Geschrieben: 2021-03-10/12
Es stimmt wohl, mittlerweile ist es lange her, daß ich dazu gekommen bin, mal wieder eine Geschichte zu erzählen, die Zusammensetzung wechselt, unterdessen sind Leute dabei, welche die ersten Geschichten gar nicht mitgehört haben, allenfalls gelesen, was darüber notiert wurde.
Nun gut, wir haben Zeit, also erzähle ich aus meiner Vergangenheit – doch was?
Ach, im Grunde haben wir ja alle Vergangenheit, irgendwie eine gemeinsame, welche vergessen, verschollen, verschwiegen, verdrängt war, jedenfalls die Anfänge waren dies über so lange Zeit.
Heute wissen wir ja nun wieder etwas mehr darüber.
Also will ich wohl heute einmal erzählen, wie ich mit einigen damals noch jungen Mitstreitern der verlorenen Vergangenheit allmählich auf die Schliche kam.
Es begann wohl damit, daß ich wieder einmal eine offizielle Mission zu einer Zivilisation der galaktischen Gemeinschaft erfolgreich beendet hatte.
Ich wollte gerade abreisen, da erreichte mich eine Mitteilung unserer Raumfahrer-Schule.
Es seien Beschwerden vom System Satniva eingegangen; in der vorlesungsfreien Zeit würden sich dort beim kleineren Stern des Doppelsternsystems Schüler herumtreiben, welche mit einem Raumschiff durch den Stern transformierten, wohl als eine Art Mutprobe oder auch aus Schabernack, weswegen der Stern schon ganz zerzaust sei.
Jenes Doppelsternsystem ist nun so aufgebaut, daß die dort ansässige Zivilisation von Satniva auf einem Gesteinsplaneten angesiedelt ist, welcher um den größeren, orange-gelben Stern kreist.
Daneben gibt es noch zwei weitere Gesteinsplaneten, einer davon ebenfalls in der habitablen Zone, jedoch bloß mit einfachen Mikroorganismen besiedelt, ein kleinerer Planet ist ferner ziemlich dicht an der Sonne, wendet dieser immer dieselbe Seite zu, ist also auf der zugewendeten Seite sehr heiß und hell, auf der anderen fällt die Temperatur ab in ewiges Dämmerlicht.
Durch den Temperaturgradienten hat die relativ dünne Atmosphäre wiederum eine charakteristische Dynamik für den Wärmetransport von der heißen zur kühlen Seite.
Weitab, also beinahe ein halbes Lichtjahr entfernt ist der kleinere Partner des Doppelsternensystems, ohne eigene Planeten, von roter Farbe, insgesamt weit genug entfernt, um jedenfalls die Gesteinsplaneten um den anderen Planeten nicht zu stören.
Vermutlich beschränkte allerdings dieser Begleiter die Größe des anderen System, weswegen es doch keine äußeren Planeten auf stabilen Bahnen geben kann, damit waren auch keine Gasriesen entstanden, stattdessen wohl der entfernte Zwergsstern.
Dort also sollten Schüler von uns irgendwelchen Schabernack treiben.
Die Zivilisation von Satniva war zu jener Zeit nun noch eher verschlossen, zwar waren sie dem galaktischen Zivilisationsvertrag beigetreten, beteiligten sich allerdings nicht rege an Handel oder kulturellem Austausch, blieben allerdings grob informiert über die Vorgänge in der Gemeinschaft.
Dies wurde respektiert.
Die Zivilisation ist friedlich, reflektiert, somit gab es gar keinen Anlaß zur Sorge durch diese.
Deshalb war es bemerkenswert, daß von dort nun doch zwei Schüler der Raumfahrer-Schule stammten.
Eine derartige zaghafte Öffnung gegenüber der Gemeinschaft würde von dieser sehr begrüßt.
Um so ärgerlicher war nun die Nachricht, daß diese beiden Schüler oder Studenten zusammen mit Kameraden dort Schabernack veranstalteten.
Man hatte mir noch mitgeteilt, daß die beiden Schüler wohl einige Kameraden zum Urlaub, zum kulturellen Austausch hatten einladen dürfen, einige Zeit im Einzugsbereich von Satniva zu verbringen.
Ich sollte den Beschwerden also nachgehen, zur Ordnung rufen, gegebenenfalls mit einer Rüge der Schule wegen Fehlverhalten drohen, diese notfalls sogar aussprechen, wenn die Schüler sich garstig zeigen sollten.
Jedenfalls sei dem Treiben, welches zum Verdruß auf Satniva gereiche, Einhalt zu gebieten, um die zaghafte Annäherung nun nicht gleich wieder zu gefährden.
Richtig glücklich war ich mit diesem Auftrag zwar nicht, aber klar, wenn die Heißsporne da mit unbedachten Streichen kontraproduktiv im Sinne der Gemeinschaft tätig wären, mußte etwas unternommen werden. Also machte ich mich zügig auf den Weg, transformierte mit meinen Hochleistungsschiff umgehend in das gewünschte System.
Dort lokalisierte ich in der Tat ein etwas größeres, einfacheres Raumschiff in einer Umlaufbahn um die kleine Sonne, dazu gab es auch noch ein kleines Schiff, mit welchem die jungen Raumfahrer wohl ihren Jokus trieben, denn in der Tat war die Sonne ziemlich zerfranst, aufgewühlt. Das äußerte sich derart, daß das Magnetfeld in Unordnung war, in der Folge auch Sonnenstürme ausbrachen, alles ziemlich unruhig war. Für die weit entfernte Zivilisation im der Umlaufbahn um den anderen Stern bestand keinerlei Gefahr. Aber dort hatte man dies gleichwohl bemerkt, daher die Beschwerde.
Die Schüler hatten meine Anwesenheit noch nicht bemerkt. Daher setzten sie ihr Treiben fort: Sie transformierten mit dem kleinen Schiff mitten durch den Stern auf die andere Seite, wobei die Herausforderung wohl darin bestand, sich vor der Transformation dicht anzunähern, wiederum knapp jenseits des Sterns wieder aufzutauchen. Gemäß den finanziellen Mitteln der jungen Leute war das nun kein tolles Schiff, schon ein älteres Modell, bei welchem es einfach möglich war, die Sicherung vor derlei Durchquerungen zu deaktivieren. Auf einen Stern hat eine solche Durchquerung keinen größeren Einfluß. Die Transformation führt ja nicht wirklich dazu, daß das Raumschiff den Stern auf einer klassischen Trajektorie durchquert. Insofern war es unmöglich, derart das Kerngeschehen eines Sternes in Aufruhr zu versetzen. Dazu hätte man schon spezielle Materie oder Anitmaterie in den Kern transformieren müssen, um einen nennenswerten Effekt zu erzielen. Derlei Materie in die äußeren Schichten gebracht, könnte dort allerdings massive Störungen verursachen, welche zu Materieausbrüchen entlang von Schleifen des Magnetfeldes weit in den Raum hinein erfolgen könnten. Nun, über derlei Material verfügen Schüler oder Studenten nicht. Ferner gab es keinerlei Indizien für derlei massive Störungen. Sie trieben also eindeutig bloß Unfug.
Bekanntlich kann eine Transformation nicht als klassische Bewegung entlang einer Trajektorie aufgefaßt werden, das wäre unvereinbar mit der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit und ein paar anderen Sachverhalten im relativistischen Modell. Nun ist das Universum etwas anders gestrickt als diese anschaulichen Modelle. Daher gibt es Schlupflöcher, Tricks, welche galaktische Raumfahrt ermöglichen. Ein solcher Sprung durch einen Stern ist dabei jedenfalls keine sinnvolle Anwendung, allerdings eine technisch relativ einfache.
Eine Transformation in der Raumzeit ist jedenfalls komplexer als ein Driften im freien Raum relativ zu anderen Objekten. In der naiven Vorstellung taucht ein Raumschiff in andere Raumzeitdimensionen ab, taucht daraus an der gewünschten Stelle wieder auf. Weil nun unsere Raumzeit nicht eben ist, sind einige Berechnungen anzustellen, ferner ist zu vermeiden, daß an der Stelle des Auftauchens viel los ist – also im Sinne einer hohen Materiedichte, diese sollte bezogen auf die Abmaße des Raumschiffes um Größenordnungen kleiner sein als die mittlere des Raumschiffes. Weil zwischen Absprungstelle und Ankunftsstelle der Raum eigentlich nicht durchflogen wird, gibt es dort auch keine streng lokalisierbaren Auswirkungen. Die extrem kurzzeitige Verzerrung der Raumzeit bei Absprung wie Ankunft vermeidet einerseits das unmittelbare Überlagern mit Objekten am Ankunftsort, hat jedoch immer auch einen gewissen Einfluß auf die Umgebung. Kurzzeitig wird beim Absprung faktisch der fehlende Raum des Raumschiffes zusammengekniffen, entsprechend führt der überschüssige Raum an der Stelle des Raumschiffes bei der Ankunft kurz zu einer Raumblähung, welche also eventuell vorhandene Materie zur Seite drängt, Platz für das Raumschiff schafft. Dieser Effekt ist harmlos bei einer geringen Materiedichte im Ankunftsbereich. Umgedreht würde eine hohe Dichte in der direkten Umgebung der Absprungstelle zu eigenartigen Effekten beim Zusammenkneifen oder Zusammenklappen der Raumlücke führen. Die umgebende Materie könnte stark beschleunigt aufeinandertreffen, derart Strahlung absondern, was einerseits energetisch vom transformierenden Schiff aufgebracht werden mußte, andererseits für die Umgebung der Absprungstelle eine Gefahr darstellen könnte, weswegen etwa nicht innerhalb von Atmosphären oder von Planetenoberflächen transformiert wird, auch nicht dorthin.
Insgesamt handelt es sich bei den ausgelösten Raumverzerrungen immer nur um kurzfristige geliehene Energie wie Raumzeit, der Effekt ist also bloß von kurzer Dauer, kann keineswegs im Sinne eines Perpetuum Mobile irgendwie als Verstoß gegen klassische Erhaltungssätze genutzt werden.
Allerdings haben die kurzfristigen Raumverzerrungen schon Auswirkungen auf die Umgebung, weswegen es zum Beispiel in der Nähe des Sterns zu Verwirbelungen, Zerfransungen des Magnetfeldes kommen kann, damit eben auch zum Ausbruch spektakulärer Sonnenstürme, einerseits nicht ganz ungefährlich für Raumschiffe in der Nähe, andererseits toll anzusehen, zumal bei einem bekannten Auslöser ja auch abzusehen ist, in grob welche Richtung der Ausbruch erfolgen wird, weswegen es stets möglich ist, eigene Raumschiffe derart zu positionieren oder nach dem Sprung zu lenken, daß man selbst nicht getroffen wird.
Jedenfalls fallen spektakuläre Ausbrüche auf.
Daher die Beschwerde, welche wohl von den eher reflektierten Bürgern stammten, welche derartige Eskapaden nicht dulden wollten, welche eindeutig auf Ruhe im System Satniva setzten.
Wenn alles klappt, sind die Auswirkungen des Sprunges durch ein massives Objekt nicht dramatisch.
Bei einem Planeten wäre es für die betroffene Person lediglich ein Kitzeln, bei einer Sonne bloß ein wohliger Schauer.
Neutronensterne sind indes im Kern deutlich dichter, da sollte es ein merkliches Schütteln sein.
Nicht zu spaßen ist ferner mit Schwarzen Löchern, denn in der üblichen Relativistik ist ja der Mittelpunkt eine Singularität in der Raumzeit.
Das harmoniert nicht so gut mit einer Transformation durch die Raumzeit.
Sind normale Planeten oder Sonnen bloß Dellen, ist ein Schwarzes Loch eben ein Loch, wobei dies nach der Theorie in allen Raumzeitdimensionen besteht, weswegen es nicht weise wäre, eine Transformation direkt hindurch zu realisieren.
Dennoch haben dies vereinzelt sowie näherungsweise einige Leute probiert – überleben kann man es wohl.
Läuft es schlecht oder die Transformation ist mangelhaft berechnet, kann ein Raumfahrer indes auch in der Singularität steckenbleiben, ist also fortan verschollen.
Bei normalen Sonnen oder Planeten ist das Risiko des Steckenbleibens hingegen minimal, denn die Raumzeit ist dort ja letztlich bloß wenig gedellt, man durchquert den fraglichen Raum nicht wirklich, insofern stellen Sonnen oder Planeten keine derartige Störung oder Verzerrung der Raumzeit dar, daß sie nennenswerten Einfluß auf das Transformationsgeschehen hätten.
Letztlich hat die Methode der Transformation theoretisch niemand vollständig durchdrungen, da gibt es haufenweise Theorien, welche alle nicht stimmen, folglich ist es immer besser, bloß im möglichst flachen, weitgehend leeren Raum große Sprünge zu wagen.
