Geschrieben: 1990-01-21/28; 2021-02-07/08
Also, ich dachte mir, ich erzähle euch heute die Geschichte, wie Gnor den Idealen und der Wahrheit auf die Sprünge half, wenn euch das interessiert …
Ja, interessiert euch das jetzt?
Doch?
Dann ist es gut, hätte es euch nicht interessiert, hätte ich es auf jeden fall gelassen, denn diese Geschichte ist etwas länger sowie verwickelt, dafür aber nicht besonders wichtig und ernstzunehmen.
aber wir haben zeit, und so werde ich erzählen, da ihr mich nicht davon abhaltet …
Als Gnor wieder einmal Zuhause ist und sich in einem alten, tiefen Ohrensessel herumflegelnd, die Füße lässig auf dem freien Stück eines mit Büchern und Staub übersähten Tisches verschränkend, inmitten von Agos’ alter Bibliothek unter einer die Dunkelheit kaum durchdringenden Leselampe mit dem Schmökern in uralten Büchern beschäftigte, kam irgendwann der alte Agos herein und fragte, ob er denn nichts Sinnloseres zu tun habe, als hier den Staub der Vergangenheit aufzuwirbeln, wo die Welt doch so groß und voller erlebbarer belangloser Abenteuer sei, inzwischen sei er doch wohl alt genug, um zu wissen, daß er als großer Raumfahrer da draußen im Raum herumirren sollte, nach völlig irrelevanten Abenteuern suchend, die Welten von Tyrannei und Wissen befreiend, dafür jedoch reichlich Kurzweil verbreitend. Der Raum, das Universum müsse genutzt werden, nicht nur der Staub in der Bibliothek. Stattdessen sitze er hier herum, völlig in längst vergessene und überholte Bücher vertieft. Ob er denn nicht Lust habe, eine Kleinigkeit für ihn, beziehungsweise für eine gute Bekannte zu erledigen.
Damit hatte Agos Gnor auch schon geködert. Neue Abenteuer witternd, sprang daraufhin Gnor voller Elan auf und wirbelte dabei eine ungeheure Staubwolke auf, so daß ihn Agos hustend am Arm griff und hinausführte, dort erläuterte er weiter, eine alte Freundin von ihm läge im Sterben, ebenfalls eine große Raumfahrerin aus den alten tagen, habe sich ja nie ganz von einem Abenteuer auf einem Eisplaneten erholt; die ganze Expedition habe sich damals dort erkältet, vermutlich bei einer wilden Orgie mitten im Eis, und alle bis auf sie, die ja schon immer sehr robust gewesen sei, seien noch im selben Jahr verstorben, wisse man doch, daß es für einen Raumfahrer kaum etwas gefährlicheres als eine Erkältung gäbe, und jetzt, inzwischen alt geworden, gehe es wohl auch bald mit ihr zu Ende. Doch sie habe noch ein dringendes Anliegen, welches unbedingt noch erledigt werden müsse.
Gnor nickte, wenn er dazu in der Lage sei, werde er gerne helfen, das sei doch selbstverständlich. Folglich bewegten sie sich durch enge und verschlungene Gänge weiter, und Agos berichtete, es handele sich um die große Raumfahrerin Tamata. Die große Tamata, staunte daraufhin Gnor, eines der größten Vorbilder aller Raumfahrer, eine Legende geradezu schon, eine große Abenteurerin von der härtesten Sorte, er habe gar nicht gewußt, daß sie überhaupt noch lebe. Unterdessen treten beide auch schon in den Raum ein, in welchem sich Tamata befindet. Gnor war erstaunt, sie derart nahe zu finden, hatte er doch eine größere Reise bei Agos’ Overtüre erwartet.
Selbige Tamata, wohl noch etwas älter als der alte Weise Agos, lag sichtlich todesmüde in einem Bett und strahlte eine große Ruhe aus. Statt der Atmosphäre des Todes war so eher eine des Friedens und der Gewißheit der endgültigen Ruhe durch Nicht-Existenz zu spüren. Sie erkannte die Hereintretenden, begrüßte Agos und spracht leise, auch Gnor erkennend, daß das doch Agos’ Schüler Gnor sei, inzwischen gleichfalls längst ein großer Raumfahrer, es freue sie, daß Agos einen derart qualifizierten Boten so schnell habe finden können, sie sei sicher, Gnor sei genau der Richtige, um damit fertigzuwerden, außerdem habe doch auch er, wie sein Ruf sei, so manches Liebesabenteuer auf seinen Reisen gehabt, so daß ihr von seiner Seite auch sicher irgendwelche lächerlichen Moralpredigten erspart blieben. Besser habe Agos es also wirklich nicht treffen können für diesen äußerst delikaten Auftrag. Sie wolle kurz erklären, um was es gehe.
In ihrer Jugend schon habe sie den großen Gmuzmul gekannt, den berühmten sowie ondulierten Diplom-Philosophen und heutigen Weisen, den doch wohl jeder kenne, sie hätten eine ganze Zeit lang eine Beziehung gehabt, nein, eigentlich sei er ihre erste große Liebe gewesen und umgekehrt, und sie seien damals sicherlich eines der glücklichsten Liebespaare ihrer Galaxie gewesen, aber wie das nun einmal so sei, irgendwann habe es einen heftigen Streit über philosophische Differenzen gegeben, wobei eventuell noch andere Angelegenheiten eine Rolle gespielt haben mochten, was nach so langer Zeit aber nun egal sei. Diese Dissonanz jedenfalls habe alsdann ihrerseits dazu geführt, daß sie eine Raumfahrerin geworden sei, er aber habe ihr voller Verzweiflung nachgerufen, er wolle nie wieder sprechen, bis sie entweder wieder vereint oder einer von ihnen tot sei, weil Worte, leere Sprechblasen und ebenso seine bedeutungslosen Reden ihre Liebe zerstört hätten. In der Folge stellte er wirklich das Reden ein, was zudem wohl auch einer der Gründe war, warum er als der weiseste unter allen ondulierten Diplom-Philosophen galt.
