du nicht mehr. weil dich die dunklen auch nicht mehr erschüttern, gibt es keine tränen, die sich in der eisigen kälte in deine wangen schneiden könnten.