Dazu sollte man beurteilen können, daß am Ankunftsort hinsichtlich Materie nicht viel los ist.
Moderne Schiffe haben diesbezügliche Korrekturmechanismen, welche Materie im Verlauf der Ankunft erfassen, für Korrekturen bezüglich der Ankunft in der Raumzeit sorgen.
Bei alten Schiffen ist es dagegen wichtig, Kenntnis über die Abwesenheit mindestens von Objekten gewisser Größe am Ankunftsort zu haben, so sollte man alles vermeiden, was größer als ein Kleinplanet ist, sonst käme es durch die Raumblähung bei der Ankunft zu sehr üblen Schwerkräften auf Schiff sowie Objekt, was zerstörerisch auf beide wirken kann, in seltenen Fällen könnte es gar zu einem energetischen Paradox kommen, bei welchem die Transformation letztlich auf unangenehme Weise zurückploppt.
Auch deswegen ist man mit alten Schiffen mit einfacher Transformationstechnik stets vorsichtig unterwegs.
Im Bereich von Sonnen, Planeten wagt man folglich bloß kleine Sprünge oder bewegt sich klassisch in der Raumzeit fort.
In der Praxis sind Transformationen auch mit alten Schiffen gut handhabbar, sie benötigen lediglich mehr Vorbereitung, man ist also schlicht deutlich länger unterwegs, zwischen den Sprüngen ist mehr Zeit erforderlich.
Umsicht ist erforderlich, Vorsicht.
Die Schüler jedenfalls wähnten sich unbeobachtet, taten übermütig das Gegenteil mit ihren mutwilligen Spaß-Sprüngen durch jene Sonne.
Ich näherte mich, funkte sie an, gerade als das kleine Schiff wieder zurück zum größeren gesprungen kam.
Es dauerte etwas, bis eine Antwort kam.
Ich identifizierte mich, führte den Grund meiner Anwesenheit im Auftrage der Schule an, ebenso die Beschwerde über ihr Treiben, welches somit aufgefallen sei.
Die Reaktion war erst einmal betreten, beunruhigt.
Nun, ich ließ sie schmoren, kam heran.
Das kleine Schiff hatte unterdessen an das größere angedockt, so dockte auch ich kurz darauf an.
Mit verkniffenen Gesichtern standen mir die jungen Leute alsbald gegenüber.
Verlegen erläuterten sie mir ihren Freizeitspaß.
Ich wiederum erläuterte die Bedenken der Gemeinschaft, es sich mit der zaghaften Öffnung von Satniva nicht verscherzen zu wollen, sowieso seien Transformationen durch Planeten oder Sonnen keine fachgerecht angemessene Aktivität für Raumfahrer, wenn hier auch zweifelsohne wohl als Geschicklichkeitsübung zu verstehen, als Mutprobe, die Transformation möglichst knapp durchzuführen.
Nun, als Übung sei dies mit Raumbarken im flachen Raum löblich, keinesfalls jedoch im näheren Umfeld von Planeten oder Sonnen, schon gar nicht von einer Seite zur anderen.
Es drohe ihnen also eine Rüge der Schule.
Sofern sie nicht einsichtig seien, könnten noch weitere Konsequenzen folgen.
Sie wurden kleinlaut, versprachen, ihren Schabernack sofort zu unterlassen.
Um jetzt nicht als humorlose Aufsicht dazustehen, ließ ich mir ihre Aufzeichnungen zeigen, wie gingen alles gemeinsam durch, um daraus immerhin noch etwas zu lernen.
Nun, sie hatten in der Tat einfache Schiffe.
Bei dem Bautyp bestand nun schon ein geringes Risiko von Fehlfunktionen.
Ich wies sie auch auf diesen Sachverhalt hin.
Nun erst wurde ihnen wohl klar, daß über die Mutprobe hinaus Gefahr bestanden hatte, weil sie die Macken der alten Schiffstypen nicht verstanden hatten.
Daher gab ich einen kleinen Kurs darüber.
Anschließend übten wir mit Raumbarken, wie es löblich ist.
Sie waren einsichtig, interessiert dabei, insofern war von der Rüge nicht mehr die Rede. Allerdings mußten wir wohl noch gegenüber den Verantwortlichen von Satniva antreten, das Fehlverhalten einräumen, um die Situation endgültig zu entschärfen. Nun, insbesondere die beiden aus der Region hätten sich schon sehr gerne gedrückt, aber daran ging nun kein Weg vorbei, das mußte nun wieder aus der Welt. Also begaben wir uns hinüber zum bewohnten Planeten.
Ich kündigte uns an, bekam Antwort. Alsbald waren wir gelandet, daraufhin zu einem Konferenzraum gebracht. In der Sitzung standen die Schüler immerhin zu ihren Verfehlungen. Ich erläuterte die bloß harmlosen, temporären Auswirkungen auf die zweite Sonne, das Fehlen von Auswirkungen auf den hiesigen Planeten. Insgesamt gelang es so, die Stimmung wieder zu beruhigen, die Affäre zu entspannen. Es gelang mir, die Verantwortlichen zu überzeugen, daß die jungen Leute auf der Raumfahrerschule nicht bloß derartigen Blödsinn lernen würden, im Gegenteil. Die Begeisterung hielt sich zwar in Grenzen, aber dennoch blieb alles reflektiert, ruhig, letztlich gelassen. Insofern konnte ich kurz darauf den Erfolg an die Gemeinschaft melden. Die Diplomatie hatten also Schaden für die Beziehungen abgewendet.
Damit war eigentlich der offizielle Teil erledigt, man wollte aber doch, daß ich nun ein waches Auge auf die jungen Leute halten sollte. Ganz überzeugt hatten wir also keineswegs mit unseren Einlassungen. Von mir hatte man wiederum gehört, verließ sich damit auf mein Durchsetzungsvermögen. Damit hatte ich also irgendwie die Verantwortung zugeschoben bekommen. Ich rümpfte zwar die Nase, mußte mich aber wohl auf das Spielchen einlassen. Insofern mußte ich doch noch bleiben. Ich blieb also in Kontakt, fragte, was sie sonst hier noch trieben. Nun, neben einigen Naturerlebnissen, Erholung hatten sie noch etwas Interessantes im Programm: Aufgrund der Kenntnisse der beiden von hier stammenden Schüler war ihr Interesse an bestimmten literarischen Werken geweckt worden.
Literatur von Satniva ist insofern interessant, weil es eben diese Zurückhaltung gibt, man tauschte also eher zurückhaltend Literatur aus, ganze Bereiche der Literatur, historische Archive waren davon komplett ausgenommen.
Gewisse Strömungen ihrer Studien behielten sie eben lieber für sich als kulturspezifisch.
Dazu gehörten auch eher historische Quellen zur Vergangenheit von Satniva.
Hatten sie etwas zu verbergen?
Nun, die meisten Zivilisationen hielten sich da bedeckt, insofern war das für eine spezielle im Vergleich nicht verdächtig, eher eine bemerkenswerte Übereinstimmung, welche ihre Ursache tief in der Vergangenheit der Zivilisationen haben mochte oder sollte.
In der größten Bibliothek von Satniva gab es natürlich allerhand Werke mit historischer Relevanz für Satniva, diese wären jedoch zumeist Personen aus anderen Kulturkreisen gar nicht zugänglich geworden.
Archive blieben für das allgemeine Volk bereits verschlossen.
Allgemein verfügbar waren lediglich aktuelle Werke über die Historie einer solchen Zivilisation.
Bei derartigen Werken zur Geschichte gab es nun eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit in allen Zivilisationen.
Einig war man sich darin über alle Quellen hinweg, daß einst die ersten Menschen in dem jeweiligen System angekommen waren, sich angesiedelt hätten.
Die lokale Geschichte begann jeweils mit diesem Zeitpunkt.
Gut, bei einigen Zivilisationen war auch dies verloren, ferner gab es keinerlei Verknüpfungen mit den anderen Zivilisationen.
Die Transportmittel der Ankunft waren nicht mehr verfügbar gewesen, Raumfahrt allenfalls nur noch rudimentär möglich, die Kräfte wurden gebraucht, um eine neue Zivilisation aufzubauen.
Vielerorts waren daher die Anfänge in Vergessenheit geraten.
Aufzeichnungen von der Zeit davor, was ja eine Reise, eine Raumfahrt gewesen sein mußte, fanden sich nirgends.
Das war unsere verlorene Vergangenheit.
In einigen Zivilisationen war auch von der Zeit danach zunächst alles verloren, man hatte schlicht vergessen, jemals angekommen zu sein, es war, als stamme man von dem jeweiligen Planeten.
Mit den Kontakten der Zivilisationen zu späteren Zeiten konnte hingegen genetisch schnell belegt werden, daß alle zusammengehören, was wiederum die Frage nach der Quelle unserer Art aufwarf.
Dies Information schien indes für alle Zivilisationen verloren zu sein.
Das war seltsam.
Alle waren irgendwie angekommen, doch woher kamen wir?
Nun, das Interesse an diesen Fragen hatte sich stets in sehr engen Grenzen gehalten.
Forschung in der Richtung wurde eigentlich nirgends ernsthaft betrieben.
Man lebt im Jetzt, plant für die Zukunft.
Vergangenheit ist verloren.
Die Erinnerungen der Zivilisationen beschränkten sich allgemein auf das, was auf dem jeweiligen Planeten passiert war.
Bereits die Ankunft lag zumeist mehr oder weniger im Nebel der vergessenen Vergangenheit.
Natürlich gab es zu dieser gemeinsamen Einstellung einige Hypothesen.
Die plausibelste bestand darin, daß eine Vorkultur irgendwann ihren Planeten derart zerschunden hatte, daß sie Generationenraumschiffe produzierten, in die Galaxie entsendeten.
Als diese auf den neuen Planeten ankamen, waren also die Grundlage für neue Zivilisationen gelegt worden, wie diese heute bekannt seien.
Die Peinlichkeit der Herkunft aus einer aus eigenem Verschulden zerschundenen Welt wollte man verdrängen, vergessen, der Nachwelt ersparen.
Welcher Planet aber hatte diese Vorkultur hervorgebracht?
War er aufgrund eigenen Versagens der Vorkultur aufgegeben worden oder doch eher aufgrund des Verlöschens des Mutterstern etwa zu einem roten Riesen verlassen worden?
Fanden sich deshalb keine Spuren mehr davon, weil der Planet nicht mehr existierte?
Warum aber fanden sich dazu keinerlei Informationen in den historischen Quellen?
In keiner der doch zunächst über Generationen unabhängig geführten Aufzeichnungen der einzelnen Zivilisationen?
All dem haftete ein unheimliches Rätsel an.
Schon deshalb war das natürlich interessant für neugierige Menschen wie Historiker.
Von denen gab es indes bloß wenige.
All dies Fehlen von Information trieb seine Blüte eben in der relativ stabilen, plausiblen Hypothese, unsere Urahnen hätten derart viel Mist gebaut, daß dies damals bei der Gründung der neuen Zivilisationen aus der Erinnerung gelöscht werden sollte, um einen echten Neuanfang hinbekommen zu können.
Die Tradition in der Kultur von Satniva war nun etwas anders. Hier legte man zwar wert auf Tradition, jedoch lediglich in der aktuellen Ausführung. Die allgegenwärtige Reflexion hatte ihren Schwerpunkt im Jetzt. Bibliothekare waren demnach eher Bewahrer der Schriften, nicht unbedingt Historiker oder Kundige alter Aufzeichnungen. Insofern wurde zwar bewahrt, jedoch nicht aktiv vermittelt. Über die Vergangenheit lehrte man hier eher knapp, jeweils im Kontext des Jetzt. Außerhalb von Satniva wußte man immerhin so viel zu erfahren, daß die Geschichte ähnlich war wie bei den anderen Zivilisationen, man war irgendwie angekommen, danach begann die eigene Zeitrechnung, ebenso die historische Aufzeichnung. Später erst gab es einen Abgleich der lokalen Zeitrechnung mit jener der galaktischen Gemeinschaft.
Nun hatten Bylobus und Nueva – also die beiden Schüler, welche von Satniva stammten – eher zufällig ein belletristisches Werk gefunden, welches bei näherer Betrachtung gar nicht so belletristisch wirkte, eher wie Geschichten aus der Zeit vor der Ankunft.
Schnell fanden sich zwei weitere Werke der Autorin mit Namen Warnilla Scai zusammen zu einer Trilogie, wobei der dritte Band überraschend Details aus der Zeit der ersten Ankunft auf Satniva nannte, welche mit den offiziellen Daten übereinstimmten.