Gnor solle jenem weisen Gmuzmul nun nach ihrem wohl unmittelbar bevorstehenden Tode die Nachricht überbringen, damit der Arme sein Schweigen nun endlich brechen könne, denn, wie ja wohl jeder wisse, habe er wirklich bis zum heutigen Tage nicht wieder gesprochen, so groß sei seine Liebe gewesen, doch ihre Liebe sei mit der Zeit verblaßt und im wahrsten Sinne des Wortes im Zuge ihrer weiteren turbulenten Abenteuer durch Raum sowie Betten auf der Strecke geblieben. Bei ihren vielen flüchtigen Affären im ganzen Universum sei diese Konsequenz ja nicht so erstaunlich. Sie habe ihn indes trotzdem bei ihren gelegentlichen Besuchen nicht davon abbringen können, seinen Schwur zu widerrufen, jetzt aber solle er erlöst werden.
Gnor meinte dazu, er sei gerne bereit, die Botschaft zu überbringen, sollte sie wirklich sterben, doch solle sich damit ruhig noch Zeit lassen, denn eine bessere Beschäftigung als der Tod finde sich allemale.
Tamata lächelte milde und erklärte, wenn man schon sehr viel erlebt habe, die Kräfte aufgebraucht seien, sei es leichter, Abschied zu nehmen.
Sie sei längst bereit, andere Platz zu machen, um sich in der Welt zu erproben.
Lediglich dieser letzte Ballast habe sich noch im Hier und Jetzt verankert.
Nun sei sie erleichtert um diese Bürde, wisse sie den Auftrag bei ihm in guten Händen.
Weil nun die große Tamata tatsächlich noch am gleichen tage starb, brach Gnor gleich am
nächsten Tag auf, um seinen Auftrag zu erfüllen.
Der Aufenthaltsort von Gmuzmul war weit bekannt, folglich also für einen großen Raumfahrer wie Gnor keinerlei Problem, diese Mission anzutreten.
Jetzt wißt ihr also, warum der ondulierte Weise sein Leben lang schwieg, das alles lag nur an seiner Liebe zu Tamata, welche ja tatsächlich in dem Ruf stand, in jeder Ecke des Universums einen Liebhaber oder zwei oder drei gehabt zu haben. Wie indessen ihr letzter Wunsch zeigt, ging sie wohl nie eine feste Beziehung ein, weil sie tief in ihrem Innern immer noch an Gmuzmul dachte, wie dieser an sie.
Nun wollt ihr sicher wissen, wie es Gnor auf dieser Reise erging, und ich werde es euch gleich erzählen. Zunächst kam natürlich, wie das in solchen Geschichten nun einmal so ist, alles ganz anders: Mitten im Flug wurde er von zwei Schiffen des langweiligen, jedoch ungeheuer reichen Diktators Calig abgefangen. Völlig von der eigentlichen Route abweichend, wurde Gnor auf diese Weise gezwungen, von seinem Plan abzuweichen, um den Planeten von Calig anzusteuern. Dort angekommen, wurde er gleich zu diesem in ein phantastisches Märchenschloß geleitet, fast schon abgeführt, wo Calig gerade praktisch alleine, lediglich von einigen Dienern umrahmt, zu Tische lag und vor sich sämtliche Köstlichkeiten seines Planeten auf dem Tische aufgehäuft hatte; zögernd schob er gerade eine Bromis-Traube in seinen Mund, wobei ihm der goldene Galin-Lorbeerkranz auf dem Kopf etwas verrutschte. Bei dem Versuch, den Lorbeerkranz festzuhalten verschüttete Calig etwas Wiggelwein aus dem Römer, welchen er gleichzeitig in der Hand hielt, auf die weiße Tunika.
Dieses sehend, sprach Gnor zu ihm, das sei es, was er schon immer als Bild eines dekadenten Diktators im Kopf gehabt habe, auch seine Art der Einladung passe da genau hinein, das sei es gewesen, was ihm schon sein ganzes Leben gefehlt habe, was er bisher habe missen müssen, obwohl er doch schon den größten Teil des Universums bereist habe. Etwas irritierte blickte Calig auf, meinte lediglich, seine Leibesfülle tue nichts zur Sache, von wegen Dicktator – Tor naja, könne man drüber streiten, ansonsten sei er lediglich wohlgenährt, keineswegs dick. Gnor zuckte die Schultern, damit signalisierend, daß er bereit sei, dies nicht weiter zu thematisieren
Calig nickte versöhnt über diese wortkarge Einlassung, äußerte daraufhin einfach sein Anliegen, er brauche unbedingt seinen Rat. Er sei unzufrieden mit seinem Volk, also zwar nicht komplett, allerdings doch von größeren Teilen davon. Sein Volk es doch offenbar vom Fieber der Demokratie ergriffen, obwohl er sie doch nur hin und wieder ganz sporadisch unterdrückt habe, ohne große Leidenschaft oder Böswilligkeit, Wirklich nur ganz wenig, die ärgsten Kritiker habe er nicht einmal beseitigt oder vergiften lassen, sondern nur auf eine einsame Insel verbannt. Gut, da sei das Essen knapp, die Unterkünfte schäbig, das Ungeziefer reichlich, aber alles müsse man eben von zwei Seiten sehen, sie bekämen von ihm nichts mehr mit, er nichts mehr von ihnen, damit sei doch beiden Seiten gedient. Das volk brauche auch nicht zu hungern, er verstehe die Unzufriedenheit folglich nicht.
Gnor warf ein, daß es dem Volk doch wohl nicht ganz so gut gehe wie ihm, einmal abgesehen von jenen Oppositionellen, welche sich auf jener Insel von schäbigen Insekten ernähren müßten, um über die Runden zu kommen.
Nein, erwiderte Calig daraufhin, zuviel Wohlstand, Überfluß wäre auch gar nicht gut für sie, doch lebte sein Volk immerhin auf dem Existenzminimum, mehr sei mit ihnen auf diesem Planeten nicht möglich, jedenfalls nicht für alle.
Er könne das Volk doch nicht in unbegrenztem Maße zur Arbeit antreiben, daher erwirtschafteten sie mit einer Arbeitszeit von Dreivierteln des Tages gerade genug für ihn, damit seine Profite im Export stimmten.
Noch mehr Arbeit für überflüssigen, verweichlichenden Schabernack für das Volk wolle
er diesem nicht zumuten.