In der Schule hatten sie einigen Kommilitonen darüber berichtet.
So war man übereingekommen, samt einiger interessierter Kommilitonen weiter vor Ort zu recherchieren.
Unter anderem war man dabei auf eine gekapselte Geschichte von einem Mythos gestoßen, wo es eben darum ging, den Sprung durch eine Sonne zu wagen – ein Hinweis auf die Anfänge der Transformationstechnik?
Darüber waren sie jedenfalls auf die Idee gekommen – welche auch schon andere ohne eine derartige Quelle hatten, aber nun gut, das war so nachvollziehbar.
Also jedenfalls eine Verbindung zu den Anfängen der transformatorischen Raumfahrt, in jenen Geschichten allerdings lokalisiert deutlich vor der Ankunft auf Satniva, damit gar deutlich vor der Ankunft aller uns bekannten Zivilisationen in der Galaxis.
Hatten sie wirklich ein Verbindungsglied in unsere Vergangenheit gefunden?
Oder eben doch bloß belletristische Geschichten ohne echten historischen Gehalt?
Ich war jedenfalls interessiert, hörte aufmerksam zu.
Nun, die Kommilitonen waren ebenfalls interessiert gewesen, so hatte man sich zu diesem Ferienausflug entschlossen, denn die satnivischen Bibliotheken haben es nicht so mit dem Ausleihen antiker Werke oder auch nur von Kopien davon, da braucht es eine Ausfuhrgenehmigung selbst für gedruckte Kopien. Deshalb hatten Bylobus und Nueva die Kopien der Werke auch nicht mit in die Raumfahrerschule bringen können, daher wiederum der Ausflug zurück in den Semesterferien. Insofern war nachvollziehbar, wie sie in der Zusammensetzung hierher gelangt waren, was sie ferner dazu getrieben hatte, durch jene benachbarte Sonne zu springen.
Ich kam also mit in die Bibliothek, um die Studien mit ihnen fortzusetzen, denn bei ihrem ersten Untersuchungen dort hatten sie weitere interessante Dinge herausgefunden.
Denn der Name Warnilla Scai ist ein Anagramm zu Larisa Walnic, dies war wiederum eine Person, welche zum ersten Rat von Satniva gehörte, welche angeblich sogar maßgeblich an der Namensgebung beteiligt war, denn es war bekannt, daß Satniva wiederum ein Anagramm zu Vanitas ist, der Vergänglichkeit, denn man hatte sich im Rat auch hier früh entschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Allerdings hatte es dazu im Rat wohl intensivere Diskussionen gegeben.
Larisa Walnic hatten den Rat einige Zeit später verlassen.
Bemerkenswert daran war insbesondere, daß in den frei einsehbaren, aktuell bearbeiteten Annalen bei den meisten Ratsmitgliedern meistens als Ausscheidungsgrund der Tod oder Pensionierung angegeben war.
Hinzu kam noch die konkrete Nennung einer anderen Aufgabe, etwa als Bewahrer des Wissens als Bibliothekar der Hauptbibliothek.
Lediglich bei Personen, welche aufgrund einer abweichenden Meinung nicht mehr gerne gesehen waren, war durchgehend ‚ausgeschieden‘ vermerkt, so auch bei Larisa Walnic.
Diese hatte sich in eine kleine Kolonie zurückgezogen, wo sie allerdings weiter tätig war, insbesondere in der Bildung und einigen organisatorischen Aufgaben.
Darüber kam sie eher ehrenamtlich in ein Beratungsgremium über Schulbücher, darüber wiederum zu einer Aufsichtsfunktion in einer diesbezüglichen Kommission der Hauptbibliothek.
In Zuge dieser Funktion hatte sie jedoch Zugriff auf sämtliche Inhalte, dazu ebenso Möglichkeiten, neue Werke selbständig zu registrieren.
Sie hätte also die Möglichkeit gehabt, eigene Werke unter Pseudonym getarnt als Belletristik in die Bibliothek zu schmuggeln.
Indes war nicht viel Offizielles über die Meinungsverschiedenheiten herauszufinden, wegen derer sie aus dem Rat entlassen wurde.
Immerhin schien sie ansonsten weiterhin geschätzt zu sein.
Dies war ein klarer Hinweis auf einen wenigstens reflektiert geführten Dissens.
In letzten Band der Trilogie von Warnilla Scai fanden sich hingegen Hinweise, da ging es in einer gekapselten Geschichte insbesondere um die Frage, wie der Rat mit der Vergangenheit umgehen solle.
Gründe für die Hauptmeinung waren dort nicht angegeben, jedenfalls bestand diese darin, keine Details über die Reise oder die Urheimat aufzuzeichnen, einfach ruhen zu lassen, was gewesen sei.
Die Minderheitsmeinung war, daß man damit offen umgehen solle.
Die Mehrheit setzte sich durch.
Eine derartige Meinung hatte sich offenbar auch in den anderen Zivilisationen durchgesetzt, wobei interessant gewesen wäre, warum man die Vergangenheit hatte vergessen wollen.
Zwar fanden sich in der Trilogie weitere gekapselte Berichte, welche schilderten, was sich auf der Reise des Generationenschiffes ereignet hatte, wie dieses bei der Ankunft nahezu zerlegt worden war, danach in die Sonne gestürzt wurde, was letztlich erklärte, warum von diesen Generationenschiffen nichts gefunden wurde.
Die anderen Zivilisationen waren ähnlich vorgegangen.
Dies fand sich auch als Vorgabe in den gekapselten Berichten der Trilogie.
Die Ahnen hatten dies bereits bei der Abreise festgelegt.
Bereits diese wollten also ihre Spuren in die Vergangenheit verwischt wissen.
Insofern geriet bereits während der Reise des Generationenschiffes viel über die Urzeit in Vergessenheit, aus Absicht.
Vermutlich hatten die Ahnen dies allen Generationsschiffen mit auf den Weg gegeben.
Ferner fand sich in der Trilogie auch noch ein interessantes Detail über das Vorgehen.
Die Generationsschiffe hingen zunächst alle zusammen, hatten sich erst später getrennt, nachdem klar war, welches zu welchem Stern oder wenigstens in welchen Sektor der Galaxie transformieren sollte.
Mit der Trennung hatte man auch den Kontakt der Schiffe untereinander abgebrochen.
Für engere Kontakte wären ohnehin fortgesetzte Transformationsaktivitäten notwendig gewesen.
Die Zivilisationen hatten allerdings begrenzte Ressourcen, wohl auch deswegen verzichtete sie auf weitere Kontakte nach der Trennung.
So wäre also auch erklärbar, warum sich die Zivilisationen zunächst getrennt entwickelt hatten.
Nach einer Ankunft wurde zunächst das meiste Material für den Aufbau der neuen Heimat verwendet, daher blieben wohl zunächst auch nur einfache Kenntnisse über Raumfahrt im Nahbereich übrig.
Für die große Raumfahrt per Transformation fehlten lange die Mittel.
Offenbar wurde immerhin teilweise das Wissen darüber bewahrt, denn ein paar Zivilisationen waren später damit ja wieder aktiv geworden.
Transformation war nie eine neue Erfindung für diese Raumfahrer gewesen, stets ererbtes Wissen, darauf aufbauend erst allmählich zaghafte Verbesserungen im Ablauf, der Sicherheit der Transformationen.
Daraus hatte sich letztlich die galaktische Gemeinschaft gebildet, welche aktiv Kontakt auch zu jenen Zivilisationen suchte, bei welchen selbst das Wissen über die Transformation in Vergessenheit geraten war.
Was jedenfalls Larisa Walnic geschrieben hatte, las sich wirklich eigentlich alles ganz schlüssig.
Die Studenten oder Schüler zeigten mir eifrig ihre Funde in der Trilogie.
Zudem waren sie auf weitere Bücher gestoßen, denn die Trilogie hatte unter anderem auf zwei etwa gleichalte Werke einer gewissen Anisa Cwirall verwiesen, wobei dieser Name ein weiteres Anagramm zu Larisa Walnic war.
Die beiden Bücher enthielten zwei weitere belletristische Geschichten als Rahmenhandlung.
Darin gekapselt waren allerdings – wie auch in der Trilogie weitere Geschichten, mit welchen Berichte getarnt waren.
Teils waren darin wiederum weitere Berichte gekapselt.
Derart gab es immer mehr Berichte über Details der Reise insbesondere mit dem Generationenschiff, selbst in der Zeit vor der Trennung in Einzelschiffe.
Die Transformationstechnik mußte damals weit weniger gut etabliert gewesen sein als zu unserer Zeit, denn das waren lange Zeiträume.
In den gängigen Hypothesen war man davon ausgegangen, daß es vor der Ankunft mit den Generationsschiffen noch keine Transformations-Raumfahrt gegeben habe, deshalb Generationenschiffe unterwegs gewesen seien.
Aus diesen Berichten ging hingegen eindeutig hervor, daß sie bereits transformiert hatten, wenn sie auch zwischen zwei Transformationen immer eine größere Zeitspanne herkömmlicher Reise hatten, um sich zu orientieren, warum, erläuterte die Autorin in den fünf Bänden allerdings nicht.
Nun hatte es in keiner Zivilisation Berichte über die Erfindung der Transformation gegeben, insofern war eigentlich offensichtlich, daß die Hypothesen so nicht zusammenpaßten.
Von wem sonst, wenn nicht von den Ahnen hätte die Transformationstechnik sonst stammen können.
Daher paßte alles zusammen, die Generationsraumschiffe hatten die Transformationstechnik, wenn auch einfacher als bei unseren modernsten Schiffen.
Auch bei denen ist ja nicht etwa die Transformation an sich anders als bei unseren alten, es ist eher Sensorik, Überwachung, Steuerung, Korrektur, was verbessert wurde.
In den Berichten, welche in verkapselten Berichten versteckt waren, berichtete die Autorin auch über jene Zeit deutlich vor ihrer eigenen Geburt, also über die Zeit der Reise. Da gab es aber noch fast keine Hinweise, warum sie überhaupt aufgebrochen waren, wo sie gestartet waren, wo nun die Urzivilisation lag.
Ich sann nach.
Was, wenn Larisa Walnic weitere Werke in der Belletristik der Bibliothek versteckt hatte?
Ich spekulierte über weitere Anagramme.
Wir recherchierten also.
Verblüffend schnell stießen wir so auf je zwei weitere Bücher von Carli Sainlaw und Cina Larislaw.
Damit kamen wir inzwischen auf neun umfangreiche Werke.
Den nächsten Tag stieß ich auf ein Buch von Alli Wircsaan, das war bislang das mit dem jüngsten Datum.
Darin fand ich zu meiner Freude im Literaturverzeichnis nicht bloß die neun uns schon bekannten Bücher, ferner auch noch zwei von Icas Allinraw.
Diese führten ebenfalls alle anderen elf Werke auf, die beiden waren auf dasselbe Jahr wie das Werk von Alli Wircsaan datiert, im zweiten fand sich zudem im Nachwort ein relevanter Hinweis auf die zwölf Bücher der verlorenen Vergangenheit.
Vermutlich hatten wir also alle gefunden.
Eine nähere Untersuchung dieses Bandes ließ in der Tat darauf schließen, daß dem so war.
Es enthielt ferner eigenartige Listen, welche offiziell als Rätsel eines Kriminalfalles ausgelegt waren.
Wie ich indes alsbald erkannte, waren darin die zwölf Bücher relativ einfach kodiert, ferner wurden damit Daten mit Textstellen in den Büchern verknüpft.
Auf diese Weise kann man aus den zwölf Büchern eine Chronologie mindestens der Reise nachvollziehen!
Dies brachte allmählich mehr Ordnung in die wild, scheinbar wahllos angeordneten, verkapselten Geschichten.
Erst so durchschauten wir das Anliegen einer geheimen Chronologie.
Das Geflecht, die Verkapselungen waren also kein künstlerischer Kniff, sie waren schlicht Tarnung der brisanten Berichte.
Hektisch mühte ich mich, die Liste komplett zu entschlüsseln, wobei mir die Studenten halfen. Als wir es geschafft hatten, schaute ich alles durch. Ich suchte nach den Textstellen, welche über die früheste Vergangenheit referieren sollten. Noch hatten wir keine Umrechnung der Zeitangaben in unseren Standardkalender der galaktischen Gemeinschaft, von daher war nicht klar, wie weit das nun zurückreichte. Daran würde noch gearbeitet werden müssen.
Den nächsten Tag guckte ich mir die Beiträge mit Berichten zu den ältesten Ereignissen an.
Darin ging es um Auseinandersetzungen zwischen Zivilisationen, die Entwicklung von Vernichtungswaffen.
Die mächtigste bestand aus Raumschiffen mit Transformationstechnik sowie einer Last aus instabiler Materie sowie Antimaterie.