Es sei alles so traurig, woanders könne man viel mehr Geld machen.
Das Schlimmste aber sei, daß sie nicht einmal gewalttätig würden, so daß sie ihn wütend genug machten, daß er zuschlagen könnte und die Armee einsetzen, welche so völlig unnütz sei.
Sie machten ihn langsam mürbe mit ihrer langweiligen Art des friedlichen Protestes, er habe einfach keine lust mehr und habe genug von diesem langweiligen, öden Volk auf einem drögen, viel zu kleinen, rohstoffarmen Planeten.
Inzwischen mache er größere Geschäfte mit seinem woanders angelegten Geld als mit dem gesamten schäbigen Planeten sowie den Erzeugnissen der Arbeiter, er sei es leid.
Ob Gnor nicht wisse, was er tun solle, ob er etwa den ganzen Planeten atomisieren lassen solle oder jeden Tag nur ein paar Einwohner zur persönlichen Unterhaltung hinrichten, bis sie endlich einen Aufstand machten, den er dann niederschlagen könne.
Das böte immerhin etwas Abwechslung auf diesem elenden Planeten.
Gnor überlegte kurz und meinte, letzteres sei nicht ratsam und mache bei Geschäftsfreunden einen schlechten, sprich, den richtigen Eindruck, daß man ein roher Barbar sowie Unterdrücker sei, was bei einigen Leuten nicht gerne gesehen sei, welche lieber auf fairen Handel, faire Produktion setzten, auf Transparenz et cetera und solch Gedöns. Vielmehr solle Calig sich doch einfach ein neues Volk samt besserem Planeten wählen, bevor das Volk sich einen neuen Herrscher wähle. Wo er derart viel Geld auf der hohen Kante habe, solle er sie zur Strafe für ihre Trägheit sowie Existenz einfach sitzenlassen und noch zur Stunde nach Kufa aufbrechen, wo er sich, wie es einem reichen, dekadenten und mit Geld vertrauten Calig gemäß sei, engagieren könne im Kreise seinesgleichen mit echten Gegnern, welche deutlich mehr Kurzweil boten als unterernährte Arbeiter und insektenfressende Oppositionelle hier. Er kenne doch sicherlich Kufa, wo sich die widerlichsten Kapitalisten des gesamten Universums zusammengerottet hätten, wo es noch Kampf um das pure finanzielle Überleben gäbe, wo für ihn Abenteuer zu finden seien zwischen totalem Bankrott und sagenhaftem Reichtum, wo es noch wirklich um Geld gehe und nicht um die wirklich wichtigen Dinge im Leben, wo man noch alles riskieren könne, wenn man etwas habe, dort solle er hingehen. Dort könne er noch etwas erleben, dort, wo sich die letzten Kapitalisten gegenseitig fertigmachten. Diese Umgebung brauche er, und er werde schnell wieder aufleben. Ihm führe man aber zuvor noch die führenden Oppositionellen vor, auch ihnen habe er einen Rat zu geben, wenn er schon einmal dabei sei.
calig war tatsächlich sehr erfreut, war er doch unterdessen selbst viel zu träge geworden, um auf diesen an sich naheliegenden Gedanken selbst zu kommen. Er meinte, Abenteuer, Geld, Betrug, Intrigen und Beschiß, das sei tatsächlich das, wonach es ihm verlange, Gnor sei ein guter Ratgeber, und er werde ihn reich belohnen, was aber Gnor energisch ablehnte, er lasse sich nicht kaufen. Calig zuckte seine Schultern, dann könne er ihm auch nicht helfen, genau wie den langweiligen Demokraten auf seinem Planeten, doch nehme er den Rat an, die Oppositionellen ließe er sogleich einfliegen, damit Gnor nicht länger als nötig aufgehalten werde. Er indes werde inzwischen packen, nur das Notwendigste wolle er mitnehmen, so sehr verlange es ihn danach, hier ein für alle male wegzukommen, seine Getreuen werde er mitnehmen als schlagkräftige Truppe, welche auf Kufa sicherlich noch nützlich sein werden. Alsdann werde er mit nur zwei Schiffen abreisen.
Gnor sagte, er wolle unter den Umständen sogar voranfliegen, damit Calig gewiß den richtigen Weg nähme, woraufhin sich dieser für das angebotene Geleit bedankte.
Nach kurzer Zeit waren dann tatsächlich die führenden Oppositionellen eingetroffen.
Gnor teilt ihnen den Entschluß des Diktators mit, diese nahmen diese Nachricht natürlich erfreut entgegen und waren froh, den Diktator so billig losgeworden zu sein.
Sie wollten Gnor danken, doch dieser winkte ab, ob sie denn wirklich aufrechte Demokraten seien, wollte er stattdessen wissen, und sie stimmten energisch zu, er könne sich darauf verlassen, binnen kurzem werde man den Planeten wieder auf Vordermann bringen, die Menschen motivieren und faire und
demokratische Wahlen abhalten.
Das sei alsdann ein Sieg der Vernunft, es werde Recht und Ordnung herrschen, freier Wettbewerb sowie nicht allzu soziale Marktwirtschaft, und jeden, dem das nicht passe, werde man einfach ausweisen, und
es werde alles wunderbar werden, denn in der Demokratie sei es am besten.
Erstaunt wich Gnor vor ihnen zurück, schaute sie zweifelnd an, als ob sie einen Scherz mit ihm machten, bei dem heruntergewirtschafteten Planeten, diesem naiven Optimismus. Gnor kam jedoch zu dem Schluß, daß das tatsächlich ernst gemeint war, und meinte, bevor er fortgehe, wolle er ihnen noch etwas Wichtiges über die Demokratie mitteilen, was ihnen offenbar bisher entgangen sei. Auch sie sei ja im besten Fall nur die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit, werde diese nicht mindestens durch den Schutz der Minderheiten flankiert, außerdem sei etwas nicht deshalb richtig oder wahr, weil eine Mehrheit das meine, über die Wahrheit lasse sich schlecht abstimmen, und eine Abstimmung sei eines der schlechtesten Mittel gegen Unwissenheit. Nur wenn alle einer Meinung seien, könne sich nachher wenigstens niemand beschweren, wenn etwas schiefgehe, das sei der einzige Vorzug einer Abstimmung, das sollten sie immer bedenken, wenn Demokratie wirklich ihr Anliegen sei. Fachkompetenz, Wissen, Weisheit sei notwendig, um jedwede Regierung die anständige Ausführung des Amtes zu ermöglichen. Der Vorteil der Demokratie sei zwar, daß man Idioten wenigstens wieder abwählen können, gleichzeitig sei ihr gravierender Nachteil, daß manipulative Psychopathen allerdings auch bei jeder Wahl ins Amt kommen könnten – oder sich halbwegs normal erscheinende Personen im Amt erst zu solchen entwickeln könnten. Von Calig, dem Diktator, habe man nicht mehr erwarten können, doch sollte man bei einem Neuanfang mehr erwarten als eine Befreiung von Calig. Da sei Besonnenheit, Kompetenz, Weisheit gefragt. Darüber müßten sie mehr nachdenken als über sofortige Abstimmungen, wo dem Volk noch gar nicht klar sein könne, welche Kandidaten die am wenigsten schlechte Wahl seien.
Die Leute zogen ihre Nasen kraus ob dieser großen Verantwortung, welche ihnen da auferlegt wurde. Gnor hat dann doch noch Mitleid mit den Demokraten und versprach zumindest, die Hilfsorganisation für unverschuldet in Not geratene Planeten zu benachrichtigen, was er später auch tat. Er flog wie versprochen sodann umgehend zusammen mit Caligs zwei Schiffen im Gefolge Richtung Kufa ab und Caligs Planet war formal befreit vom Tyrannen, wobei kein bißchen gemetzelt und gemördert wurde – auch ein Erfolg, immerhin.
Bald erreichten sie das Sonnensystem des Planeten Kufa. Gnor verabschiedete sich schnell und gerne von dem ehemaligen dekadenten Diktator und jetzigem Kapitalisten noch bevor der Planet ganz erreicht war, weil er keinen Fuß auf Kufa setzen wollte, wo sich ja die schlimmsten Kapitalisten zusammengerottet haben in einer fürchterlichen Börse, welche bereits die Hälfte der Oberfläche des Planeten verschlungen hatte, und auf dem schleimigste Lakaien ohne jegliche soziale Absicherung für noch schleimigere und aalglatte Geldhaie arbeiten, und ein weiteres Viertel des so mißbrauchten Planeten von einem Vergnügungsviertel eingenommen wird mit den größten Spielbanken des gesamten Universums. Gnor steuerte vielmehr den zweiten bewohnten Planeten des Systems an, einem kleinen, unscheinbaren Planeten, auf der sich einige harmlosere kleine Unternehmer angesiedelt hatten, um von der Nähe zu Kufa zu profitieren. Gnor kannte dort die Familie eines Fuhrmannes, welcher ihm einmal bei einem seiner Abenteuer geholfen hatte, und wollte diese dort kurz besuchen, weil er gerade in der Nähe war.
Dort erwartete ihn allerdings gleichfalls eine traurige Nachricht: Der alte Fuhrunternehmer war vor Kurzem verstorben, und bis vor ein paar Tagen hatte man sich nicht darüber einigen können, wie das Erbe nun korrekt nach seinem Willen zu verteilen sei. Der Fuhrunternehmer hat vier Kinder und diesen in letzter Minute ein handschriftliches Testament hinterlassen. Es sei dann jedoch, so wurde ihm berichtet, gelungen, unter Zurhilfenahme eines fremden Weisen, der zufällig vorbeigekommen sei, die Angelegenheit zu bereinigen. Gnor bat darum zu erzählen, um was es eigentlich gegangen sei: Das Erbe habe aus einem geringen Geldvermögen sowie einundsiebzig weitgehend gleichwertigen Raumschiffen bestanden, in dem Sinne gleichwertig, daß jeder bei seinem Anteil ungefähr Schiffe in fairer Verteilung bekommen sollte. Während das Vermögen gleichmäßig aufgeteilt werden sollte, war es der Wille des Verstorbenen, daß das jüngste Kind die Hälfte, das zweitjüngste ein Viertel, das zweitälteste ein Achtel und das älteste ein Neuntel der schiffe bekommen sollte, weil sie sich in etwa in diesem Verhältnis um ihn und die ebenfalls vor einiger Zeit verstorbene Mutter gekümmert hätten. Darüber allerdings habe man sich mitnichten einigen können, weil es sich keineswegs um ganzzahlige Verhältnisse handele und niemand genug Geld habe, um die anderen auszuzahlen. Der Fremde habe wohl davon gehört und sodann habe er seine Hilfe gegen ein Entgelt angeboten. Man sei sich einig geworden und der Fremde sei dann wie folgt vorgegangen: Sein Raumschiff habe er zu den anderen dazugetan und habe dann gemäß dem Testament verteilt, 36 Schiffe an das erste Kind des Fuhrunternehmers, 18 an das nächste, 9 an das dritte und schließlich 8 an das letzte, habe dann sein Entgelt verlangt und fuhr mit dem übriggebliebenen, zufälligerweise besten Raumschiff fort, bevor man noch reagieren konnte. Dafür hatte er sein mittelmäßiges zurückgelassen.
Gnor sprach dazu, offenbar habe man es mit einem raffinierten Betrüger sowie Kapitalisten zu tun gehabt, also mit jemandem, vor dem man sich besser in Acht nehmen solle, denn er habe nicht nur viel zu viel Geld für seinen Rat bekommen, sondern auch noch sein mittelmäßiges Schiff gegen ein besseres eingetauscht.
Sein Rat sei kapitalistisch sowie schlecht gewesen, weil offenbar das Kind, welches die Hälfte hätte bekommen sollen, mehr als diese bekommen habe, ebenso wie die beiden anderen mit 18 und 9 Schiffen, lediglich jener, der sowieso schon am wenigsten habe bekommen sollen, habe noch weniger bekommen, als ihm ohnehin nur zugestanden habe, dieser kapitalistische Trick sei uralt, daß der, welcher sowieso schon am wenigsten bekomme, auch noch zu Gunsten der mehr Besitzenden um einen Teil davon betrogen werde. das sei ausbeuterisch und ganz typisch.