Die Last wurde nun in unmittelbare Nähe eines Sterns transportiert, dort wurde ein Sprung durch den Stern absolviert, wobei direkt beim Absprung die Last derart abgekoppelt wurde, daß diese möglichst präzise derart in die Heliosphäre des Sterns katapultiert wurde, daß ein gezielter, mächtiger Sonnensturm entfacht werden konnte, welcher wiederum unaufhaltsam einen Planeten grillen konnte.
Damit waren Waffen vorhanden, um ganze Zivilisationen zu zerstören.
Einerseits dürfte dies der Ursprung vom Mythos des Sonnensprungs sein, andererseits lag darin auch der Grund, warum eine Zivilisation das Generationenschiff gebaut hatte.
Sie waren geflohen!
Ich verstand erst nicht, aber im Laufe des Tages fand ich heraus, daß sie keineswegs bloß durch die Galaxis geflohen waren, sie hatten vielmehr zwei gewaltige Schiffe konstruiert, welche zunächst gemeinsam durch die Galaxis flogen.
Man war sich allerdings uneins, wohin es nun gehen sollte, um sich in Sicherheit zu bringen.
Man schlug unterschiedliche Richtungen ein, blieb jedoch mit kleineren Schiffen mit Transformationstechnik in Kontakt.
Eines der Schiffe wurde letztlich von einer anderen Zivilisation angegriffen.
Deshalb entschloß sich das andere letztlich, als keine Rettung mehr für das andere Schiff möglich war, man noch alle kleinen Schiffe eingesammelt hatte, welche hatten vom anderen Generationenschiff fliehen können, zu einer Transformation hinaus in den freien Raum, weg von der Galaxie.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen.
Sie hatten ihre Galaxie verlassen, tasteten sich vor mit Transformationen durch den Raum, um ihre Zukunft in einer neuen Galaxie zu finden.
Deshalb wollte die Mehrheit mit der Vergangenheit abschließen, keinen Kontakt mehr zu den kriegerischen Feinden der alten Galaxie mehr haben, die Erinnerung daran auslöschen.
Die Minderheit sah in der Erinnerung hingegen eher eine Mahnung, es nie zurück in die alte Heimat zu wagen, als Mahnung vor dem Kriege, der Vernichtung von Zivilisationen.
Jene mit der Tendenz zum Neuanfang setzten sich aber weitgehend durch.
Sie verloren mit Absicht die Erinnerung an die Vergangenheit!
In einer anderen Passage fand ich auch noch etwas über die Transformationstechnik.
Diese war demzufolge mitnichten menschlichen Ursprungs.
Vielmehr hatte man sie einer anderen Spezies abgeluchst.
Auch da war es zu Auseinandersetzungen gekommen, Kommunikationsprobleme mit der Spezies aus einer anderen Welt.
Dem Bericht zufolge hatte jene Spezies zwar technisch deutlich mehr drauf, war gleichwohl deutlich weniger aggressiv, durchtrieben.
Letztlich waren sie einer Intrige von Großkonzernen zum Opfer gefallen.
Es gab ein Genozid an der gesamten Art, wobei deren Raumschiffe übernommen wurden.
Es gelang nie komplett, Kultur, Schriften, Aufzeichnungen jener Spezies zu entschlüsseln.
Insofern ging sehr viel Wissen verloren, unter anderem auch das über die eigentlichen theoretischen Grundlagen der Transformationstechnik.
Von dieser lernte man zunächst mehr oder weniger den Nachbau.
Vermutlich erfolgte dies zunächst ziemlich einfach.
Es uns war es wohl wieder gelungen, die Transformationstechnik mit allerlei Sicherheitsmechanismen zu ergänzen, um sie alsdann richtig effizient in unserer Galaxis nutzen zu können.
Eigene Raumschiffe waren somit einfacher als jene der ausgelöschten Spezies, welche man allerdings nie richtig nutzen konnte, weil diese Wesen zu fremdartig waren, ihre Kultur, die Aufzeichnungen nicht entziffert werden konnten.
Es reichte bloß für einfache Nachbauten.
Auch das war eine technisch große Leistung, zweifellos.
Alles basierte aber letztlich auf der Auslöschung einer gesamten fremden Spezies, darauf lastete eine gewaltige Schuld!
Diese einfachen Schiffe reichten immerhin, um in relativ kleinen Schritten die Galaxis zu erobern, denn bis dahin hatte man sich bloß über einen relativ kleinen Teil ausgebreitet.
Die Spezies war bloß in diesen Teil der Galaxis geraten, ob zufällig oder gezielt, um Kontakt aufzunehmen, war nicht bekannt.
Der Kontakt vor der Zernichtung war mühsam gewesen, so war lediglich bekannt geworden, daß sie schlicht mobil waren, weil ihre ursprüngliche Heimat zerstört war – ihre Sonne hatte ihr Lebensende erreicht.
Daher waren sie letztlich gezwungen gewesen, sich in die Galaxis zu wagen.
Dabei waren sie leider auf Menschen gestoßen, auch noch jene dubiosen Gestalten von den Großkonzernen.
Das hatten sie nicht überlebt.
Dies jedoch war für Menschen der Anfang der Transformationstechnik.
Es gab später einige Weiterentwicklungen.
Nach meinem Eindruck hatten sie es aber in der Technik damals bei weitem nicht zu dem gebracht, was wir heute können.
Insofern war es für mich nicht mehr so erstaunlich, daß die Generationsraumschiffe nach einer Transformation zunächst länger verweilten, bevor der nächste Sprung vollzogen wurde.
Auch im flachen Raum zwischen den Galaxien ist es keineswegs leer, es gibt vagabundierende Planeten, Braune Zwerge, allerlei Zeug, in welches man nicht versehentlich springen will, was allerdings keine Orientierung lieferte, weil unbekannt.
Ihre Langsamkeit hing folglich sicherlich damit zusammen, daß sie zwischen den Galaxien in diesem unbekanntem Terrain unterwegs waren, mit einer gesamten Zivilisation an Bord ferner nichts riskieren wollten.
Dies Schiff mußte gewaltig gewesen sein, insofern wurde auch mit jeder Transformation eine gewaltige Raumblähung am Sprungziel ausgelöst, keine Kleinigkeit, auch energetisch.
In einem weiteren Bericht von den Anfängen der intergalaktischen Reise würde ferner über eine Beobachtung berichtet, daß es in der Region der menschlichen Besiedlung richtig geknallt haben mußte. Man ging davon aus, daß man es technisch irgendwie hinbekommen hatte, nicht bloß mit Sonnenstürmen Planeten zu grillen, was auf die Entfernung nicht mehr auflösbar gewesen wäre. Offenbar hatten sie irgendwie einen Weg gefunden, ganze Sonnen zu zerknallen. Jedenfalls ging man davon aus, daß sich in der Urheimat sämtliche menschliche Zivilisationen gegenseitig zerknallt hatten oder jedenfalls in die vormenschliche Zeit zurückgebombt hatten. Sicher konnte man sich dessen zwar nicht sein, doch nach einem spektakulärem Feuerwerk trat verdächtige Ruhe ein. Dies war wohl ein weiterer Grund, warum die Mehrheitsmeinung endgültig Oberhand gewann, mit der Vergangenheit abzuschließen, diese zu vergessen. Im freien Raum konstruierte Schiffe lassen sich relativ gut skalieren, insofern plausibel, trotz allem sehr anspruchsvoll zum Überwinden der Distanz zwischen zwei Galaxien. Daß die Reise Generationen gedauert hat, war unter den Bedingungen plausibel. Ich fand die Schilderungen überzeugend – und als Raumfahrer bin ich ja vom Fach, habe Expertise.
Ich war zugleich erschüttert und fasziniert. Alles erzählte ich den Studenten davon nicht, welche nach anderen Sachen geguckt hatten, mir ebenfalls berichteten. Insgesamt paßten die jüngsten Berichte gut zur Geschichte von Satniva, wie sie Bylobus und Nueva in etwa bekannt war, allerdings bisweilen aus einer deutlich anderen Perspektive mit bemerkenswerten Details. Der Rat von Satniva hatte die Doktrin des Vergessens durchgesetzt. Was noch vorhanden sein mochte, war aus den öffentlichen Bereichen der Bibliothek entfernt worden. Nun gab es ja durchaus Literatur aus der vergessenen Vergangenheit, Autoren aus der Zeit wie Goethe, Shakespeare waren ja durchaus mit ihren Werken bekannt, ebenso die Philosophie der alten. Es gab da lediglich diese Lücke. Raumfahrt ging in den alten Schriften allenfalls bis in die nähere Umgebung, nicht über das Sonnensystem hinaus. Danach gab es die große Lücke des Vergessens, jeweils etwa bis zur Ankunft in der neuen Heimat der Zivilisationen. Generationenraumschiffe hatten sich zwar etabliert, in diesen Berichten fand sich darüber allerdings deutlich mehr.
Dies war allerdings bloß eine Quelle, eine Person, eine Autorin, Zeitzeugin oder doch Phantastin?
Ich wollte die Funde unbedingt Agos sowie anderen Gelehrten vorlegen.
Das Problem bestand nun darin, daß man nicht einfach so Literatur ausleihen kann, einfach so Kopien bekommen.
Die Studenten plädierten ebenfalls vehement dafür, dies den Gelehrten der galaktischen Gemeinschaft nicht vorzuenthalten.
Immerhin ging es ja eigentlich bloß um Belletristik, so waren die Werke jedenfalls einsortiert.
Also begann ich, verschmitzt zu fabulieren:
Gewiß hätte Bylobus und Nueva ja bloß das milde Heimweh nach Satniva dazu getrieben, hier in den Ferien etwas Schabernack zu treiben.
Wenn es ihnen wie ihren Gästen also erlaubt wäre, etwas Belletristik aus der Heimat mitzunehmen, könnte diese Sehnsucht doch erheblich sowie hinreichend gemindert werden, um fürderhin derlei Ausbrüche aus der Konvention zu vermeiden.
Bylobus und Nueva grinsten überzeugt, derart könnte es wohl gelingen, Kopien der Werke zu bekommen, wenn auch lediglich klassisch als Buch auf Papier gedruckt.
Das war nun ausreichend für unsere Zwecke.
Je ein gedrucktes Exemplar pro Werk ist deutlich besser als kein Exemplar überhaupt.
Also formulierte ich das Anliegen aus, ließ es meinen Kontakten zum Rat zukommen, einschließlich einer Liste der zwölf Werke, dazu noch ein paar weitere belanglose Klassiker, welche Bylobus und Nueva mir nannten.
Ich führte keine Details an, Titel, Autorennamen, Ordnungsmerkmale im Bereich der Belletristik in der Bibliothek dazu.
Ich bekam gleich den nächsten Tag eine Antwort.
Erfreut las ich, daß man dem Ersuchen zugestimmt habe, auch aus Dankbarkeit für meinen entschlossenen Eingriff, die kurzfristige Regelung der Angelegenheit.
So würde noch im Laufe des Tages ein entsprechendes Zertifikat an die Bibliothek gesendet.
Faksimiles der gewünschten Werke würden angefertigt, der Rat werde die Kosten gar übernehmen.
Auf Nachfrage könne ich die Werke in den nächsten Tagen in der Bibliothek abholen, den Studenten bei der Heimreise aushändigen, gerne auch selber lesen.
Eine Einschränkung gebe es allerdings, welche auch jeweils vermerkt sei: Weiteres Kopieren sei unerwünscht, die Faksimiles der belletristischen Werke seien ansonsten aber frei für weitere interessierte Leser.
Man freue sich auf weitere friedliche, reflektierte Kooperation mit anderen Zivilisationen der galaktischen Gemeinschaft, da seien diese Faksimiles bloß eine Geste der Freundschaft, wie auch die Überlassung der beiden an Raumfahrt interessierten Studenten zum Studium in der Gemeinschaft.
Nun, das war geradezu perfekt.
Als ich den Studenten dies mitteilte, waren auch diese zutiefst erfreut.
Hintergangen hatten wir den Rat damit ja keineswegs, wir hatten alle Merkmale angegeben, die Motivation der Studenten war ebenfalls vorhanden, wohin die Beschäftigung mit den Werken führen könnte, war ja nun gar nicht Gegenstand der Eingabe, eine diesbezügliche weitere Nachfrage erfolgt auch nicht.
Somit waren wir insgesamt im grünen Bereich.
Wir hatten noch genug Zeit, also studierten wir weiter in der Bibliothek, arbeiteten uns in weitere Details der Berichte ein.
Am nächsten Tag bereits waren die ersten Faksimiles fertig, in der Tat vorne mit der Lizenzbedingung, der Bibliothek als Quellenangabe versehen.
Der zuständige Bibliothekar sah mich und die Studenten an, übergab die Werke mit kritischem Blick.
Er mochte sich schon fragen, was wir mit den Kopien der alten Schinken vorhaben könnten.
Er merkte dazu an: Er wundere sich etwas über die Zusammenstellung, aber gut, wer sich für Raumfahrt interessiere, habe wohl eben Interesse an derartigen phantastischen Erzählungen.
Nach seinen Ausleihdaten hätten, einmal abgesehen von den Klassikern, diese Werke ja nie im Fokus irgendeiner Aufmerksamkeit gestanden, interessant, daß die Studenten darauf gestoßen wären.
Ich lächelte, nickte, von derlei Texten könnten wir nie genug bekommen.
Da seien die jungen Leute eben sehr findig, Werke aufzuspüren.
Dann hatten wir die Faksimiles in den Händen.
Die für uns weniger interessanten, jedoch lokal bekannten Klassiker hatte er vorrätig gehabt, von den anderen waren schon ein paar dabei.
Ferner gewährte uns der Bibliothekar sogar einen Blick auf die Produktion.
Was in der Bibliothek zugänglich war, waren ja auch bloß Faksimiles, unsere Exemplare waren ähnlich entstanden, ebenfalls nicht von den Originalen.
Ich fragte interessiert nach bibliothekarischen Details, der Bibliothekar drehte ordentlich auf ob meines Interesses an seinem Fach, gewährte uns gar eine Führung durch ansonsten nicht zugängliche Bereiche.
Der Höhepunkt der Führung war alsdann ein besonderer Raum.
Auf Anforderung vom Bibliothekar wurden uns da unvermittelt die Originale der Trilogie gezeigt!
Das war eine tolle Überraschung.
Der betraute Roboter konnte sogar die Bücher fachgerecht aufschlagen, uns durch ein Schutzglas hindurch darin lesen lassen.
Wir waren begeistert.
Es gab die Originale also, sie waren eindeutig echt sowie alt, gut konserviert!
Auch das wollte ich ja eigentlich wissen, hätte jedoch nicht danach zu fragen gewagt.
Nun hatte ich das Gewünschte gesehen, zwar nicht für alle Werke, aber doch für eine Auswahl davon.
Insofern konnte ich etwa Agos gegenüber versichern, wenigstens diese Auswahl tatsächlich persönlich gesehen zu haben.
Wie an den Faksimiles bereits erkennbar, handelt es sich um eine eher einfache Machart, allerdings robust aus guten Materialien, dafür ohne schmückende Dekoration.
Wären die Bücher je weit verbreitet gewesen, einer Kommerzialisierung ausgesetzt gewesen, hätten die Einbände sicherlich anders ausgesehen.
Das paßte also gut zu unserem Eindruck, wie die Bücher einst in die Bibliothek gelangt waren.
Nachdem wir alle Nachdrucke hatten, blieb noch Zeit für einige Studien vor Ort. Wir sichteten insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob wir Hinweise auf weitere Werke übersehen hatten. Mit nunmehr zwei Exemplaren kamen wir mit der Gruppe gut weiter voran, sichteten ebenso jeweils nach eigenen Interessen, teils jedoch auch abgestimmt, berichteten einander über neue Entdeckungen. Insgesamt war das alles ein großer Spaß. Hinweise auf weitere Werke fanden sich nicht mehr, es wäre wohl auch ungünstig gewesen, nun noch um weitere Kopien zu bitten. Unsere anfängliche Recherche war also gut genug gewesen, wir hatten, wonach es uns gelüstete.
Allerdings ging die vorlesungsfreie Zeit allmählich dem Ende entgegen. Nun war das Schiff der Studenten deutlich weniger gut ausgestattet als meines. Daher beschlossen wir einen kleinen Konvoi zu bilden. Also, das kleine unter den drei Schiffen fand sowieso einen Platz im zweiten der Studenten. Mein Schiff konnte für beide die Rechnungen übernehmen, die konkrete Auswahl einer passenden Transformation für beide Schiffe. Wir flogen also ab. Mit der Ausstattung meines Schiffes sowie meiner Erfahrung kamen wir zügig voran.
Angekommen sprachen wir uns ab.
Es blieb noch Zeit genug für weitere Studien vor Vorlesungsbeginn, also meldete ich uns kurzerhand bei Agos an.
Dieser begrüßte uns kurz darauf schon erfreut in seinen eigenen Dienstgemächern.
Ich stellte also vor.
Auf den Vorfall der Sonnenspringerei ging er bloß kurz mit gehobenem Zeigefinger ein, sogar ein wenig schmunzelnd, gleichwohl mahnend, die Schüler sollten sich an das von mir abgerungene Versprechen halten, derartigen Schabernack in Zukunft zu unterlassen – auch bei Sonnen in unbewohnten, damit unbeobachteten Regionen.
Derlei Mutproben seien Unfug.
Hier müsse kein Raumfahrer seinen Mut beweisen.
Der Alltag als Raumfahrer halte genug Herausforderungen bereit, da sei es unnötig, zusätzliche Firlefänzchen in der vorlesungsfreien Zeit zu veranstalten.
Die Schüler akzeptierten, womit die Angelegenheit auch für Agos erledigt war.
Ich berichtete hernach also über die Entdeckung der Studenten, unsere weitergehenden Recherchen.
Agos zeigte sich interessiert an den Ausführungen.
Ich wies auf die Quellenlage hin.
Daraufhin meinte er, er müsse sich alles genauer ansehen.
Immerhin, wenn ich den Eindruck hätte, daß es echt sein könne, läge mit Larisa Walnic ja bereits eine zweite Quelle vor, welche über die Zeit vor der Ankunft berichten würde.
Es trat ein Moment Stille ein, ich fragte nach, wieso zweite Quelle?
Agos neigte den Kopf, Mythen über die Vorzeit habe es ja bereits länger gegeben, aber letztlich wenige nachvollziehbare Hinweise.
In einer Zivilisation hätte sich allerdings in alten Archiven immerhin eine wohl zuverlässige Quelle gefunden.
Man habe das allerdings nie an die große Glocke gehängt, denn eine Quelle sei eben nicht viel, wie ich ja auch bereits angemerkt hätte.
Mit einer zweiten, komplett unabhängigen von Satniva sei die Lage nun schon etwas stabiler, zumal, nach meinen Schilderungen einige Übereinstimmungen vorlägen.
Ebenso sei die Geheimnistuerei, das Verdrängen oder Vergessen als Mehrheitswunsch eine weitere Übereinstimmung.
Dies Verhalten könne über zahlreiche Quellen in verschiedenen Zivilisationen nachvollzogen werden, viel mehr indes zumeist leider nicht.
Nach meinen Zusammenfassungen könne nun vermutlich besser eingeordnet werden, wieso man habe vergessen wollen.
Heute könne man natürlich offener damit umgehen.
Wenn unsere Ahnen wirklich mit den Generationenschiffen in diese Galaxie gekommen seien, wäre dies eine spektakuläre Historie, ebenso die Fragmente über die Gründe des Aufbruchs aus der anderen Galaxis, all das sei in der anderen Quelle nicht klar benannt.
Da habe mehr Bedarf bestanden, etwas zu verschleiern, es sei also nicht klar, wann wo aufgebrochen wurde, daß es die Transformationstechnik bereits gegeben habe, woher man sie habe.
Wir sollten also in den nächsten Wochen genau vergleichen, analysieren, ob die in beiden Quellen übereinstimmenden Informationsbereiche passen würden oder ob es nennenswerte Widersprüche miteinander gebe.
So könnten wir uns allmählich ein Urteil bilden.
Die Form als gedruckte Bücher wunderte Agos hingegen nicht.
Obwohl wir ja auch andere Formen der Bewahrungen in Datenbanken kennen, ist ein gedrucktes Werk eben doch sehr beständig, in der Verbreitung besser kontrollierbar, unabhängig von veränderlicher Technik verfügbar, wenig anfällig für die Verwendung von Formaten, welche spezifisch für die jeweilige Zivilisation wären.
Datenbanken mit immateriellen Informationen unterlägen ja immer gewissen Moden, wie etwas gespeichert werde, da seien klassische Bücher deutlich stabiler.
Zwar sei auch die Papierform gegen gewisse Einflüsse anfällig, im Grunde aber auch nicht mehr als die Speichermedien vom elektronischen Typ.
Satniva ist ja ohnehin bekannt über seine Zurückhaltung gegenüber Informationsverbreitung ohne weiteren Kontext, insofern war Agos schon beeindruckt, daß wir die gedruckten Faksimiles erhalten hatten, selbst für belletristische Werke ein interessanter Vorgang, ein weiteres Symbol zaghafter Öffnung durch Satnivas Rat gegenüber der Gemeinschaft.
Dort tat sich also allmählich etwas.
Im Grunde mußten sich die Schüler oder Studenten auf das nächste Semester vorbereiten, folglich blieb der größte Teil der weiteren Arbeit an Agos und mir hängen. Wir vereinbarten jedoch einen gemeinsamen abendlichen Austausch über die Erkenntnisse des jeweiligen Tages. Dies war ferner auch bedingt durch den Sachverhalt der Unikate, zudem ebenso durch das Problem, daß die andere Quelle hier in der Bibliothek gleichfalls nicht allgemein zugänglich war. Zwar hätte Agos da schon etwas herausholen können, zunächst wollten wir allerdings möglichst unauffällig agieren, also erst einmal ohne die Studenten eine Grundlage legen.
Agos war einerseits sehr interessiert, zügig selbst die Bücher ausgiebig durchzugehen, hatte andererseits allerdings noch einen Termin, trotz vorlesungsfreier Zeit. So kamen wir schon für diesen Tag überein, daß die Studenten sich schon einmal wieder einrichten sollten, Agos würde mir Zugang zur ersten Quelle geben, samt ein paar Hinweisen für erste Recherchen. Er würde allerdings erst später zu mir stoßen. Abends wären die Studenten alsdann zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen, um mitzudiskutieren, was ich bis dahin herausgefunden hätte, was Agos nach der kurzen Zeit zu den Büchern zu sagen hätte. Damit waren wir alle einverstanden.
Nach dem Abschied von den Studenten zogen Agos und ich mit dem Beutel Bücher los zu unserer Hauptbibliothek, beziehungsweise einem größeren Nebengebäude davon.
In dem Nebengebäude war ich noch nie, Agos war hier bekannt, er machte den Einlaß für mich klar, die Bücher wurden als zu mir gehörig registriert, für Studienzwecke abgesegnet.
Agos erläuterte unser Anliegen.
Daraufhin gab es zunächst eine kurze Diskussion mit anschließender Aktivität des Personals.
Ein extra herbeigerufener Bibliothekar führte uns alsdann auf langen Wegen zu einer bis dahin verschlossenen Tür.
Dort erläuterte er uns den Einlaß, also eigentlich war dies bloß ein Signalgeber nach einer bestimmten Tastenkombination.
Danach würde jemand von innen öffnen.
Dieser Bibliothekar konnte selbst öffnen, also traten wir ein in diesen für die Allgemeinheit geschlossenen Bereich.
Agos kommentierte: Zumeist historische Dokumente mit zweifelhafter Quellenlage oder antike Originale samt Faksimiles davon gedruckt oder auch in der Datenbank.
Geradezu weggeschlossen sei das alles mitnichten, allerdings könne aus restauratorischen Gründen sowieso kaum jemand auf die Originale zugreifen.
Bei Werken insbesondere mit zweifelhaftem Inhalt sei man allerdings etwas besorgt über gänzlich unkontrollierte Verbreitung, eine Frage der Abwägung gegenüber dem Wert des freien Austauschs von Informationen sowie Meinungen.
Er persönlich sei eigentlich für einen freieren Umgang, alles sei letztlich ein Kompromiß.
Die Mehrheitsmeinung sei, man solle die Bevölkerung besser vor fragwürdigen Dokumenten schützen, welche eventuell gar nicht authentisch die Zeit der Urahnen beschreiben würden.
Die Minderheitsmeinung sei, daß es dazu keinen Grund gäbe, die Leute selber beurteilen lernen müßten, wie Literatur einzuordnen sei, insbesondere in Bezug auf das Jetzt.
Ich war auch eindeutig eher für einen offenen Umgang, bekundete dies, Agos nickte.
Er meinte, es sei vielleicht eine Frage der Zeit, bis es jedenfalls in der zentralen Organisation der Gemeinschaft der Zivilisationen diesbezüglich einen Meinungsumschwung gäbe.
Dazu könnte natürlich eine weitere solide Quelle beitragen.
Ich nickte einverstanden.
Wir würden uns kümmern.
Wir ließen uns die Kopien der fraglichen Quelle heraussuchen.