Was den Fuhrunternehmer betreffe, so sei es schon immer seine Schwäche gewesen, daß er ohne seinen Computer nicht einmal die einfachste Rechnung habe durchführen können, doch habe er das schon damals erlebt, als sie sich kennengelernt hätten.
Damals sei es jedoch von Vorteil gewesen, denn durch solche Rechenunkünste habe er die Leute, die ihn bedrohten, einen Moment lang dermaßen verwirrt, daß sie sich hätten retten können.
Gnor gab dann den Rat, Vermögen und Schiffe einfach zusammen mit den Angestellten kollektiv zu nutzen, wobei jeder das beisteuern möge, was in seinen Fähigkeiten läge.
Ferner sollten auch sie sich einmal gründlich an den Kopf fassen, daß sie nicht selbst bemerkt hätten, daß das Testament überhaupt nicht zu erfüllen gewesen sei, was der Kapitalist für seine betrügerischen Zwecke habe ausnutzen können.
Das Problem eines solchen unerfüllbaren Testamentes sei aber alt, vielleicht habe ja auch der Verstorbene es gekannt, und habe, um sich einen letzten Spaß mit ihnen zu machen, derart gehandelt.
Die Fuhrmannskinder folgten seinem Rat.
Der Schaden durch den Betrüger hatte sie wieder vereint.
Und jene, welche sich früher weniger um die Familie gekümmert hatten, versprachen, es nunmehr unter den Geschwistern besser zu machen.
Auch unter den Angestellten war Zufriedenheit zu erkennen, fürchteten sie doch Probleme bei der Zerschlagung des Unternehmens.
Da Gnor nun schon sehr weit von seinem eigentlichen Kurs abgekommen war, beschloß er, noch einen kurzen Abstecher zum Planeten Ancheg zu unternehmen, weil das nur einen kleinen Umweg bedeutete und er eigentlich schon immer wissen wollte, was dort seit seinem letzten Besuch vorgegangen war.
Ich meine, ich hatte sein kleines Abenteuer dort schon einmal erwähnt.
Auf Ancheg wurde ja nach einer Intervention von Gnor der falsche Weise Gurut vertrieben und bald darauf der erste kommunistische Staat ausgerufen.
Deshalb war Gnor nun sehr interessiert, wie sich die Sache dort inzwischen entwickelt hatte.
Nachdem er gelandet war, entdeckte er die nicht allzu große Bevölkerung des Planeten um einen riesigen runden Tisch versammelt, in Streitgesprächen sowie Diskussionen vertieft.
Als man sein Erscheinen bemerkte, verstummte die Runde schnell, ihren Befreier offenbar wiedererkennend.
Sichtlich erfreut wird er begrüßt und schon bald kommt heraus, daß man erneut ein größeres Problem zu bewältigen hat.
Schnell ist erzählt, wie es den Bewohnern von Ancheg bisher ergangen war.
Nachdem man also Gurut vertrieben hatte, führte man gegen die noch verbliebenen unverbesserlichen
Anhänger eine allerdings unblutige Revolution, die relativ schnell damit endete, daß letztere ihrem Meister hinterherflohen.
Anschließend setzte man sich zusammen, und in der ersten einstimmigen Abstimmung entschied man sich, den ersten kommunistischen Staat auszurufen. seitdem habe man die Zeit zum Teil damit verbracht, die für das Überleben unbedingt notwendigen arbeiten kollektiv zu erledigen, um sich dann regelmäßig
um diesen Tisch zur kommunistischen Versammlung zusammenzufinden, um wie im eigentlichen
Sinne des Wortes gemeinsam zu entscheiden, wie es weitergehen solle – gemeinsam insofern, als natürlich nur einstimmige Abstimmungen zu Entscheidungen führen sollten, womit sich auch schon das erste und bisher einzige Problem des ersten kommunistischen Staates ergab.
Nach der Theorie hätte man nach einer endlichen Diskussion basiert auf Fakten, Kompetenzen, Fachinformationen, Expertisen, Ausführungen, Exposés von Experten einen für alle akzeptablen Kompromiß erreichen sollen und somit diesbezüglich einen einstimmigen, vernunftbasierten Beschluß.
Das erste Thema aber, welches man bisher diskutierte, sei die konkrete Form des Staates gewesen, den sie so spontan ausgerufen hatten.
Ob man insbesondere ein Gesetzeswerk einführen solle oder doch lieber nicht und inwieweit und mit welchem Inhalt wenn überhaupt.
Das sei auch bis heute einziger Punkt der Tagesordnung geblieben, doch habe man sich bisher nicht einigen können und sei schon ganz verzweifelt, wähne man doch schon darin das Ende des erst wenige Jahre alten ersten kommunistischen Staates zu erkennen.
Ihre ganze Hoffnung richte sich nun auf Gnor, der ihnen doch bitte vorschlagen möge, was sie in dieser verfahrenen Situation tun sollten.
Gnor jedoch lachte nach den Ausführungen, gerade das Beschriebene sei doch der von realen Wesen
praktizierte Kommunismus, friedlich um einen Tisch herumsitzen und zu keinem Ergebnis kommen.
Er wisse gar nicht, was sie daran auszusetzen hätten, das sei doch wunderbar, oder hätten sie schon wirklich ernsthafte Probleme oder Verbrechen gehabt, die Gesetze nötig gemacht hätten?
Nein, gab man dem zur Antwort, konkrete Probleme habe man glücklicher und erstaunlicher Weise immer schnell lösen können, teil in spontan gebildeten Unterausschüssen, und da sich jeder für die Gemeinschaft engagieren wolle, habe es eigentlich nie mehr als Wortgefechte gegeben.
Gnor gab darauf zurück, er wisse also gar nicht, was sie wollten, der ideale Staat sei doch wohl grob
gesprochen jener, wo keiner des anderen Freiheit einschränke. Gesetze seien aber potentielle Einschränkungen der Freiheit, und Verstöße gegen eventuelle Gesetze zeigten nur Fehler oder Schwächen des Staates als solidarischer Gemeinschaft auf, denn in einem idealen Staat könne es keine Verstöße gegen Gesetze geben, jedes Verbrechen deute also immer auf einen Fehler oder Mangel des Staates hin, ein zu behebendes Defizit im Ausgleich unterschiedlicher Interessen verschiedener Bürger.