Die Quelle stammte aus der Zivilisation Seps.
Agos hatte noch etwas Zeit.
Er berichtete mir schon einmal kurz, das seien sachliche Berichte von historisch belegten Personen, allerdings eher inoffiziell, ebenso eine Minderheitsmeinung.
In der damaligen Zeit sei man in Seps damit allerdings ziemlich liberal umgegangen.
Insgesamt seien diese Berichte somit lediglich in der Menge an Literatur mehr oder weniger untergegangen.
Es habe schlichtweg kaum jemanden interessiert, bis man von ein paar Jahrzehnten eher zufällig darauf gestoßen sei.
Heute sei man der Historie gegenüber viel aufgeschlossener als damals, wo offenbar viele Leute das Bedürfnis hatten, an die Reisezeit nicht erinnert zu werden, eventuell also auch daher dieser Abwehrreflex gegen jegliche Literatur aus dieser Zeit, welche im Rückblick damit etwas wie Agonie nach dem Exil wirke.
Nun, vermutlich sei ja mit dem Aufbruch, der Reise ein kollektives Trauma verbunden gewesen.
Daher mochte es in der Tat Generationen dauern, um dies wieder aufzulösen.
Agos faßte kurz zusammen, bei den fraglichen Berichten ginge es teils um welche aus der Zeit nach der Ankunft auf Seps, somit für unsere Recherche eher weniger interessant, dazu wären allerdings auch einige Berichte von der Reise vorhanden, zurück bis zu einer Zeit vor der Teilung in verschiedene Missionen.
In dieser Zeit einer gemeinsamen Reise könnte es also einen Überlapp mit meiner Quelle geben, womit sich belegen ließe, daß beide Quellen über reale Ereignissen berichten, also eine gemeinsame Basis haben, wenn sie die gleichen Geschehnisse beschrieben.
Das war also nun meine erste Aufgabe.
Agos mußte indes erst einmal wieder los zu seinem Termin, überließ mir die Sichtung der für mich neuen Quelle, eventuell die Eruierung erster Querverweise, Überlappungen.
Die konkrete Datierung von Ereignissen irgendwo in der Galaxis indes, bei unseren Werken ja sogar darüber hinaus, ist nicht ganz trivial.
Über derart lange Zeiträume wurden unterschiedliche Kalender verwendet, lokale Eigenzeiten für jede Zivilisation, meist beginnend mit der Ankunft.
Nun konnte schon lange mit Atomuhren, Atomkernuhren, Ionenuhren und ähnlichen Geräten ziemlich präzise die lokale Zeit oder Eigenzeit gemessen werden, ein lokaler Kalender etabliert werden.
Als die Zivilisationen wieder Kontakt miteinander hatten, war unterdessen reichlich Zeit vergangen, es bestand Bedarf, die lokalen Zeiten miteinander abzugleichen.
Wegen Relativistik sowie gravitativer Raumzeitkrümmung laufen lokale Uhren nun immer anders.
Insofern bestand spätestens mit Gründung der galaktischen Gemeinschaft Bedarf an einer gemeinsamen galaktischen Standardzeit.
Diese wurde nun eher als Konzept definiert.
Sie bezieht sich auf eine gedacht flache Raumzeit, also ohne Dellen durch Massen.
Dabei dient wiederum das galaktische Zentrum als Bezugspunkt für Bewegungen.
Über Peilsender, Spektren von Atomen wie Molekülen lassen sich nun über weite Entfernungen Bewegungen, Raumzeitkrümmungen vermessen.
Ferner gibt es Pulsare als Referenzen mit bekanntem Frequenzverlauf.
Insgesamt läßt sich damit ausgehend von einer lokalen Zeitmessung durch entsprechende Korrekturen die galaktische Standardzeit bestimmen.
Damit wiederum lassen sich Ereignisse datieren oder unterschiedliche Kalender aufeinander abbilden.
Insofern ist insbesondere relativ genau bestimmbar, wann welche Zivilisation jeweils angekommen ist.
Da gibt es lediglich wenige Ausnahmen, bei denen historisch datierte Informationen etwa durch Naturkatastrophen oder Revolutionen, mutwillige Geschichtsbereinigungen verlorengingen.
Selbst für diese Zivilisationen gab es aus archäologischen Untersuchungen inzwischen Daten, mindestens auf ein paar Jahre genau.
Daraus war zu schließen, daß die Zivilisationen über einen Zeitraum von gut hundert Jahren an ihren Standorten eingetroffen waren.
Vermutlich mußten einige erst nach einer geeigneten Welt suchen, einige Kandidaten nacheinander abfahren, aus der Nähe untersuchen, andere hatten mehr Glück, landeten gleich einen Treffer.
Aus Larisa Walnics Berichten wußte ich nun schon, daß die Trennung der Generationenschiffe in einem einzigen relativ kleinen Zeitfenster, also innerhalb weniger Tage erfolgt war.
Berücksichtigt man die Größe der Galaxis, ist ein Zeitraum von hundert Jahren nicht besonders viel.
Wäre die Besiedlung von einer Welt in dieser Galaxis aus erfolgt oder wären die Schiffe von der Seite aus in die Galaxis vorgestoßen, wäre vermutlich eine Verteilung über einen größeren Zeitraum erfolgt.
In einer Zeit ohne Transformationstechnik wäre eher von einer Ausbreitung über Jahrtausende auszugehen gewesen.
Bei einer Verteilung über eine ganze Galaxie muß also etwas wie Transformationstechnik eine Rolle spielen.
Die kurze Zeitspanne der Besiedlung stützte also die These, daß die Besiedlung von außen erfolgt war, vermutlich sogar ungefähr aus einer Richtung grob senkrecht zur Hauptebene der Galaxis.
Würde dies stimmen, könnten wir daraus eventuell sogar grobe Rückschlüsse ziehen, von welcher Galaxis die Menschen einst gekommen waren.
Immerhin sollte es ja eine benachbarte Galaxis sein, keine weit entfernte, das hätte die Generationenschiffe dann doch trotz Transformation endgültig überfordert.
Hinsichtlich der Kalender spekulierte ich, wäre in der Reisezeit ein gemeinsamer verwendet worden, welcher vermutlich beibehalten worden war bis zur Ankunft der jeweiligen Zivilisation.
Ich suchte in der Hinsicht in den beiden Quellen nach Ereignissen, insbesondere jenem der Trennung in Einzelschiffe.
Mit der Annäherung an die Massenverteilungen der Galaxis würden die Zeiten der einzelnen Schiffe ohne Korrekturen allmählich auseinanderlaufen.
Da gab es allerdings ohnehin keine gemeinsamen Ereignisse mehr, allenfalls noch kosmologische wie die Beobachtung von Supernovae oder ähnlich dramatischen Zeitmarken.
Diese Einträge zu finden, wäre allerdings mühsamer, eventuell im Kontext dieser Berichte leider auch gar nicht vermerkt, denn in den Berichten lag der Fokus auf sozialen Ereignissen.
Kosmologische Phänomene spielen dabei gemeinhin bloß eine Rolle, wenn sie dramatischen Einfluß auf soziale Entwicklungen hatten.
Die Trennung war jedoch ein derart zentrales soziales Ereignis, daß ich hoffte, darüber etwas in beiden Quellen zu finden, was mit irgendeinem Datum versehen ist.
Also suchte ich danach.
In der Tat wurde ich in beiden Quellen fündig.
Es wurde dasselbe Datum genannt.
Ebenso paßten die Schilderungen von ein paar Ereignissen davor ganz gut überein.
Zudem wurden übereinstimmend maßgebliche Personen mit Namen genannt.
Die beiden Quellen beschrieben also wirklich dasselbe Ereignis!
Nun ist Seps eine ganz andere Kultur als Satniva, Larisa Walnic hatte nichts mit der Autorengruppe der ersten Quelle zu tun.
Das war also ein Volltreffer!
Das war keine Fiktion, es war wirklich eine Spur in unsere verlorene Vergangenheit!
Ich suchte und verglich weiter zurück. Beide Quellen enthielten Berichte über Ereignisse, welche in der jeweils andere Quelle nicht erwähnt waren. Es gab allerdings auch Ereignisse, welche in beiden Quellen mit verschiedener Sichtweise geschildert wurden. Vor der eigentlichen Trennung gab es bereits mehr oder weniger klare Aufteilungen in Gruppen, welche den späteren Raumschiffen nach der Trennung entsprachen. Insofern gab es bereits vor der Trennung verschiedene Schwerpunkte, Anlässe über Ereignisse zu berichten, wobei diese wiederum für die andere Gruppe oft ziemlich belanglos waren, demzufolge nicht erwähnenswert oder auch nur bekannt. Es gab jedoch auch Ereignisse, welche für alle interessant waren, insbesondere die Absprachen zur endgültigen Aufteilung, Trennung, Wahlen zu Räten für die gesamte Mission, Verteilungstreitigkeiten um ein paar knappe Ressourcen. Das war nun extrem wertvoll, um weiter zu verifizieren, daß die Quellen über reale Ereignisse berichteten, man also davon ausgehen kann, daß sie insgesamt authentisch sind. Ich war fasziniert.
Inzwischen war es bereits spät, Agos würde bald von seinem Termin zurückkehren. Ich schaute also weiter zurück in den Berichten. Bei Larisa Walnic fand sich deutlich mehr über die Zeit des Aufbruchs, die Zeit davor. Da fand sich in der anderen Quelle wenig, dafür allerdings einige Verzeichnisse mit Quellenverweisen.
Als Agos zu mir kam, hatte ich noch keine Anknüpfung des Reisekalenders an unseren galaktischen Zeitstandard hinbekommen, geschweige denn auch nur eine grobe Zeitvorstellung für die Berichte aus der Zeit vor dem Aufbruch. Immerhin konnte ich meine Funde vorzeigen, welche belegen, daß in der Reisezeit beide Quellen dieselben zentralen Ereignisse aus unterschiedlichen Sichtweisen beschreiben. Darüber war Agos schon einmal sehr erfreut. Wir stimmten darin überein, daß dies die signifikanten Indizien für die Echtheit sind. Wir stöberten noch etwas weiter. Die Bücher von Satniva konnten wir ja wieder mitnehmen, wenn hier Feierabend wäre, die von Seps waren ja Präsenzexemplare, welche die Bibliothek nicht verlassen würden. Also konzentrierten wir uns darauf, daß Agos, welcher ja mit der Seps-Quelle vertrauter war, mir daraus einiges zeigte. Ich hatte in der kurzen Zeit ja bloß auszugsweise lesen können.
Irgendwann machte die Bibliothek für den Tag auch zu, ferner hatten wir uns ja mit den Studenten verabredet. Also einigten wir uns mit dem für den Bereich zuständigen Bibliothekar, daß unsere Ecke unangetastet bliebe, wir den nächsten Tag gleich weitermachen könnten. Danach zogen wir mit meinen Notizen sowie den Büchern von Satniva los.
Rechtzeitig waren wir bei Agos, kurz darauf trafen die Studenten ein.
Ich berichtete über meine Entdeckungen.
Die Studenten waren ebenfalls fasziniert, daß die beiden Quellen gute Übereinstimmungen hatten.
Sie waren also auf der richtigen Spur gewesen.
Den Rest des Abends spekulierten wir weiter, machten Notizen.
Wir halfen Agos ferner, sich besser in der Satniva-Quelle zurechtzufinden, was ja notwendig war, weil die Berichte in den belletristischen Rahmenhandlungen gekapselt sind.
Er fand sich schnell zurecht.
Zudem hatte er die Zeit vor und nach seinem Termin genutzt, um sich die nächsten Tage nahezu freizuschaufeln.
Bis Vorlesungsbeginn war noch etwas Zeit, insofern konnten wir gemeinsam intensiv forschen.
Agos überlegte sich, es wäre für die Studenten schon einmal ganz nützlich, sich grob mit der Geschichte von Seps vertraut zu machen, dann wäre es vermutlich einfacher, den Diskussionen zu folgen.
Gelegentlich wären Teile der Berichte besser im Kontext zu verstehen, wie dies eventuell auch bei den Berichten von Larisa Walnic der Fall war.
Das war nachvollziehbar, also wollten sich die Studenten im öffentlichen Bereich der Bibliothek erst einmal einlesen.
Bylobus und Nueva kannten sich nun mit Satnivas Geschichte aus, mit jener von Seps mitnichten, die anderen Studenten im Grunde mit beidem nicht, insofern wollten sie alles gemeinsam angehen, sich gegenseitig unterstützen.
Die nächsten Tage arbeiteten wir uns also weiter ein in die Quellen.
Agos konnte schnell einen Bezug zwischen dem lokalen Kalender von Seps und der Reisezeit herstellen.
Darüber bekamen wir ein Datum in galaktischer Standardzeit für die Trennung heraus.
Entsprechend hatten wir schnell eine Umrechenformel von Reisezeit zu galaktischer Standardzeit entwickelt.
Bei den Berichten von Larisa Walnic hatten wir damit ebenfalls die Zeitskala der Reise auf galaktische Standardzeit abgebildet.
Dort gab es wiederum noch einen Kalender für die Zeit zwischen Trennung und Ankunft.
Danach gab es wiederum lokale Kalender von Satniva, also eine etwas kniffligere Aufgabe.
Nun, wir bekamen es ungefähr hin.
Es kam ja für die Zwischenzeit auch nicht darauf an, alles auf den Tag oder auch nur den Monat genau zu bestimmen.
Die Zeit vor der Abreise des Generationenraumschiffes aus der anderen Galaxis blieb diffus.
Die Berichte waren nicht so ausgelegt, daß sie Kalender genau erklärt hätten.
Als die Ereignisse stattfanden, war man mit dem jeweiligen Kalender vertraut, eventuell noch ebenso mit jenem, welcher zuvor verwendet wurde.
Insofern gab es bei dem Typ von Texten keinen Anlaß, Daten in zwei Kalendern zu notieren.
Leider fand sich auch kein fixes Ereignis aus der fernen Zeit, welches in den verschiedenen Quellen mit unterschiedlichen Kalendern zeitlich festgelegt worden wäre.
Von daher wußten wir letztlich ziemlich genau die Reisezeit des Generationenraumschiffes samt zentraler Ereignisse.
Aus der Zeit hatten wir einige Berichte aus beiden Quellen aus verschiedenen Sichtweisen zu denselben Ereignissen, ebenso deutlich mehr Berichte zu Ereignissen, welche lediglich in einer Quelle erwähnt werden.
Die waren nun an sich nicht unplausibler als jene, welche in beiden Quellen erwähnt wurden.
Insgesamt ergab sich so ein grobes Bild von der Reise.
Die Chronologie der Reise war offenbar noch gut geführt worden, daß die Autoren aus beiden Quellen auch sicher über Ereignisse vor ihrer Zeit berichten konnten.
Die Reisechronisten hatten wiederum keinen Auftrag, über die Zeit vor dem Aufbruch zu berichten.
Informationen darüber basierten also zwangsläufig auf anderen Quellen.
Wegen der Tendenz, mit der Vergangenheit in der anderen Galaxis abzuschließen, waren Chronologien über die Zeit sowie die Zivilisationen vor dem Aufbruch wiederum wohl nicht präsent, allgemein verfügbar.
Dünner wurde es folglich bereits für den Zeitraum, in welchem wohl zwei große Generationenraumschiffe in der anderen Galaxis unterwegs gewesen waren, von denen dann eines angegriffen sowie vernichtet worden war, woraufhin das andere hinaus in den freien Raum, letztlich in unsere Galaxis geflohen war. Immerhin, zu diesem zentralen Ereignis der Trennung, dem Entschluß zur Flucht fand sich auch noch etwas in beiden Quellen. In der Seps-Quelle wurde das bloß wenig detailliert erwähnt, das reichte allerdings, um die ausführlicheren Informationen von Larisa Walnic abzusichern.
Die Zeit vor den Generationenraumschiffen wurde nahezu ausschließlich von Larisa Walnic beschrieben, da war sie nun auch längst nicht mehr die Primärquelle.
Sie berichtete also zwangsläufig über Ereignisse vor ihrer eigenen Geburt.
Bei den Ereignissen vor dem Aufbruch der Generationenraumschiffe griff ferner auch nicht mehr die damals noch vorhandene Chronologie, welche später, spätestens wohl bei der Ankunft der Zivilisationen entsorgt worden war, denn davon fand sich bei keiner Zivilisation etwas.
Es gab indes in beiden Quellen Berichte über die Entscheidung noch vor der Trennung, mit der Ankunft möglichst mit der Vergangenheit zu brechen.
Dies war wohl auch der Auslöser für die Autoren, ihre eigenen Berichte zu schreiben, um wenigstens zentrale historische Ereignisse irgendwie in unsere Zeit zu retten.
Dies Ansinnen stieß nun eindeutig an seine Grenzen bei der Zeit vor der Reise der Generationenraumschiffe.
Die Berichte hatten eher Ähnlichkeit mit Mythen oder Legenden, waren zwar wie der Rest aufgrund des identischen Stils durchaus plausibel, paßten schlüssig zur geschilderten Gesamtentwicklung.
Wir fanden jedoch keinen Ansatz, etwas konkret zu datieren.
Über diese Ereignisse wurde meist aus einem konkreten Anlaß berichtet, weil sie Einfluß auf Diskussionen oder Entscheidungen während der Reise hatten.
In der Reisezeit war die Historie vor dem Aufbruch demnach schon noch irgendwie präsent, wenigstens als Mythen oder Legenden, auf welche man sich gelegentlich noch argumentativ bezog.
Aufgrund der nun festgelegten Zeitachse für die Reise des Generationenraumschiffes, der vermuteten groben Richtung der Reise, einzelner Anhaltspunkte hatten wir letztlich eine Galaxis als konkreten Verdachtsfall, woher die Menschheit gekommen war. Eine weitere konnten wir allerdings auch nicht ausschließen, diese war allerdings weniger plausibel, bei dieser hätte die zeitliche Verteilung der Berichte deutlich unwahrscheinlicher sein müssen, denn sie hatte einen anderen Abstand. Es waren in den Berichten ja längst nicht alle Transformationen verzeichnet, alles blieb für uns also Schätzung. Eine Galaxis schien uns wahrscheinlich, die andere immerhin noch möglich. Das war deutlich mehr, als wir uns hatten zu Beginn ausmalen können.
Kurz bevor abends wieder die Studenten eintrafen, meinte Agos: „Gnor, da haben die Studenten wirklich einen grandiosen Fund gemacht.
Wir wissen mehr.“
Ich erwiderte: „Ja.
Unterdessen habe ich mich gefragt, ob in Larisa Walnics Werken noch mehr stecken könnte.
Immerhin habe ich ja in dem letzten Band die Liste der Berichte in einem Rätsel entschlüsseln können.
Es gibt allerdings noch mehr Rätsel in den belletristischen Passagen …“
Agos nickte sinnierend: „Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.
Zwar ist unklar, worauf da noch etwas verweisen könnte, denn mehr als die Berichte, die Belletristik, die Rätsel stecken ja nicht drin.
Allerdings ist mir in den belletristischen Passagen aufgefallen, daß einige Formulierungen grammatikalisch oder auch inhaltlich gewagt erscheinen, teils einen eigenartig psychedelischen, impressionistischen Eindruck machen, während die davor oder danach deutlich flüssiger geschrieben sind.
Wenn da noch etwas verschlüsselt wäre?“
„Was ist dein Vorschlag?“, fragte ich nach.
„Wenn dich Studenten mögen, dachte ich mir, ich könnte mich morgen mit ihnen gemeinsam an die Rätsel und Larisa Walnics Werke setzen, hoffentlich finden wir etwas heraus.
Du könntest indessen wieder einen Tag in der Bibliothek verbringen, dich allein sowie ungestört weiter mit der Seps-Quelle vertraut machen.
Es ging für dich also dabei eher um eine Vertiefung, diesmal nicht um einen Vergleich der beiden Quellen.
So bekommst du einen unabhängigen Eindruck davon, wie die Quelle alleine auf dich wirkt!“, schlug Agos vor.
Ich war einverstanden.
Auch die Studenten waren erfreut über den Vorschlag, waren sie so doch wieder stärker in die Recherche eingebunden, hatten mehr davon als bloß unsere Berichte.
Nueva fragte indes interessiert nach, ob es nicht auch einmal für sie möglich sei, in die Seps-Quelle zu schauen.
Agos wiegte den Kopf, meinte: „Ich will es versuchen, daß du morgen Gnor begleiten kannst.
Dieser hat ja bereits Zugang, für dich werde ich eine Anmeldung als seine Begleitung, meine Vertretung einreichen, klappt hoffentlich.“
Tatsächlich funktionierte dies zeitnah den nächsten Morgen. In der Frühe bekamen Nueva und ich die Nachricht von Agos, daß er Nueva erfolgreich angemeldet habe. Wir verabredeten ein Treffen vor dem Bibliotheksnebengebäude. Es klappte, als meine Begleitung konnte sie problemlos mitkommen. Somit konnten nun wir zwei die Seps-Quelle studieren, die anderen kümmerten sich den Tag um die Entschlüsselung der Rätsel.
Abends trafen wir uns wieder.
Für Nueva und mich war es an sich ein ruhiger Tag gewesen.
Wir hatten uns in die Seps-Quelle vertieft, Notizen gemacht.
Die anderen hatten in der Tat Rätsel geknackt.
Beim einfachsten kam zutage, daß tatsächlich Larisa Walnic mit pseudonymen Anagrammen gearbeitet hatte.
Insofern war sie als historische Quelle damit sicher.
Jedenfalls für die Zeit um die Ankunft herum war sie Zeitzeugin.
Bei einem komplizierteren Rätsel hatten sie herausgefunden, daß Larisa Walnic bei den Berichten sogar genaue Quellen angegeben hatte, sofern sie diese übernommen hatte und ihr bekannt waren.
Vermutlich waren diese längst nicht mehr alle verfügbar.
Ein solides Quellenverzeichnis ist aber wiederum ein Hinweis auf sorgfältige Arbeit samt dem Bemühen, Belege zu geben, alles möglichst nachvollziehbar zu gestalten.
Wo sie keine eindeutigen Quellen angeben konnte, gab es ebenfalls eindeutige Kennzeichnungen als fragwürdige Quelle, Mythos oder Legende, wiederum mit grober Herkunftsangabe.
Nun sind Personennamen aus der Zeit nicht unbedingt einfach nachvollziehbar.
Immerhin konnte Bylobus zwei Namen aus den Gründertagen von Satniva bestätigen.
Bei ein paar anderen Namen meinte sich Agos zu erinnern, jedenfalls hatte er eine Liste zusammengestellt, um den nächsten Tag in der Seps-Quelle, anderen Registern suchen zu können.
Bei einem weiteren Rätsel hatten sie den meisten Aufwand betrieben.
Sie meinten, es geknackt zu haben.
Demnach hätten sie damit Schlüssel, um aus den eher impressionistischen Textstellen weitere Berichte zu extrahieren.
Damit hatten sie allerdings gerade erst begonnen.
Die Information eines Berichtes war dabei auf derartige Textstellen in verschiedenen Bänden verteilt.
Die ältesten Berichte sollten danach in den neuesten beiden Bänden versteckt sein.
Bei der Trilogie war die Information pro Bericht jeweils auf die drei Werke verteilt, bei den restlichen Werken gab es kompliziertere Verknüpfungen.
Daraus schlossen wir, daß Larisa Walnic stufenweise vorgegangen war, also nach Abschluß der Trilogie wohl die anderen Werke zusammenhängend realisiert hatte, also bis auf die beiden jüngsten, diese wiederum mit ihren Rätsel-Schlüsseln sowie den alten Berichten zum Schluß.
Weil sie wiederum zahlreiche Quellen angegeben hatte, hatte sie keineswegs alles aus dem Gedächtnis verfaßt, ihr wenigstens mußten diese Quellen verfügbar gewesen sein.
Eventuell fanden sich diese noch gut verschlossen in irgendwelchen geheimen Archiven auf Satniva?
Das war jedenfalls eine große Leistung von ihr gewesen, die Informationen derart geschickt zu verbergen.
Das zeigte uns aber einmal mehr, wie stark der Drang der Mehrheit damals gewesen sein mußte, nach der Ankunft die Vergangenheit möglichst komplett zu verdrängen oder zu verlieren.
Wir hofften allerdings darauf, daß sie entsprechende Quellen lediglich sehr gut weggeschlossen hatten.
Es ist doch eine schlimme Tat, Werke zu vernichten.
Ein Bibliothekar hebt an sich auf, schließt allenfalls gut weg, was nicht mehr publik sein soll.
Ein anderes Thema brachte Nueva mit einer Frage auf, wie es nun eigentlich mit der transgalaktischen Raumfahrt stehe.
Wäre diese heute mit den verbesserten Transformationsmöglichkeiten nicht viel leichter möglich als damals?
Agos antwortete, dies sei zwar der Fall, doch bei uns gäbe es ja nicht diesen unbedingten Drang, einer großen Not entfliehen zu müssen.
Weil es wiederum nun keine weitere Ankunft aus einer anderen Galaxis gegeben habe, wäre dies wohl ein Indiz, daß sich die Umstände dort dramatisch verändert hätten.