Diese können in Konflikt gerade durch falsche individuelle Vorstellungen aber auch durch die Situation eines existenziellen Mangels etwa an Ressourcen.
Indem Verbrechen begangen werden, zeige sich schlicht ein sozialer Konflikt, ein ungelöstes Problem beim Ausgleich der unterschiedlichen Bedürfnisse, gelegentlich könne es auch um anerzogene oder sonstwie vorhandene individuelle psychische Defizite gehen, welche behandelt werden müßten, sonst gäbe es keinen Grund, das Verbrechen zu begehen, sprich, einem anderen absichtlich Schaden zuzufügen,
ihn in seiner Freiheit einzuschränken.
Zum Beispiel zeige ein Diebstahl lediglich, daß in jenem Staat dem einen Menschen Dinge, Ressourcen zur Verfügung ständen, die einem anderen fehlten, also eine nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung
angepaßte Verteilung der (Produktions-)Güter eines Staates, deshalb sei auch hier das verbrechen – der Diebstahl – nicht nur dem Täter anzurechnen, sondern vor allem dem Staat, der Gemeinschaft.
Eine weitere Motivation könne eine verhängnisvolle Fixierung von Personen auf Besitz, materielle Güter sein, welche als persönliches Defizit von der Gemeinschaft behandelt werden müsse.
In dem ein Täter das Verbrechen begangen habe, offenbare dieser etwas, worum sich gekümmert werden müsse, möglichst bevor das Defizit fatale Folgen habe.
Selbstverständlich komme den Opfern ebenfalls besondere Aufmerksamkeit zu, um die erlittene Ungerechtigkeit wieder auszugleichen, dem Täter natürlich deshalb unter anderem auch, weil er durch das Verbrechen die freie Entfaltung des Lebens eines anderen eingeschränkt habe, allerdings nur, weil er in einem Staat lebe, der derart schlecht sei, das dies im Rahmen seiner möglichen Handlungen plausibel oder vorteilhaft erschien und für ihn Vorteile versprach, welche es im idealen Staat gar nicht gegeben hätte, weswegen dort das Verbrechen unterblieben wäre, denn im idealen Staat böte
die Einschränkung der Freiheit eines anderen keine Vorteile mehr.
Viel mehr könne er zu ihrem Problem auch nicht sagen, außer, daß der ideale Kommunismus mit realen Wesen kaum anders durchzuführen sei, als wie sie es schon getan hätten, dennoch sei es ja gar nicht schlecht, um einen Tisch herumzusitzen und zu diskutieren, zumindest sei das erheblich besser, als es
nicht zu tun. deshalb seien sie tatsächlich auch dann ein kommunistischer Staat, wenn sie nur um einen Tisch herumsäßen und diskutierten, weil sie doch einstimmig beschlossen hätten, einer zu sein.
Daß danach keine weiteren Entscheidungen folgten und das konkrete Aussehen des Staates nicht hätte näher bestimmt werden können, sei gar nicht schlimm und für die Existenz des kommunistischen Staates völlig irrelevant.
Die Bewohner von Ancheg dankte Gnor für seine Betrachtung des Problems sowie seine Analyse samt Ausführungen.
Sie luden ihn zudem ein zu einem kleinen, spontanen Festbankett, mit welchem sie nun den grandiosen Erfolg ihres Staatsprojektes feiern wollten.
Gnor feierte gerne mit, man ließ es sich gutgehen, vermied allerdings jegliche Ausuferungen der festlichen Aktivitäten.
Gnor verließ Ancheg alsbald wieder, deutlich zufrieden mit den Zuständen, welche er dort vorgefunden hatte.
Nun endlich flog Gnor weiter zum eigentlichen Ziel seiner Reise, zum Weisen Gmuzmul, um ihm die traurige Nachricht vom Tode der Geliebten, der großen Raumfahrerin Tamata zu überbringen.
Gnor landete also auf dem Planeten und sah schon die gewaltigen Massen von Gmuzmuls Jüngern, die ihn wie einen Heiligen verehrten, einen Weisen, weil er stets schweigt und – ihr kennt ja die Geschichte – was?
Ihr kennt sie nicht so genau?
Also gut, erzähle ich kurz, wie Gmuzmul ganz unfreiwillig zum Heiligen wurde und zur großen Schar seiner Jünger kam.
Erzählt hatte ich ja schon, daß er Tamata geschworen hatte, nicht mehr zu sprechen, was er dann
auch tat, obwohl Tamata mehrmals wiederkam, um ihn davon abzubringen, was aber vergeblich war.
Der eigentliche Grund seines Schweigens war nun niemandem außer Tamata und Gmuzmul bekannt, und so sprach sich nur schnell herum, daß dort auf dem Planeten einer im wesentlichen herumsaß und schwieg.
Den Einheimischen tat er leid, und so brachte man ihm regelmäßig Nahrung.
Fremde deuteten das wohl falsch, und es bildete sich die Legende, daß Gmuzmul ein Eremit sein müsse
und wegen seines Schweigens ein großer Weiser, schließlich hatte man noch nichts von ihm gehört, was falsch gewesen wäre, und so glaubte man bald, daß aus dem Munde des Weisen Gmuzmul nichts Unwahres kommen könne, so daß, wenn er einmal spräche, dies von tiefer Weisheit und Wahrheit sein müsse.
Bald sammelten sich so immer mehr Leute um Gmuzmul an, welche sich seine jünger nannten und, weil sie nichts besseres zu tun hatten, auf der Suche nach der Wahrheit und Weisheit sowie dem Sinn des Universums waren und nun ihre ganze Hoffnung auf Gmuzmul setzten, daß seine ersten Worte ihrem Leben einen Sinn gäben.
Dieser schwieg jedoch beharrlich weiter, und seine wachsende zahl von Jüngern, nach denen es ihm nicht verlangte, arbeitete für ihn, daß die Gemeinschaft und er zu essen hätte und verehrten ihn wie einen weisen Mann, dem sie folgen wollten.
Denn was könnte in den Augen seiner Jünger weiser sein als Schweigen, spekulierten gerade Novizen doch noch über diverse Hypothesen über den Sinn und den ganzen Rest, während ältere Jünger schon deutlich wortkarger wurden, allmählich zur Ruhe fanden, der nagende Schmerz und die verführerische Neugier fast schon verflogen waren.