Ich verwies gleich auf den Bericht der Beobachtung eines wahrscheinlich gigantischen galaktischen Krieges dort, vermutlich mit totaler Vernichtung von Zivilisationen.
Hätte sich die Menschheit dort komplett ausgelöscht oder auch bloß in die Urzeit zurückgebombt, sei dort vermutlich die Transformationstechnik verloren, welche ja gemäß der Berichte nicht von Menschen entwickelt oder bislang komplett verstanden sei.
Insofern sei es plausibel, daß niemand mehr nachgekommen sei.
Agos führte weiter aus, unsere Galaxis sei ja groß, die Zivilisationen breit verteilt, insofern bestehe keinerlei Not zu großen Sprüngen in andere Galaxien.
Der Reiz sei gewiß da.
Wenn es auch keine Generationenraumschiffe mehr benötigen würde, wären Reisende doch noch immer lange unterwegs.
Eine Flucht ohne Rückkehr sei damals plausibel gewesen.
Für uns heute wäre es ja allenfalls Forscherdrang, welchem wir einen Großteil unseres Lebens widmen müßten, bevor wir wieder in der Heimat wären.
Nach der Ankunft habe sich zudem in den neuen Gründungen die Ansicht tief verwurzelt, sich auf die eigene Umgebung zu konzentrieren, zunächst also die eigene Zivilisation, wie das ja etwa im Falle von Satniva noch immer mehr oder weniger der Fall sei.
Aber auch sonst habe man sich mit der galaktischen Gemeinschaft bislang weitgehend auf Pläne konzentriert, in dieser Galaxis klarzukommen, wenn man auch vollmundig inzwischen von universalen Abkommen spreche, ohne doch noch Zivilisationen in anderen Galaxien überhaupt zu kennen.
Immerhin gäbe es nun mit den Quellen Belege dafür, daß wir selbst nicht aus dieser Galaxis stammten, es in unserer Urgalaxis mindestens noch eine andere Spezies gegeben habe, welche intelligent genug gewesen sei, um die Transformationstechnik zu erfinden.
Eventuell würden die Dinge also nun in Fluß kommen.
Sei die verlorene Vergangenheit als Phänomen erst einmal überwunden, wäre es ja nicht mehr aus der Welt, den anderen Galaxien mehr Aufmerksamkeit zu schenken, wenn Besuche auch zeitlich sehr anspruchsvoll ausfallen würden.
Damit war Nueva zufrieden.
Die Tage bis Vorlesungsbeginn konnten wir noch weiter in wechselnder Besetzung nutzen, um uns in die Quellen zu vertiefen.
Ich blieb zunächst dabei, in der Bibliothek die Seps-Quelle zu studieren.
Dabei begleitete mich je ein Student.
Die anderen vertieften sich unterdessen zusammen mit Agos jeweils in die Werke von Larisa Walnic.
Derart konnten sie einerseits die stark verschlüsselten Textstellen entschlüsseln, aber auch weitere Details herausarbeiten, alles neu zusammenstellen in einer unkodierten, ungekapselten chronologischen Reihenfolge.
Im Sinne der Lizenz von Satniva war dies allenfalls noch eine abhängige Bearbeitung, somit bereits ein eigenes Werk, keine Kopie mehr.
Einfach so veröffentlichen wollten wir dies jedoch ohnehin nicht.
Mit Beginn der Vorlesungszeit waren Agos, ich und die Studenten schon mit beiden Quellen gut vertraut. Ich selbst hatte ja keine Vorlesungen zu halten, Agos durchaus. Mir gelang es nun, mich mit Aufträgen außerhalb zurückzuhalten. Daher blieb primär mir reichlich Zeit, die Quellen weiter abzugleichen, unser historisches Forschungsprojekt voranzubringen. Agos beteiligte sich je nach vorhandener Zeit. Die Studenten hielten wir auf dem Laufenden.
Bis zur nächsten vorlesungsfreien Zeit waren wir weit vorangekommen. In dieser arbeiteten wir fleißig weiter an einer ausführlichen Veröffentlichung unserer historischen Funde.
Vor der Veröffentlichung berieten wir allerdings. Letztlich kamen wir überein, also Agos und ich, zunächst Satniva abermals zu besuchen. Dies geschah gegen Ende der vorlesungsfreien Zeit, Bylobus und Nueva kamen mit. Mit einem vorläufigen Bericht über unsere Funde kamen wir an, hatten einen Termin in der dortigen Bibliothek mit einigen hochrangigen Personen. Wir offenbarten unsere Studienergebnisse, ebenso unsere Überlegungen, dies nun nicht einfach so veröffentlichen zu wollen, ohne dies hier erst zu diskutieren.
Nachdem zunächst Schweigen eintrat, ging eine erste vorsichtige Wortmeldung dahin, daß Satniva sich ja ohnehin entschlossen habe, sich allmählich der Gemeinschaft gegenüber weiter zu öffnen.
Nach unseren Ausführungen sei die verlorene Vergangenheit ja im Grunde allen Zivilisationen gemein.
Wenn auf diesem Wege nun Licht in die vergessene Vergangenheit gebracht werden könnte, dazu noch mit einem derart wichtigen Beitrag von Satniva, sie dies doch im Grunde eine gute Sache, welche alle Zivilisationen näher zusammenbringen könne, wenn die gemeinsamen Wurzeln so besser herausgearbeitet werden könnten.
Immerhin sei ja denkbar, daß auf eine derartige Veröffentlichung hin noch weiter Archive sorgfältig durchsucht werden würden, um weitere Berichte, weitere Quellen für die historische Forschung zu öffnen.
Das hörte sich für uns besser an als erhofft.
Ich verwies zudem gleich auf die zahlreichen Quellenangabe von Larisa Walnic, erwähnte unsere damit verbundene Hoffnung, diese Quellen doch noch irgendwo tief verborgen in verschlossenen, vergessenen Archiven aufspüren zu können.
Das war gewagt.
Würden sie uns einen solchen Zugang je gewähren?
Selber suchen?
Daraufhin begann allerdings erst einmal eine rege Diskussion über eigene Befindlichkeiten, Meinungen zu den Öffnungsambitionen, über die Einordnung des Fundes, die Frage, ob man es nun wirklich wagen solle, sich entgegen den Vorstellungen der Gründer doch der Vergangenheit zu stellen. Das war ein reger Meinungsaustausch zwischen eher progressiven sowie konservativen Einstellungen. Ich meinte jedoch auch zu erkennen, daß die Mehrheit gelassen blieb, das kollektive Trauma der verlorenen Vergangenheit wohl bereits ähnlich wie Agos und ich überwunden hatten. Ist dies erst der Fall, ist es möglich, freier zu entscheiden.
Letztlich war man mit der Veröffentlichung einverstanden, mehr noch, man sagte zu, nun selbst in den Archiven genauer zu recherchieren, die Vergangenheit aufzuarbeiten, jene nach der Ankunft, zudem alles, was man über die Zeit davor finde, der Gemeinschaft verfügbar machen zu wollen. Insgesamt hatte man genug Selbstbewußtsein aufgebaut, um sich der Vergangenheit stellen zu wollen. Wenn dies nun auf Satniva möglich wäre, sollte dies doch auch bei den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft möglich sein.
Wir blieben also noch etwas, nahmen Teil an einer eigentümlichen Expedition in sonst nicht öffentlich zugängliche Archive, wo allerhand zu finden war, primär über die Zeit seit der Ankunft. Es fanden sich allerdings auch Indizien für Material aus der Zeit davor, offiziell und sehr gut weggeschlossen. So sind die Archivare, gibt es auch einen Beschluß, die Vergangenheit zu vergessen, so fällt es letztlich doch sehr schwer, Akten zu vernichten, man schließt sie eher weg. Das machte Hoffnung, eventuell würde es ja bei Recherchen bei den anderen Zivilisationen ähnliche Funde bei entsprechenden Expeditionen in die ältesten Sektoren von Archiven geben. Hier jedenfalls fanden sich aufgrund von allerdings eher spekulativen Hinweisen von Archivaren schon einige der Quellen, welche von Larisa Walnic genannt wurden. Eventuell war ja doch gar nicht so viel von der Vergangenheit verloren, bloß verdrängt in unzugänglichen Archiven, welche nun allmählich wieder entstaubt werden könnten.
Wir hatten also einen großen Anstoß gegeben für die Historienforschung unserer Galaxis und darüber hinaus.
In den folgenden Jahren belebte sich dieses Forschungsgebiet wirklich als Reaktion auf unsere Veröffentlichung – im Übrigen die erste wissenschaftliche für die Studenten, dabei nicht einmal auf dem Kerngebiet ihres Studienfaches Raumfahrt.
Mittlerweile gelang es überall, nach einem ersten mühsamen Sprung über den eigenen Schatten, in die Archive zu gucken, diese der Forschung zugänglich zu machen, in der gesamten Gemeinschaft Berichte zusammenzutragen, um sich ein besseres Bild zu machen.
All dies wurde nun zunehmend zur Forschung für Experten.
Uns blieb lediglich, die Szene weiter zu beobachten, Publikationen zu lesen, was man unterdessen über die Vergangenheit der Menschheit herausfand, welche dereinst ihre Zivilisationen in ihrer Ursprungsgalaxis zernichtet hatte – jedenfalls deutete darauf alles hin, was sich im Laufe der Zeit über diese sehr ferne Vergangenheit noch fand.
Die Studenten, Agos und ich hatten also wirklich etwas bewegt – von einem Zufallsfund zu einem Bekenntnis der galaktischen Gemeinschaft zur gemeinsamen Vergangenheit, welche fortan nicht mehr so verloren war.
Raumzeit, Historie, das sind alles interessante Konstruktionen.
Schon wenn man es rein naturwissenschaftlich betrachtet, wer hat diese Konzept schon bis in den Kern durchschaut?
Wir transformieren so leichthin durch die Raumzeit oder hängen auch ganz klassisch Zuhause einfach ab, genießen den Zeitvertreib – doch was bleibt an Erinnerung, persönlicher oder auch kollektiver?
Etwas jedenfalls war derart grauenhaft gewesen in der ganz alten Zeit, daß man hatte vergessen wollen.
Nun indes hatten wir genug Abstand zum Geschehen, nun wollten wir es wieder wissen.
Eine Konsequenz der endlichen Lichtgeschwindigkeit ist ferner, daß wir mit Blick auf jene Galaxie aufgrund der Entfernung ja noch in jene Vergangenheit schauen, in welcher die Zernichtung noch gar nicht stattgefunden hatte.
Da war noch niemand zu unserer Galaxis aufgebrochen.
Da mußte es jenen Planeten als Urheimat der Menschheit wohl noch gegeben haben, darauf frühe Menschen, Urmenschen, welche eventuell in den Nachthimmel schauten, in eine noch fernere Vergangenheit, darin unsere Galaxis im Bild ferner Vergangenheit lediglich allenfalls als diffuser matter Nebelfleck, unauffällig.
Da lag noch jeglicher Gedanke fern, daß dies einmal ein Blick in Richtung Zukunft der eigenen Spezies sein könnte.
Immerhin gab es in unserer Gemeinschaft bislang jedenfalls keine aktuellen Ambitionen, alle Zivilisationen im einem Endkampf zu zerknallen, damit auch keinerlei Fluchtgedanken hin zu anderen Galaxien, um auch diese noch zu verseuchen mit den doch offenbar gefährlichen Menschen.
Wir wollten weiterhin bleiben.
Dafür würden wir wachsam bleiben müssen, auf die eigene Spezies schauen.
Die galaktische Gemeinschaft ist eben eine stete Bemühung, alles zusammenzuhalten, irgendwie miteinander auszukommen, fatale Eskalationen zu vermeiden – keine einfache Aufgabe, doch die schnell lösbaren, einfachen Rätsel sind ja auch bloß als Kurzweil interessant, keine Lebensaufgabe.
So weit also zu unserem Anstoß auf diesem Gebiet.
Mittlerweile ist ja doch allerhand bekannt geworden.
Zwar wissen wir noch immer nichts über den Ursprung der Menschheit, der sogenannten Erde, doch klar ist unterdessen, daß diese einst in einer anderen Galaxie lag.
Dieser Sachverhalt wurde inzwischen weithin akzeptiert.
Aufgrund der Indizien hatte sich unterdessen eine solide Hypothese herauskristallisiert, welche Galaxis unsere Urheimat beherbergte.
Unsere Ahnen hatten eine weite Reise auf sich genommen.
Wo diese Erde einst existierte, was aus den Menschen in der anderen Galaxis wurde – nun, das könnte ja durchaus mal mit einer Expedition in jene Galaxis erforscht werden.
Das wäre ein Fall für die nächsten Generationen – für euch?