Wer nicht mehr fragt, den drängen existenzielle Dinge auch gar nicht mehr so sehr – oder umgedreht.
Und dann passierte es!
Wohl schon lange belästigt von seinen Jüngern und Sinnsuchenden und der falschen Legende um ihn, stand Gmuzmul eines Tages auf und zeigte mit ausgestrecktem Arm sowie Finger in die Runde seiner nervenden
Verehrer und wies sie fort.
Diese allerdings mißdeuteten seine Geste und glaubten, er habe sie auf etwas hingewiesen.
Weil er eine ganze Zeit so stand, unbeweglich sowie mit flammenden Augen, rekonstruierte man aus der Richtung, in welche er zeigte, einen Kurs für ein Raumschiff und schickte damit eine Abordnung in jene Richtung fort, zu sehen, auf was der Weise Gmuzmul habe hinweisen wollen.
Wie ihr wohl alle wißt, entdeckte man gerade in jener Richtung das berühmt-berüchtigte stabile Vierersternensystem Sibsubidu, welches durch seine Existenz die gesamte wissenschaftliche Welt erschütterte, denn ihr wißt ja, derartige Strukturen wie Sibsubidu sollte es in der Realität nicht geben, jedenfalls gemäß der einfachen Standardtheorien des Universums.
Außerdem ermittelte man zu allem Überfluß, daß sich gewisse Umlaufzeiten wie Wurzel aus π hoch drei zu einer rationalen Potenz von e verhielten.
Daher schien es gewiß, daß dieses Gebilde keineswegs natürlichen Ursprungs sein konnte.
Die Mehrheit von Gmuzmuls Jüngern sah darin wie viele andere einen Gottesbeweis. Wobei vielfach weiter darüber diskutiert wurde, wie die Anzahl der Götter ist, ob dies notwendig eine positive ganze Zahl sein muß, ob es auch rationale Zahlen oder reelle Zahlen von Göttern gäbe, dies würde ja nahegelegt mit den vorgefundenen Zahlen π und e, wobei andere Strömungen wiederum darauf hinwiesen, daß es mathematisch ja auch wieder einen Zusammenhang zwischen e und π selbst gäbe, was insbesondere auf die komplexe Ebene hinweise. Im Disput kam damit auch die Frage von imaginäre und reellen Anzahlen von Göttern oder imaginären und reellen Göttern auf. Eher mathematisch interessierte Gläubige fokussiertes sich auch teils darauf, ob die Nullstellen der Riemannschen Ζ-Funktion etwas mit der Anzahl oder den Eigenschaften von Göttern zu tun haben könnte. Insgesamt entwickelten sich daraus ganz neue theologische Forschungsrichtungen sowie innovative Impuls für das weite Gebiet der klassischen Theologie, welche gar um die Riemannsche Theosophie und die Gmuzmul-Expektiven erweitert wurde.
Innerhalb eines Jahres gab es ferner von durchaus ernsthaften Wissenschaftlern hunderte von Theorien auf dem Markt, welche das Phänomen der Existenz von Sibsubidu erklären sollten, bis letztlich der Physiker Dr. phil. Dr. rer, nat. Duos Lapis ankündigte, das ganze sei ein skurriler Witz seinerseits, um einige allzu selbstsicher gewordene Fachkollegen zu kurieren und zu hirnrissigen Theorien zu verleiten, die offenbar glaubten, im Besitze der Wahrheit über die Welt zu sein und alles zu wissen. Drei Tage später wolle er alles aufklären. Nun wißt ihr ja sicherlich, was dann passierte; ein religiöser Fanatiker brachte Duos Lapis um, bevor dieser noch den Nachweis darüber bringen konnte, daß dieses Vierersternensystem Sibsubidu wirklich ein Witz von ihm gewesen sei, eine bloße Rarität des physikalischen Horrorkabinetts. Die meisten Wissenschaftler waren aber trotzdem davon überzeugt, daß dem so sei, da Duos Lapis ein glaubhafter Wissenschaftler war und es eigentlich auch gar nicht anders sein konnte.
Fakten, Wissenschaft, glaubhafte Witzhypothesen ändern allerdings natürlich nichts an religiösen Entwicklungen, welche parallel zu den wissenschaftlichen Ansätzen ein Eigenleben führten, komplett unbeeindruckt von den Behauptungen von Duos Lapis oder weiteren wissenschaftlichen Analysen von Sibsubidu. Der Keim der Religion war längst aufgegangen, hatte sich verselbständigt, war nicht mehr aufzuhalten, einzufangen.
Für Gmuzmul wurde dieser Zufall, daß sich Sibsubidu gerade in Richtung seines Fingerzeigs befand, aber zu einer Katastrophe.
Dazu ist anzumerken, daß Planeten ja rotieren, um sich selbst sowie um ihren Stern, sich Planetensysteme auch relativ zueinander bewegen, somit war seine Zeigerichtung natürlich nicht ständig auf Sibsubidu gerichtet gewesen, die Jünger hatten lediglich die Intention des Zeigens passend interpretiert.
Seine Jünger jedenfalls waren nun mehr denn je von ihm überzeugt und verehrten ihn nun auch noch als Heiligen und Erleuchteten, als Segensüberbringer göttlicher Sendung.
Gmuzmul erkannte sofort, daß jede unbedachte Handlung von ihm, jedes Wort, jeder Fingerzeig zu einer weiteren Katastrophe führen konnte, und so war es ihm natürlich unmöglich, sein Schweigen jemals zu brechen oder dem Zustrom von weiteren Jüngern Einhalt zu gebieten. Selbst die größte Hirnwichserei von ihm wäre mit exklusiverem als Gold aufgewogen worden, wäre endlos interpretiert, in die Legende verwoben worden als Essenz der Weisheit. Also mußte er weiter schweigen, möglichst untätig bleiben, um noch mehr Unheil sowie Schabernack oder Killefitz zu vermeiden.
Darüber wurde er alt, und jetzt war Gnor gekommen, um ihm die Nachricht von Tamatas Tod zu überbringen. Gnor fragte also unter Gmuzmul Anhängerschaft nach dem Weg, worauf ihm der gefragte Jünger antwortete, daß er dann hier richtig sei und nur warten müsse, bis der Erleuchtete Gmuzmul den Weg verkünde oder weise, worauf Gnor lächelnd korrigierte, er meine doch den Weg zu Gmuzmul, worauf der Jünger wieder einwarf, der sei oft lang sowie bei jedem anders, doch mit der Zeit finde jeder den wahren Weg, das Warten zu verstehen. Etwas genervt knirschte nun Gnor, daß er Gmuzmul sofort sehen müsse, worauf ihn einige Jünger in Sichtweite brachten, worauf Gnor sie überzeugen mußte, daß er nicht nur gekommen sei, um den Weisen zu sehen, sondern ihm auch etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Schließlich gelangte er nach einigen ähnlich absurden Dialogen doch noch zu Gmuzmul und teilte diesem mit, daß er eine wichtige Nachricht von Tamata habe. Gmuzmuls Augen leuchteten einen Augenblick auf, der Alte erhob sich langsam und ging in eine kleine Hütte, Gnor mit einer kaum sichtbaren Geste auffordernd zu folgen. Dieser berichtete dort von seiner Begegnung mit Tamata, und nach dieser kurzen Vorbereitung teilte er Gmuzmul dann auch mit, daß die Geliebte verstorben sei.
Obwohl sich das Gesicht von Gmuzmul nicht wesentlich bewegte, sah man ihm nichtsdestotrotz an, wie getroffen er war, langsam lief eine Träne über seine Wange. Seine Hand fassend, versuchte Gnor, den Alten etwas zu trösten, so saßen sie wohl eine Stunde oder zwei, Gnor fühlte den tiefen Schmerz des Alten, der ihm schließlich langsam den Kopf zuwendete. Neben der Trauer erkannte Gnor darin ebenso Verzweiflung, schiere Verzweiflung, mit einer langsamen Geste wies Gmuzmul auf die Jünger draußen sowie direkt vor der Tür, denen nichts entgeht. Gnor verstand ihn und fragte, ob er nicht wisse, wie er jetzt reagieren solle, was mit all jenen Menschen anfangen, den verblendeten Jüngern und Sinnsuchenden, welche doch nur auf die leiseste Regung von ihm lauerten und Werweißetwas dahinter vermuteten. Gmuzmul nickte kaum sichtbar und wies auf seinen Mund, worauf Gnor zustimmend fragte, er wolle einen Rat, was er denn nun als erstes sagen solle, ohne eine Katastrophe auszulösen, ohne von den Jüngern ernst genommen zu werden. Wieder nickte der Alte langsam sowie lediglich in einer Andeutung und Gnor überlegte, wie er dem Alten helfen könnte. Tamata hatte sich dazu nicht geäußert, einerseits mußte ihr klar gewesen sein, in welche Klemme Gmuzmul steckte, andererseits war sie vermutlich bereits zu schwach gewesen, um noch große Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Somit lag nun einmal wieder alles bei Gnor, welcher damit doch zu mehr als einem Boten werden mußte. Dann fiel ihm plötzlich etwas ein, und sichtlich erleichtert teilte er dies dem Alten mit, gerade kurz bevor Tamata gestorben sei, habe Agos ihn bei der Lektüre eines uralten kleinen Büchleins unterbrochen, und dann sei er ja bald aufgebrochen, um Tamatas Bitte zu erfüllen. In dem Buch auf jeden Fall sei auch die Rede vom Kreter Epimenides gewesen, und so rate er Gmuzmul nun, sinngemäß wie dieser zu sprechen. Überrascht blickte Gmuzmul ihn einen Augenblick an, verstand daraufhin und fiel ihm in die Arme, vor Erleichterung und Schmerz zugleich weinend wie ein kleines Kind. Bald hatte er sich aber gefaßt, stand auf, ging hinaus und winkte sein ganzes Volk zusammen und blieb so reglos wohl eine Stunde säulengleich stehen, bis sich alle versammelt hatten.
Totenstille herrschte, als Gmuzmul schließlich einen kleinen Wink gibt.
Zwar mit leicht brüchiger, schwacher Stimme, dennoch laut rief er über den platz:
„Ich bin ein Lügner!“
Der Platz blieb nach diesem Bekenntnis totenstill und Gmuzmul wendete sich Gnor zu, geradezu schon auffordernd, ihm bitte noch weiter beizustehen, um diesem Drama endlich zu entgehen.
Gnor nickte einverstanden und beide verließen eilig den Planeten, noch bevor sich sonst irgendjemand aus der Schockstarre nach Gmuzmuls erschütternder Botschaft geregt hatte.
Gmuzmul bat Gnor ferner, ihn von dort unerkannt wegzubringen, zur toten Tamata zu fliegen,
was dieser auch tat.
Gmuzmul blieb dann inkognito beim alten Agos und lebte noch viele Jahre glücklich, in der Bibliothek noch viele Bücher lesend und mit jedem über Philosophie disputierend, den er nur zu fassen kriegen konnte, denn schon bald hatte er sich von seiner Trauer um seine Geliebte erholt, nicht zuletzt, weil er so kräftig über die dummen Gesichter seiner Jünger lachen mußte, daß dies den größten Kummer bald aufwog.
Noch oft, wenn ich wieder bei Agos war, saßen wir zusammen und Gmuzmul nickte mir zu, Gnor, weißt du noch, wie sie schauten, als ich ihnen die so lange verschwiegene Wahrheit sagte. Daraufhin spielte er die Szene jedes Mal vor, wie er den erleuchteten mimte, mit Epimenides’ Worten im Munde, an dem ein ganzes Volk von Jüngern erwartungsvoll hing …
Ihr aber wißt nun, was es wirklich mit Gmuzmul auf sich hatte, glaubt nur nicht die anderen Geschichten und Legenden über ihn, daß er etwa von Gott als Prophet zu sich genommen worden sei, direkt eine Himmelfahrt, wie seine Jünger es später verbreiteten. Eine Fahrt, eher einen Flug hatte es wohl gegeben, doch bescheiden, wie ich bin, will ich mich mal nicht gleich als Gott bezeichnen, dies läge auch Agos oder Gmuzmul komplett fern. Damit haben wir gar nichts am Hut oder Stecken.